Von der Baumgrenze aus, hinter die sich Samuel mit seinen Kriegern zurück gezogen hatte, beobachtete der Alpha die Vampire auf der Lichtung. In seiner Wolfsform war er ein großer hellbrauner Wolf, der seine Rudelmitglieder ein gutes Stück überragte, doch nun hatte er sich gewandelt. Auch als Mensch war seine Größe nicht zu verachten, wenn auch der Vampir ihm gegenüber ihn deutlich überragte.Der Alpha hatte sich lediglich einen eilig gereichten Umhang übergeworfen. Das braune Haar stand zerzaust vom Kopf ab, dennoch büßte der Mann auch in dieser Aufmachung nicht an Autorität ein.
Alles in Samuel drängte danach auf den Kampfplatz zu stürmen, um seine verwundeten Rudelmitglieder in die Sicherheit des Waldes zu holen, die Gefallenen zu bergen und den elenden Blutsaugern den Rest zu geben. Doch auch wenn er dem schwachen Waffenstillstand mit den Vampiren nicht traute, würde nicht ER derjenige sein, der ihn brach.Nach der Schlacht, die wie so oft die ganze Nacht angedauert hatte, hatten sich Werwölfe wie Vampire darauf geeinigt, die Kampfhandlungen zumindest für den Moment ruhen zu lassen, damit beide Seiten ihre Krieger zu sich holen konnte. Nun lag die Lichtung im schwachen Zwielicht der Morgendämmerung. Das Gras war niedergetrampelt und überall lagen Tote und Verletzte. Vampire und Werwölfe lagen fast schon friedlich Schulter an Schulter.
Mit Argusaugen beobachtete Samuel jede noch so kleine Bewegung der Vampire.Wann immer einer der Blutsauger – in seinen Augen – zu nah an einem verletzten Werwolf vorbei ging, stieß er ein warnendes Knurren aus. Doch die Vampire schienen sich ausnahmsweise einmal an die getroffene Vereinbarung zu halten und ließen die verletzten Rudelmitglieder in Ruhe.Statt dessen beeilten sie sich, ihre eigenen Kameraden möglichst schnell von der Lichtung zu schaffen. Schließlich zogen die Vampire sich hinter die ersten Bäume zurück.Lediglich ein Vampir, ein noch junger Krieger, der von den Anderen Baran genannt worden war, trat wieder einen Schritt nach vorne. Er war groß und von kräftiger Statur. Unter seiner vom Kampf zerfetzten Kleidung blitzten seine Muskeln hervor. Um die Stirn hatte er ein geflochtenes braunes Lederband gebunden, das die – wenn auch kurzen – schwarzen Haare von der Stirn und den Augen zurück hielten. Wachsam und hoch aufgerichtet blickte er zur gegenüberliegenden Seite, wo er im Schatten der Bäume Samuel sehen konnte.
Der Vampir deutete eine leichte Verneigung an. „Ihr habt Euch an Euer Wort gehalten, Alpha. Mein Dank dafür. Unsere Krieger sind in Sicherheit. Jetzt ist es an Euch, auch Eure Männer zu holen. Ihr habt mein Wort, dass wir Euch ebenso nicht behindern werden."Kaum, dass er ausgesprochen hatte, trat der Mann bereits wieder zwischen die Bäume.Auf ein lautloses Signal von Samuel hin traten einige Werwölfe in Menschengestalt auf die Lichtung um ihre Kameraden zu sich zu holen.
Die ganze Zeit ließ der Alpha die Vampire nicht aus den Augen. Noch immer traute er ihnen nicht. Noch immer fürchtete er einen neuerlichen Angriff der Feinde.Allerdings schien Baran wirklich ein Mann zu sein, der zu seinem Wort stand. Denn wann immer die Vampirkrieger neben ihm unruhig wurden, wies er sie sogleich wieder in ihre Schranken.Dennoch beeilten sich die Männer und hatten wenig später ihre Rudelmitglieder zurück in die Sicherheit des Waldes geholt.
Ein letztes Mal traten Baran und Samuel einen Schritt nach vorne auf die Lichtung und nickten sich zu.„Auch Ihr habt Euch an Euer Wort gehalten, Vampir. Mein Dank dafür."Samuel unterdrückte ein Seufzen. Es könnte so einfach sein, in Frieden zu leben. Dass es möglich – wenn auch schwierig – war, hatte ihm dieser Moment auf der Lichtung gezeigt. ER wäre jederzeit bereit, Friedensverhandlungen aufzunehmen, aber das würde wohl an den Vampiren scheitern. „Freier Abzug für beide Seiten", forderte Baran und Samuel nickte zustimmend.„Sobald die Sonne über die Bäume steigt, ist der Waffenstillstand beendet."Dieses Mal nickte Baran. „Einverstanden."
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Die Julius Chroniken - Teil 1: Die Prophezeiung
VampirosAus der alten Prophezeiung: Zwei Wesen so unterschiedlich wie Tag und Nacht Von den Göttern geschaffen und für den Frieden gemacht Nach langer Nacht wird der neue Tag beginnen, doch für eine der Seiten gibt es kein Entrinnen. Die Macht ins unendl...