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Mit einem unzufriedenen Brummen beugte Tia sich über eine der großen Truhen und räumte Bücher aus den Regalen in die Kiste hinein.
Gestern Mittag war Yagon mit seiner Patrouille zurück gekehrt, doch noch bevor sie ihn mit Fragen bestürmen konnte, hatte ihr Vater seinen Bruder in sein Büro beordert. Lange waren die beiden dort zusammen gesessen. Und sosehr Tia sich auch bemüht hatte und wie kreativ ihre Ausreden auch gewesen waren, keine der Wachen vor der Bürotür hatte die junge Frau zu ihrem Vater durchgelassen. Selbst draußen, vor dem Fenster, hatte sie keinen Erfolg gehabt, denn Samuel hatte wohlweislich die Fenster geschlossen und es ihr somit unmöglich gemacht, etwas zu hören.

Erst am Abend hatten sich schließlich alle in der großen Höhle versammelt, um die guten Nachrichten zu erfahren.
Samuel war auf ein kleines Podest gestiegen, damit alle ihn gut sehen und hören konnten.
„Wie ihr sicherlich mitbekommen habt, war Yagon mit einigen anderen Kriegern die letzten Tage unterwegs, um einen neuen, sicheren Ort für uns zu finden."
Dann hatte der Alpha seinem Bruder zugenickt und diesen auf das Podest gelassen.
Etwas verlegen war Tias Onkel auf dem Podest gestanden, einmal mehr froh, dass er der jüngere der beiden und somit nicht der Alpha war.
„Du schaffst das. Aber lass es die Anderen von DIR hören, sie werden ohnehin viele Fragen haben", hatte Samuel ihm zugeraunt.

Yagon hatte sich daraufhin etwas gestrafft und ein leicht gezwungenes Lächeln aufgesetzt.
„Es war nicht einfach, aber wir haben einen sicheren Platz gefunden, wo wir unser neues Dorf aufbauen können. Es ist auch nicht all zu weit weg und doch sehr sicher, wie wir finden.
Auf der anderen Seite des Berges, ein Stück den Hang hinauf, gibt es eine kleine Lichtung. An den wichtigsten Zugangsstellen wächst Vampirkraut, was uns zusätzlichen Schutz bieten wird.
Außerdem gibt es auch dort eine Höhle, die wir jedoch noch weiter erkunden müssen. Mit etwas Glück ist sie groß genug, um unsere Familien dort während der Kämpfe sicher und geschützt zu wissen."
Lauter Jubel war ausgebrochen und wie erwartet wurden viele Fragen gestellt, doch das hatte Tia schon nicht mehr interessiert. Für sie war in diesem Moment viel wichtiger gewesen, dass das neue Dorf nicht all zu weit von hier weg sein würde.
Bereits am nächsten Tag waren einige der Krieger aufgebrochen, um mit dem Aufbau des Dorfes zu beginnen.
Jetzt hatte man ihr die ‚ruhmreiche' Aufgabe zugeteilt, alles Hab und Gut in Kisten zu verpacken.

Tia lachte trocken auf. Nur noch knapp drei Wochen und sie würde zu den Erwachsenen gehören. Hätte man sie da nicht wirklich stärker mit einbeziehen können, anstatt sie wie die Kinder und Schwachen einfach nur Kisten packen zu lassen?
Frustriert legte sie das nächste Buch in die Kiste. ‚Legenden der Vampire', las sie den Titel und musste wider Willen schmunzeln.
Als Kind war es eines ihrer Lieblingsbücher gewesen, denn die Geschichten waren spannend und zugleich hatte sie viel über ihre Feinde gelernt. Wie viel davon jedoch wirklich stimmte, stand wohl in den Sternen.
Rasch beeilte sie sich, das Regal zu leeren und die Kiste dann noch mit leichten Decken und Kissen aufzufüllen, als sie sah, wie Noah auf sie zutrat.
„Bist du fertig mit der Kiste?"
Tia nickte nur. „Warum lässt mein Vater mich nicht dabei helfen, die Sachen in unser neues Dorf zu bringen?", beklagte sie sich bei ihrem Freund.

Noah klopfte ihr auf die Schulter. „Es ist zu gefährlich, solange du dich nicht wandeln kannst, Tia. Außerdem geht es bereits auf Neumond zu, was das Ganze noch gefährlicher macht."
Unwillig schüttelte Tia die Hand von ihrer Schulter.
„Wahrscheinlich will mein Vater mich nur mal wieder schützen. Mich würde es nicht einmal wundern, wenn ich auch nach meiner ersten Wandlung nicht kämpfen darf."
Noah seufzte. „Ich verstehe dich ja, Tia. Ich kann nachvollziehen, dass du den Blutsaugern einen Denkzettel verpassen willst. Aber du musst auch deinen Vater verstehen. Du bist alles, was er noch hat, nachdem...."

Tia knurrte scharf auf und blitzte Noah wütend an. „Fang du jetzt nicht auch noch damit an. Ja. Meine Mutter ist gestorben. Aber das ist jetzt bereits 10 Jahre her. Das Leben muss weiter gehen. Ich bin es Leid, dass mich jeder immer noch bemitleidet und mich bemuttert wie ein kleines Kind. Ich bin fast erwachsen. Es wird Zeit, dass ich auch so behandelt werde. Oder zumindest wie eine gewöhnliche Halbwüchsige und nicht wie ein schutzloses kleines Kind. Denn dass bin ich schon lange nicht mehr."
Ihr Freund hob abwehrend die Hände. „Du weißt, dass ich nicht so über dich denke..."
Leicht versöhnt brummte Tia und sah Noah entschuldigend an. „Tut mir Leid, Noah. Du kannst ja auch nichts dafür..."
Auf einmal begann der Wandler zu grinsen. „Warte hier. Ich habe eine Idee..."
Tia lachte leicht sarkastisch auf. „Wo sollte ich denn bitte auch hin?"
Noah grinste nur, ließ die Kiste stehen und lief davon.

Erst einige Minuten später kehrte er strahlend zurück.
„Du darfst mitkommen, Tia. Aber nur dieses eine Mal."
Verwirrt sah die Halbwüchsige den Mann an, doch als dieser ihr grinsend zunickte, fiel sie ihm um den Hals.
„Dann komm...lass uns gleich aufbrechen..."
Übermütig stürmte Tia zum Höhlenausgang, doch Noah war mit wenigen Schritten bei ihr.
„Langsam, Tia, es gibt ein paar...Bedingungen..."
Die junge Frau runzelte die Stirn und wollte sich gerade zu ihrem Freund umdrehen, als eine wohlbekannte Stimme sie rief.
„Tia...?"

Das Mädchen wandte sich dem Eingang zu, wo ihr Vater stand und bereits einen Schritt auf sie zu machte.
„Komm mit, wir müssen erst noch reden", forderte er seine Tochter auf.
Kurz darauf saßen Vater und Tochter im Büro des Alphas.
„Noah hat mir erzählt, was du befürchtest."
Tias Augen schienen Blitze zu versprühen, doch ihr Vater lachte nur leise.
„Auch wenn ich dich nur all zu gerne von den Kämpfen abhalten würde, sobald du erwachsen bist, werde ich es nicht tun. Es ist dein Recht und deine Pflicht, für das Rudel zu kämpfen.
Natürlich würde ich dich nur zu gerne von jeglicher Gefahr fern halten, doch das würde ohnehin nicht klappen. Du wirst eine sehr talentierte Kämpferin werden, dessen bin ich mir sicher."
Erleichtert und versöhnt nickte Tia. DIESEN Punkt hatte Noah ihrem Vater ruhig erzählen können.
„Und du hast Recht: Du bist fast erwachsen und ich sollte dir wirklich mehr zutrauen.
Es geht zwar auf Neumond zu, aber es ist fast Mittag. Somit halte ich die Gefahr, dass die Vampire plötzlich auftauchen, für eher gering.
Daher erlaube ich dir und auch Joran – denn er ist ebenso alt wie du, dass ihr beim Transport der Kisten helfen dürft. Allerdings NUR solange die Sonne hoch am Himmel steht und NUR in Begleitung einiger Krieger."

Mit einem Strahlen sprang Tia auf und fiel ihrem Vater um den Hals.
„Danke, Vater, du weißt gar nicht, wie viel mir das bedeutet."
Samuel nickte milde, schob seine Tochter dann aber auf Armeslänge von sich weg und blickte sie ernst an.
„Eines noch, Tia..."
Fragend legte das Mädchen den Kopf schief.
„KEINE Alleingänge. Du wirst genau das tun, was die Krieger dir sagen und wenn sie es sagen. Ansonsten war es das letzte Mal, dass ich eine Ausnahme für dich mache. Haben wir uns verstanden?"
Sofort nickte Tia eifrig. „Ja, Vater. Ich werde mich benehmen."
Der Alpha lächelte sacht. „Gut. Dann sag Joran Bescheid. Danach werdet ihr gleich aufbrechen. Noah hat inzwischen einige Kisten packen lassen, die auch ihr als noch nicht Gewandelte tragen könnt."
Ein weiteres Mal fiel die junge Frau ihrem Vater um den Hals, bevor sie fröhlich springend aus dem Büro rannte, um ihren Freund aufzusuchen und ihn über die guten Neuigkeiten zu informieren.

Die Julius Chroniken - Teil 1: Die ProphezeiungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt