E L F

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Verwundert blinzele ich. Hat er gerade gesagt, dass...

»Kennst du dich wohl aus?«, bringe ich noch verwundert hervor. Dieser Mann schafft es wirklich, mich am laufenden Band zu überraschen. Oder zu überrumpeln. Wie auch immer.

Er nickt und antwortet mit einem schlichten: »Ja.«

Ich warte darauf, dass er noch irgendwas sagt, aber es kommt nichts mehr. Ich räuspere mich. »Gut, und wie genau könntest du mir helfen? Willst du dir meinen Rechner mal ansehen?«

Innerlich schaudere ich. Um Gottes Willen, das klingt ja wie der Anfang eines schlechten Pornos.

Doch Silas scheint diese Situation null unangenehm oder peinlich zu sein, denn er zuckt nur entspannt die Schultern und entgegnet: »Klar, das kann ich machen, wenn du möchtest.«

Ich frage mich für einen Moment, ob es irgendwie komisch ist, ihn zu mir nach Hause einzuladen, obwohl wir unterm Strich vermutlich nicht mehr als zehn Minuten Zeit miteinander verbracht haben.

Ich komme zu dem Schluss, dass es auf jeden Fall komisch ist. Andererseits wäre das eine tolle Möglichkeit, meinen Computer wieder zum Laufen zu bringen. Und was meine Sicherheit angeht, fällt mir bestimmt noch was ein. Obwohl ich ziemlich stark davon überzeugt bin, dass Silas kein Serienkiller ist. Aber man weiß ja nie. Meine Eltern haben in ihrer Erziehung penibel darauf geachtet, dass ich lerne auf mich aufzupassen. Manchmal bin ich zwar der Meinung, dass sie etwas übertreiben, doch im Großen und Ganzen bin ich ihnen sehr dankbar – es kam nicht nur ein Mal vor, dass mir deren Lektionen den Arsch gerettet haben.

Ich nicke. »Super, dann danke! Wann kannst du vorbeikommen?«

»Eigentlich auch heute, theoretisch. Meine Schicht geht noch zwei Stunden, danach könnte ich. Wenn das für dich passt.«

»Oh, heute ist leider schlecht, ich bin verabredet. Wie sieht's mit morgen aus?«

»Doch nicht wieder mit diesem schrecklichen Typen von letztens?«

Ich lache. »Nein, nein, den will ich nie wieder sehen.«

Er sieht aus, als wollte er noch etwas zu dem Thema sagen, schließt jedoch wieder den Mund. Schließlich meint er, dass morgen gehen würde und wir machen aus, dass er um zwei bei mir ist. Wir tauschen Nummern aus und er verspricht, sich zu melden, falls er meinen Häuserblock nicht finden kann, denn dieser ist ein wenig hinter einem von Bäumen umringten Park versteckt. Ich greife mir meinen Kaffee, verabschiede mich und gehe wieder. Merkwürdigerweise kam mir Silas bei unserem Abschied etwas zerstreut vor. Wahrscheinlich ist es anstrengender ein Café zu leiten, als man meinen könnte.

Auf dem Weg nach Hause rufe ich meine Mutter an.

»Hallo, Schatz«, nimmt sie nach dem dritten Klingeln ab.

»Hi, Mama. Wie geht's?«

Wir unterhalten uns ein Weilchen über alles und nichts, dann kläre ich sie über den hauptsächlichen Grund meines Anrufs auf. »Ich wollte dir nur sagen, dass ich morgen von jemandem Besuch bekomme, der meinen Rechner repariert. Wir kennen uns noch nicht so lange, also... einfach nur, dass ihr Bescheid wisst.«

»Alles klar, ich habe mein Handy dann in der Nähe, sollte was sein. Wer ist das überhaupt?«

Mir wird heiß und kalt. Wie soll ich das meiner Mutter erklären? Haha, witzig dass du fragst, Mama. Er heißt Silas und hat mich vor einem der katastrophalsten Dates meines Lebens gerettet. Dann wollte ich ihn auf einen Kaffee einladen und er hat Nein gesagt. Kurz später habe ich rausgefunden, dass er der neue Chef meines Lieblingscafés ist. Ich sehe ihn also ab jetzt echt oft und muss jedes Mal dieses Gefühl von Scham und Zurückweisung runterschlucken, wenn ich ihn sehe. Außerdem ist er sündhaft heiß und seine Stimme macht komische Sachen mit mir. Sehr cool, oder?

... wohl eher nicht.

»Äh, er ist ein Bekannter über ein paar Ecken, sozusagen.«

»Verstehe. Wann können wir dich eigentlich mal wieder besuchen?«

Ich atme auf, unglaublich erleichtert, dass meine Mutter nicht weiter auf dem Thema Silas herumreiten will.

Ich merke, dass ich ihm schon wieder viel mehr Raum in meinen Gedanken gegeben habe, als mir lieb ist. Das ist zwar auch ein wenig der Tatsache geschuldet, dass ich ihn gerade getroffen habe und er morgen zu mir nach Hause kommt, aber... trotzdem.

Meine Mutter nimmt mir das Versprechen ab, dass wir uns bald mal wieder treffen und dann legen wir auf.

Ich habe mir schon den ganzen Tag über Gedanken gemacht, was ich heute zu meinem Date mit David anziehen soll. Ich bin noch etwas unentschlossen, da ich mich davor fürchte, dass mir bei meiner Outfit-Auswahl vielleicht etwas zu kalt werden könnte. Es ist zwar so, dass es für gewöhnlich angenehm warm ist in Restaurants, doch ich habe auch schon andere Erfahrungen gemacht.

Schlussendlich entscheide ich mich für eine hohe, anthrazitfarbene Nadelstreifenhose mit weiten Beinen, klobige Stiefel und eine lockere weiße Bluse, die ich in den Bund stecke. Ich lege mir noch meinen liebsten Goldschmuck an und schminke mich anschließend. Normalerweise gehe ich meiner Routine genau umgekehrt nach – das heißt, erst Make-up, dann Klamotten (so kann man Flecken vermeiden) – doch heute bin ich etwas nervös und weiß gar nicht richtig, wo mir der Kopf steht.

Bevor ich gehe, werfe ich noch einen Blick in den Spiegel an meiner Garderobe. Zufrieden nicke ich. Mein dickes blondes Haar wird von einem gepolsterten, rosa Haarreif zurückgehalten und meine Augen ziert eine ähnliche Farbe. Obwohl ich am Ende etwas in Eile war, ist mir mein dunkelroter Lidstrich doch noch gelungen, wie ich zufrieden feststelle.

Das Restaurant, in dem wir uns heute treffen, ist sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen und dafür berüchtigt, nur wenige Parkplätze zu haben. Deshalb lasse ich mein Auto stehen und steuere die Bushaltestelle an.

Als ich das Burgerrestaurant erreiche, kann ich durch die Fensterfronten ausmachen, dass David schon da ist. Er dreht den Kopf zur Seite und sieht mich. Wir winken uns lächelnd zu, dann betrete ich das Restaurant und steuere unseren Tisch an.

Seine strahlend blauen Augen blitzen erfreut, als ich auf ihn zulaufe. Wir umarmen uns kurz und nehmen dann in zwei gegenüberliegenden Sitznischen Platz. Hier ist es relativ gut besucht, doch es dauert trotzdem nicht lange, bis unsere Bestellung aufgenommen wird. Wir beschließen beide, den Cocktail des Hauses zu probieren und anschließend das Essen zu bestellen.

»Ich freue mich voll, dass das heute geklappt hat«, sagt David. Ich stimme ihm zu. »Ich auch, ist ein echt toller Laden, soweit ich das beurteilen kann.«

»Ach, und ich bin eher so Nebensache?«, witzelt er.

»Klar, ich bin nur wegen den guten Bewertungen hier. Du bist der Bonus.«

»Na, immerhin.«

Der Rest des Abends verläuft ähnlich entspannt und die zwei Cocktails, die wir intus haben, lockern unsere Zungen etwas. Ich habe Spaß und er auch, wie es aussieht. Es ist zwar nicht so, dass ich eine halbe Armee Schmetterlinge in meinem Bauch fühle, aber ganz ehrlich? Muss auch nicht unbedingt sein. Schließlich kann das noch kommen und so lange kennen David und ich uns auch gar nicht.

Silas kennst du sogar noch weniger und er bringt deinen Puls mit einem Blick zum rasen, sagt eine fiese Stimme in mir. Ich ignoriere sie und konzentriere mich stattdessen auf mein Date. Mein wirklich nettes, witziges Date. Er hat meine vollste Aufmerksamkeit verdient – nicht irgendeine blöde Stimme in meinem Schädel. 

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