Kapitel 4

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Noch nie glaubte Finsterpfote, so etwas Schönes gesehen zu haben. So lange träumte er davon, die Sonne zu sehen. Ihre Wärme fühlte sich traumhaft auf seinem Pelz an. Einige Wolken reisten im Himmel und Vögel glitten über den Winden. Er könnte für immer so stehen bleiben. Endlich in Freiheit und nicht in diesen moddrigen Höhlen.

Seine Mutter hatte recht mit der Schönheit der Oberfläche. Gleichzeitig löste es aber auch ein Stich in seinem Herzen aus. Sie sollten gemeinsam hier sein. Zusammen die Welt erkunden. Sie sollte nicht im Wald der Finsternis eingesperrt sein. Jenes Licht sollte seine Mutter spüren. Die schönen Gerüche riechen. Unter freiem Himmel jagen und noch so vieles mehr fiel ihm ein.

Selbst wenn die Clans ihn verbannen würden, würde er lieber als Einzelläufer durch die Welt reisen, als zum HöhlenClan zurückzukehren. Nichts bringe ihn wieder darunter. Selbst wenn es sein Tot bedeute.

Wenn jeder Sonnenuntergang so traumhaft aussah, könnte er nicht mehr ohne ihn leben.

Völlig unerwartet verdeckte ein roter Schwanz seine Sicht. Genervt schob Finsterpfote ihn wieder weg, doch Flammenpfote weigerte sich, seinen Blick zu stören: "Wenn du noch länger in die Sonne schaust, wirst du sie für eine Weile gar nicht mehr sehen können!"

"Es ist das erste Mal, dass ich die Sonne sehe, also lasse mir doch etwas Zeit, es zu genießen!", fauchte der Schüler zurück. Mit gesträubtem Nackenfell entgegnete Sternenhüters Sohn: "Deine Augen sind nicht an Sonnenlicht gewöhnt! Wenn du zu lange in sie schaust, erblindest du!"

Erschrocken schwieg Finsterpfote. Besaß das Licht eine solche Macht? Ging es wirklich so einfach?

"Entschuldigung, das wusste ich nicht", gab der Kater reumütig zu. "Das wird ja noch ein Spaß werden", spottete Flammenpfote, wurde dann aber ernst, "Wir sollten den Krater erreichen, bevor es dunkel wird."

"Kennst du den Weg?", wollte der Zweigeteilte wissen. Leicht verlegen blickte der Rote zum Himmel, wendete sich dann aber wieder zurück: "Ich muss leider zugeben, dass ich zum ersten Mal außerhalb des Kraters bin. Wir sollten einfach versuchen, den Vulkan zu besteigen. Irgendwann treffen wir auf Hüter oder erreichen den Krater."

Finsterpfote unterdrückte ein Stöhnen. Wie sollten sie ein Lager auf einem riesigen Berg finden? Leicht frustriert zeigte er seinem Begleiter, vorzugehen. Todesfinsternis Sohn folgte seinem Führer direkt hinter ihm. Gleichzeitig beschäftigte sich der Kater mit der Flora um ihn herum. Ab und zu erklärte Flammenpfote, um was es sich handelte. Finsterpfote fand es beeindruckend, wie viel er kannte.

"Was ich immer noch nicht verstehe, ist, wie du eigentlich in die Quelle geraten bist? Du hast von einem Tempel der Sterne gesprochen, aber was ist das genau?", wollte der Zweigeteilte wissen.

"Ich weiß es selbst nicht so richtig. Der Tempel der Sterne verbindet die Welt der Lebenden mit dem SternenClan. Der Tempel hat mich in sich gezogen und dann bin ich bei dir gelandet. Wie das ging, da bin ich überfragt", antwortete der Rote überlegend.

"Sternenhüter wird doch sicher wissen, was passiert ist?", vermutete sein Begleiter, stoppte aber abrupt, als Flammenpfote belustigt schnurrte. So langsam verstand Finsterpfote gar nichts mehr. Er amüsiert sich über seinen eigenen Vater und Anführer? Verstößt das nicht gegen das Gesetz der Krieger? Bedeutet das Loyalität für ihn?

"Du irrst dich über die Fähigkeiten des Papstes. Wenn es um den SternenClan geht, kann er auch nur das überbringen, was der SternenClan ihm offenbart und was er von seinem Mentor gelernt hat.

Nur weil in unseren Pelzen Sterne leuchten, wissen wir nicht alles. Das Einzige, was wir erfahren werden, das kann ich dir versprechen, wird von der obersten Priesterin sein, die sagen wird, dass allein der SternenClan weiß, was geschehen ist", erklärte der rote Schüler ruhig.

Ein wenig verwirrte es Finsterpfote immer noch. In den grausamen Erzählungen seines Vaters wurde immer behauptet, Sternenhüter beanspruche die Allwissenheit. Er schaue nur hochnäsig von seinem Berg herunter. Die Anliegen der weltlichen Clans seien ihm gleichgültig.

Ist Flammenpfote nur geblendet, weil Sternenhüter sein Vater ist oder liegt überhaupt kein Funken Wahrheit in den Beschreibungen des HöhlenClans? Was entsprach wirklich der Realität?
Führte Flammenpfote ihn in den Tod, wenn er den Krater betrete?
Würden ihm die Priester überhaupt helfen, seinem Fluch zu entkommen? Oder bestehe seine einzige Möglichkeit doch darin, einfach zu sterben?
Wie sehe seine Zukunft wohl aus? War es ein Fehler, Flammenpfote zu folgen? Hätte er lieber die Territorien der Clans verlassen sollen?
Wie sollte er seinem Schicksal entgehen, wenn jeder Schritt so verschleiert wirkte? Seine kleine Welt in den Höhlen nahm nun Ausmaße an, die ihn noch mehr einschüchterten.

Einige Kieselsteine brachten ihn zurück in die Wirklichkeit. Vor ihm strampelte sich der rote Kater einen Abhang hinauf. Erst jetzt bemerkte Finsterpfote, wie muskulös und kräftig die Beine und Pfoten von Flammenpfote waren. Wie als wäre es ganz üblich, zu klettern.

Wiederum kämpfte sich Finsterpfote mühsam hinterher. Wie aus dem Nichts stand Sternenhüters Sohn neben ihm und stützte den abgemagerten Kater. 
"Ich weiß, dass es anstrengend ist, aber wir müssen die Spitze erreichen, bevor die Sonne untergeht. In der Dunkelheit ist es viel zu gefährlich", äußerte Flammenpfote besorgt.
Immer wieder blickte er nach Westen, um den Stand der Sonne zu sehen.

Todesfinsternis Sohn schmunzelte etwas darüber. Für ihn war die Dunkelheit nichts Ungewöhnliches, was einem aufhalten sollte. Ihm taten eigentlich immer noch die Augen weh. Nachts zu reisen, gefiel dem Zweigeteilten aktuell mehr. Trotzdem beharrte der Rote darauf.
Für ihn wirkte das Ziel noch in weiter Ferne. Er musste nur nach oben schauen. Wie eine niemals endende Reise schien es.
Als sie eine kleine Wiese erreichten, atmete Finsterpfote tief aus. Weiche Erde unter den Pfoten und nicht hartes Gestein. Am liebsten hätte sich der Kater irgendwo hingelegt und kurz geruht.

Ein lautes Quieken überraschte Finsterpfote. Eine junge rote Kätzin mit gelben Pfoten stürmte auf sie zu und presste sich an Flammenpfote.
Hinter ihr tauchte eine weitere rote Kätzin mit dunklen Pfoten auf. Erst musterte sie Sternenhüters Sohn und dann Todesfinsternis.
Bevor die Hüterin ihn erreichte, schob sich Flammenpfote vor ihn: "Eichhornflamme, ich erkläre dir alles, wenn wir Finsterpfote zu Sternenhüter bringen."

Finsterpfote fühlte sich plötzlich seltsam. "Geht es dir gut?", fragte die Schülerin verwundert. Währenddessen schwankte der Schüler und die Welt wirkte plötzlich verschwommen. Immer wieder wurde ihm Schwarz vor den Augen. Die Rufe der Katzen verstummten trotz ihres Wirbelns um ihn herum. Nur noch wenig bekam er mit.
Gerade als Finsterpfote dachte, es würde wieder besser, stürzte er und rollte den Hang hinab. Der Zweigeteilte stieß gegen einen harten Stein und verlor sein Bewusstsein.

Warrior Cats ~ Lauf des SchicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt