Kapitel 1

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»Super... alles klar... danke noch mal... wir kommen zu dir!«
Mum legte auf, strahlte mich gestresst an und schlug den Kofferraum zu.
»Drück mir die Daumen«, sie strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und ich konnte mir ein spöttisches Lachen nicht verkneifen.
»Mum, es ist nur ein Pferd«, sagte ich amüsiert.
Noch nie hatte ich meine Mum so aufgeregt gesehen und das nutzte ich zu meinen Gunsten. Sie war immer sehr aufgeregt, wenn sie ein neues Pferd kaufte, Proberitt, präsentieren lies oder einfach nur anschaute. Ganz anders als zu Hause, denn dort war sie der entspannteste und zugleich wichtigste Mensch in meinem Leben. Sie nahm sich viel Zeit für meine Schwester und mich und unternahm trotz ihrer wenigen Freizeit immer viel mit uns. Am meisten genoss ich unsere gemeinsamen Ausritte und Kurzausflüge an den Wochenenden. Mich betrübte es zu wissen, dass unsere gemeinsamen Ausflüge in Zukunft nur noch sehr selten stattfinden würden. Außerdem vermisste ich meine Schwester Angie und ihre aufgeweckte und liebenswürdige Art beinahe jetzt schon.

Angie saß nicht so leidenschaftlich wie unsere Eltern oder wie ich im Sattel, sondern mit ihrem Shetty Lancelot vorgespannt im Sulky. Dennoch begleitete sie uns an den Wochenenden auf einen von Mums oder Dads Pferden eigentlich immer. Oh Gott - die Ausritte würden mir so fehlen.
Mein Dad begleitete uns eher selten, aber dennoch oft genug, um für seine Familie dazu sein.
»Es ist ja auch etwas Besonderes«, sagte Mum und verzog das Gesicht.
Dass meine Mum so aufgeregt war verdankte sie mir.
Sie war schon etwas langer auf der Suche nach einem neuen Youngster für sich gewesen und Anfang letzter Woche hatte ich das perfekte neue Pferd für sie gefunden. Es war nicht zu groß, hatte eine starke Hinterhand und war leicht zu Händeln.
Natürlich hatte ich nicht nach irgendeinem Youngster gesucht und überhaupt - ich hatte das alles nur für ihre Unterschrift eines für mich lebensverändernden Vertrags getan.
Ich wollte und musste, um in der Reiterszene weiterzukommen, nach Schloss
Emmesstetten, um dort meine letzten Schuljahre sowie auch die letzten Reitabzeichen zu absolvieren.
Schloss Emmesstetten, der Traum aller jungen Reiter.
Dort würde ich die nächsten Jahre verbringen und hoffentlich im Reitsport aufsteigen.
Ich war zu meinem Erstaunen nicht mehr im geringstem nervös.
Auf der Fahrt hierher hatte ich mir den Kopf darüber zerbrochen, ob ich neue Freunde finden, ein gutes Pferd zur Verfügung gestellt bekommen und Tante Jenny und Onkel Philipp richtig kennenlernen würde.
All diese grauenhafte Anspannung war verflogen und nun stand ich hier - auf dem Parkplatz dieses wunderschönen Anwesens.
Der Abschied von zu Hause war mir nicht sonderlich schwer gefallen.
Natürlich würde ich meine Eltern und meine Schwester vermissen, aber es war ja nicht so, dass ich sie nie wieder sehen würde.
Angie hatte mir versprochen, oft mit mir zu telefonieren und zu schreiben.
Bei meinen Freunden im Stall war mir der Abschied schon schwerer gefallen, aber auch sie würde ich wieder sehen - wenn auch wahrscheinlich als härteste Konkurrenz in der kommenden Saison.
Ich seufzte bei diesen Gedanken.
War ihnen wohl der Sport oder unsere Freundschaft wichtiger?
Ich würde es wohl so oder so herausfinden.
Aber meine beste Freundin Jacqueline hatte mir ebenfalls wie Angie versprochen jeden Tag zu schreiben.
Froh war ich, dass ich keinen Freund hatte. Das hätte wohl alles nur noch komplizierter gemacht.
Ich konnte mich nur allzu gut daran erinnern, wie die Tränen bei Jaqueline geflossen
sind und sie daraufhin fast mit dem Reiten aufgehört hatte.
Warum sollte ich mir das antun wollen? Fast hätte ich bei diesem Gedanken laut aufgelacht.
Außerdem musste ich mich voll und ganz auf den Sport und die Klausuren konzentrieren, an Freizeit war teils überhaupt nicht mehr zu denken.
Der Stundenplan der Schule war im Grunde genommen genauso aufgebaut, wie der von der Schule die ich zu Hause besucht hatte. Immer zwei Stunden Unterricht und dann eine fünfzehn Minuten Pause. Je nachdem wie viele Fächer man wählte konnte man bis zu neun oder zehn Stunden am Tag haben.
Ich hatte so viele Nebenfächer wie möglich abgewählt außer die Fächer, in denen ich gut war, denn eine zwei oder eins mehr auf dem Zeugnis schadete ja nicht und war gut für den Zeugnisdurchschnitt.
Aber zurück zum wesentlichem - jetzt stand ich hier - vor dem international bekannten Schloss meiner Tante und meines Onkels.
Jenny und Philipp kamen uns zu Feiern und Geburtstagen besuchen, ansonsten hörten wir nicht sonderlich viel von ihnen.
Ich freute mich darauf, sie wieder zu sehen und endlich richtig kennen zu lernen. Hinzu kam, dass ich im Reitsport viel von ihnen lernen konnte. Da war ich mir sicher, denn die beiden ritten teilweise erfolgreicher als Mum und Dad.
Dank ihnen musste ich auch keine Aufnahmeprüfung oder wie immer man es auch
nennen wollte bestehen.
Natürlich musste ich die Anforderungen der Schule erfüllen, aber nicht auf dem offiziellen Weg.
Ein Vorteil, wenn man Tochter einer bekannten Reiter und Trainerin war, aber ich war mir sicher, dass auch der offizielle Weg für mich kein Problem gewesen wäre.
Mein Vater war früher nicht weniger erfolgreich auf Turnieren geritten als meine Mum, hatte sich mit der Zeit allerdings aus dem Turniersport zurückgezogen um noch intensiver mit seinen Nachwuchsreitern zu arbeiten.
Von ihm und Mum hatte ich alles gelernt, was ich heute konnte und ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es wenig war.
Besonders im Springen hatten meine Eltern mich viel gelehrt.
Ich war an den täglichen Herausforderungen gewachsen und hatte auch bereits einige Turnierstarts hinter mir.
»Jenny meint, du sollst erst mal das Gelände kennenlernen, bevor sie mir ihren Youngster zeigt«, Mum legte den Kopf schief und überlegte.
Wir standen immer noch auf dem mit Schotter bedecktem Parkplatz, cirka 500 Meter
vor uns lag das Schloss.
Das Schloss hatte zahlreiche viele und eindrucksvolle Türme und Fenster.
Daran, dass es einst eine Ritterburg gewesen sein sollte, erinnerte es mich keines Wegs. Dieses Schloss sah aus, als ob es für romantische Momente in Filmen erbaut worden war, denn wenn das Schloss eines war, dann romantisch.
Bereits auf der Homepage hatte ich mir viele Videos und Fotos von dem Schloss und den Pferden angesehen. Daher wusste ich auch, dass das Schloss nur ein Teil von dem Gestüt darstellte.
In den ganzen, unzähligen Türmen waren die Räumlichkeiten untergebracht, in denen die Schülerinnen und Schüler des Reitsportinternats zu Hause waren, ebenso die Klassen- und Lernzimmer. Die zwei großen Ställe waren in vier langen sich gegenüberstehenden Reihen direkt am Schloss erbaut worden in denen die mehr als 200 Pferde untergebracht waren.
Durch die weiten Bogen am Eingang und Ausgang des vorderen Stalles, konnte man bereits die Koppeln und einen weiteren Teil des Geländes sehen.
Tante Jenny hatte mir früher immer erzählt erzählt, dass ein hinterer Teil des Schlosses abgerissen worden war und sich dort jetzt die großen belichteten Reithallen befanden. Ich war dankbar für all das, was man mir ermöglichte und das versuchte ich auch zu zeigen.
An den Wänden des Schlosses bahnten sich Kletterrosen den Weg um das Gebäude und die Stallungen. An den Stängeln sah man bereits die ersten Knospen- wie es wohl im Sommer aussah, wenn alles gerünte und blühte?

Mein Koffer rollte laut über das groß flächige Kopfsteinpflaster. Klack, klack, klack, Klack. Einen kurzen Moment dachte ich darüber nach, ob der Koffer nicht kaputt gehen konnte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Wenn, dann wäre es auch nicht mehr zu ändern.

»Wo ist denn jetzt der Hauptteil geschweige denn der Haupteingang?«, hörte ich Mum leise
fluchen. Sie blieb stehen und breitete in ihren Händen die Karte vom gesamten Gelände aus, den Jenny uns vor ein paar Tagen hatte zukommen lassen - sicherlich nett gemeint aber weder meine Mum noch ich waren in der Lage ihn richtig zu nutzen.
Wir handelten eher nach Gefühl und gingen in diesem Falle einfach drauf los. Dass wir alle nicht die Besten im Kartenlesen waren lag wohl in der Familie.
Überhaupt- Verlaufen würde man sich hier schon nicht und wenn doch schaute man eben hinterher nach und korrigierte sich
»Soll ich es Ihnen zeigen?«, fragte plötzlich eine helle Mädchenstimme.
Ich drehte mich um und erkannte ein Mädchen mit hellblonden Haaren und Sommersprossen, das uns wohl hinterhergelaufen war. Sie hatte lange Beine, eine schmale Taille und trug eine helle Reitleggins so wie eine braune Weste.
»Gerne! Aber es reicht auch, wenn du uns zu Jenny bringen wurdest, oder sagt ihr Frau Emmesstetten?« Meine Mum sah sie abwartend an.
Ich konnte mir dabei ein Lächeln nicht verkneifen.
Sie mochte es überhaupt nicht, wenn jemand etwas besser wusste als sie selbst.
Umso mehr amüsierte es mich, dass sie sich bemühte freundlich zu sein und vor allem zu bleiben.
Zugegeben, zu Fremden war sie immer nett und höflich. Man durfte eben nicht vergessen, dass sie eine Mutter war.
Das Mädchen lächelte freundlich und bewegte sich langsam in eine andere Richtung.
Mum drehte sich zu mir um. »Komm, was trödelst du denn so! Wir müssen langsam Mal los!«, zeterte sie und ich fragte mich ob sie mich wohl einfach stehen gelassen hätte, denn sie ging weiter ohne sich noch einmal zu mir umzudrehen als ware ich ihr völlig egal.
Mit gerunzelter Stirn sah ich ihr hinterher.
Typisch Mum. Oder besser gesagt, typisch erfolgreiche Reiterin.
Immer wusste sie, dass man ihr folgte was aber auch bei ihren Presseterminen und alles anderem normal war.
Wenn ich nicht so neugierig auf mein Zimmer und die anderen Mädchen gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich die erste gewesen, die diesen Mütterlichen Erfolgsschwur gebrochen hätte und einfach trotzig stehen geblieben wäre.
Aber das war ich nicht.
Ich tat in der Regel alles, um meine Mum gut da stehen zu lassen.
Sie ermöglichte mir so viel, half mir bei jedem Problem und stand mir zur Seite wo
immer sie konnte. Ich warf noch einen kurzen Blick zurück bevor ich den Griff meines Koffers ergriff und mich bemühte mit ihr und dem Mädchen Schritt zu halten.

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