"Du hast nur eine Drei in Mathe?" Enttäuscht blickte meine Mutter auf. "Ich dachte, ich hätte dich besser erzogen. Du weißt, dass nur gute Noten dir einen Weg in eine glückliche Zukunft ermöglichen." Beschämt blickte ich auf den Boden. Ich hasste es, sie zu enttäuschen, aber dieses Mal konnte ich meiner Meinung nach nichts dafür. "Ich habe das Thema einfach nicht verstanden. Ich saß stundenlang daran." "Dann hättest du dich mehr anstrengen müssen. Meinst du, ich bin mit schlechten Noten so weit gekommen? Nein, ich habe mir alles hart erarbeitet." "Aber..." "Kein Aber. Ich habe nicht gejammert, sondern gearbeitet. Das solltest du auch. Nächstes Mal strengst du dich einfach mehr an."
Geknickt ließ ich meinen Kopf hängen. Früher hatte sie nie so reagiert. Früher, als Papa noch gelebt hatte. Doch jetzt war alles anders. "Vielleicht brauche ich für dieses Thema Nachhilfe?" Entrüstet schüttelte Mum ihren Kopf. "So weit kommt es noch, dass meine Tochter Nachhilfe nehmen muss. Nein, ich werde morgen bei deinem Lehrer anrufen und mit ihm sprechen, dass du ein Referat machen kannst. So", damit war das Thema für sie beendet und sie stellte die Teller auf den Tisch. "Wir essen jetzt."
Das Essen verlief schweigsam und angespannt. Ich fragte mich, wann es so geworden war, so distanziert und kalt zwischen uns. Eigentlich hatten wir nämlich immer eine sehr enge und herzliche Beziehung gehabt. Wir haben alles miteinander geteilt, fast wie Freundinnen. Es war nicht von jetzt auf gleich anders geworden. Nein, es hatte sich langsam, fast schon schleichend, etwas geändert. Ich wusste, irgendwo steckte noch die Alte in ihr drinnen, aber ich wusste nicht, ob sie jemals noch mal zum Vorschein kommen würde.
Das Abendessen endete, und Mum verabschiedete sich kühl in ihr Zimmer. Ich war mir sicher, dass sie nicht wieder rauskommen würde. Das hatte sich auch geändert. Wir verbrachten so gut wie keinen Abend mehr miteinander. Schweigend räumte ich den Tisch ab und fand mich dann auf der Küchenplatte wieder. Ich fühlte mich so verdammt einsam. Irgendwie hatte ich das Gefühl, von allen verlassen worden zu sein.
Ich hasste es, mich so schwach zu fühlen, so verletzlich. Eigentlich dachte ich immer, ich wäre stark, würde alles nicht so nah an mich heranlassen, aber da irrte ich mich gewaltig. Ich war emotional geworden. Mich brachte eine beschissene Ansage meiner Mutter fast zum Heulen. Das war doch zum Kotzen. Ich schätzte mal, der Tod meines Vaters hatte nicht nur meine Mutter verändert. Vor meinem inneren Auge blitzte das Bild meines Vaters auf, wie er lächelnd vor mir stand, durch meine Haare wuschelte und mir einen Kuss auf die Stirn drückte. "Ich liebe dich", hörte ich seine sanfte Stimme dazu. Ich schniefte, weil mich das Bild vollkommen aus dem Konzept brachte. Ich hielt das nicht mehr aus. Ich sprang von der Küchenplatte und schnappte mir meinen Wohnungsschlüssel und mein Handy. Ich musste raus.
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Walking a Storm
Teen FictionJuna Sophie Davis liebt ihren besten Freund! Dachte sie zumindest, denn als sie mit dem Beliebtesten, Drogen dealenden, nervigsten und arrogantesten Jungen der Schule eingesperrt wird ändert sich schlagartig die Lage und zu ihrem Leidwesen auch ihre...