Kapitel 11

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Sorgfältig faltete Lejara das violette Kleid zusammen, bevor sie es zögerlich auf das Bett legte. Dann griff sie nach dem Beutel und schulterte ihn. Ein leises Seufzen kam über ihre Lippen, bevor sie ein letztes Mal über die seidene Bettdecke strich. Sie drehte sich um und trat zur Tür, während das Gewicht auf ihren Schultern immer schwerer wurde. Aber es musste so sein.
Die Türe öffnete sich und Lejara entwich ein leises Quietschen.
Finjan stand vor ihr. Sein Blick glitt zum Bett und blieb an dem zusammengelegten Kleid hängen. In seinen dunklen Augen funkelte Schmerz. „Du gehst?", flüsterte er tonlos.
„Ich kann das nicht", antwortete sie leise und senkte den Blick. „Das ist einfach nicht meine Welt, verstehst du? Ich vermisse meine Werkstatt, ich vermisse meine Arbeit." Wieder hob sie ihren Blick und sah tiefe Traurigkeit in seinem. Gerne hätte sie ihn umarmt, ihn getröstet, doch es wäre nur noch schmerzhafter für ihn gewesen.
„Aber du hast hier doch alles, was du willst."
Schwermütig schüttelte sie den Kopf. „Ja, ich habe Kleider, die du für mich zahlst, ich kann tun, was ich möchte, und dafür bin ich dir dankbar. Aber ich brauche eine Arbeit, ich brauche etwas zu tun. Ich brauche Leute, die mich verstehen. Wo ich dazugehöre."
„Liebst du mich denn noch?" Seine Stimme war nicht mehr als ein Krächzen.
Sie unterdrückte den Drang, nach seiner Hand zu greifen. „Natürlich tue ich das. Aber ich brauche auch meine Arbeit, um glücklich zu werden, verstehst du? Ich brauche Luft zum Atmen."
Er schluckte hörbar.
Lejara sah ihn an und schlug dann bedrückt die Augen nieder. „Ich denke, das ist das Beste für uns beide." Sie ging an ihm vorbei, berührte noch einmal sanft seine Schulter, wobei ihr der Gedanke, dass es das letzte Mal sein würde, einen Stich versetzte.
„Alles Gute", flüsterte er.
„Dir auch."

Erst, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, ließ sie das Brennen ihrer Augen zu und erlaubte ihren Tränen, über ihre Wangen zu kullern. Ein letztes Mal ging sie den Gang vor Finjans Zimmer entlang, der sich leer und kalt anfühlte. Es war eine aufregende Zeit gewesen. Und auch, wenn sie ihre Arbeit dabei vermisst hatte, wusste sie, dass ihr Finjan fehlen würde, sobald sie zurückkehrte. Aber es war das Richtige gewesen, sagte sie sich. Für sie beide.

Es grenzte an ein Wunder, dass die Handelskolonne sie mit in Richtung Nion genommen hatte, obwohl Lejara der Händlerin an der Spitze als Gegenleistung allerhöchstens ein paar Silbermünzen überlassen konnte. Aber so saß sie auf einem der Viehwägen, der über die Straße aus der Hauptstadt holperte. Ein gelassenes Kaltblut – ein Koloss von einem Pferd – zog das Gefährt vorwärts und machte sich neben dem Getrappel seiner riesigen Hufe ab und zu mit einem Schnauben bemerkbar.

Lejara saß auf dem Kutschbock neben einem grimmig dreinblickenden Kutscher, der mit ihr seit Beginn der Reise kein Wort gewechselt hatte. Der Mann starrte vor sich in die Landschaft und seine verdüsterte Miene ließ Lejara schweigen. Aber das bedeutete auch, dass sie mit ihren Gedanken allein war. Finjan, den einzigen Vertrauten, den sie in der letzten Zeit gehabt hatte, hatte sie hinter den Mauern Filàns zurückgelassen. Wie es ihm jetzt wohl ging? Ob er weinte? Sie schluckte. Sie hätte es nämlich am liebsten getan. Weinen, hemmungsloses Weinen. So brannten nur ihre Augen und sie zwang die Tränen, zurückzubleiben. Ab und zu unterdrückte sie ein Schluchzen, um den griesgrämigen Kutscher, der zwischenzeitlich einmal mit dem Pferd schimpfte, nicht auf sich aufmerksam zu machen. Die Aufmerksamkeit mancher Menschen wollte sie gar nicht gewinnen. Ob das Teliza oder der Kutscher war.

Ständig geisterte eine Frage durch ihren Kopf: War es ein Fehler gewesen? Vielleicht hätte sie bleiben sollen, es nochmal probieren müssen. Sich Finjan ein weiteres Mal erklären, in der Hoffnung, dass er sie irgendwann verstand... Aber hätte es dann eine Lösung gegeben? Was hätte er tun sollen? Er konnte ihr ihre Arbeit nicht zurückbringen und er konnte die anderen Leute der gehobenen Schichten nicht dazu zwingen, sie zu akzeptieren. Vielleicht war es von Vornherein aussichtslos gewesen und sie naiv, zu glauben, dass eine Liebschaft mit einem Adeligen aus der Hauptstadt etwas war, das gutgehen konnte. Vielleicht hatte Teliza mit ihrer Frage auf die Wahrheit abgezielt: Vielleicht war Lejara dem wirklich nicht gewachsen gewesen.

Die unglückliche BuchbinderinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt