D R E I ß I G

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»Es gibt etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe. Der wahre Grund dafür, warum ich nicht mit dir zusammen sein kann.«

Ich spüre, wie mir das Herz rapide in die Hose sinkt. Sehr unsanft. Atemberaubend – aber nicht auf die gute Art. Ich spüre, wie Angst meine Adern flutet, kalt und brennend wie Eis. Wie erstarrt sitze ich da, unfähig mich zu bewegen oder etwas zu Silas' Worten zu sagen.

»Ich weiß, dass... dass ich dir das eigentlich sagen sollte. Und irgendwann – bald – werde ich es tun. Aber ich kann es einfach noch nicht. Das macht mich schwach. Es ist verdammt unfair dir gegenüber. Ich bin unfair dir gegenüber, schon die ganze Zeit gewesen. Es war so verdammt egoistisch von mir, wie ich mit dir umgegangen bin. Das einzig Richtige wäre gewesen, dir entweder ganz von Anfang an zu erzählen, was das Problem ist, oder dich komplett in Ruhe zu lassen. Nichts von beidem habe ich auf die Reihe gekriegt. Jetzt leidest du darunter.«

Silas' Stimme klingt so unglaublich bitter, dass es mich fast schon schüttelt. Ich bin solch negative Energie gar nicht von ihm gewohnt und es beunruhigt mich von Sekunde zu Sekunde mehr, auf was dieses Gespräch hinsteuern könnte. Was ist es, das er mir nicht erzählen kann?

Verzweifelt beugt er sich in seinem Sessel vor und vergräbt das Gesicht in den Händen. Kurz bin ich davon überzeugt, dass er weint, doch als er sich wieder aufrichtet, sieht er lediglich sehr verhärmt und abgekämpft aus. Er meidet meinen Blick.

Ein Teil von mir würde ihn am liebsten packen und schütteln, damit er mir nun endlich sagt, was ich wissen muss. Allerdings schaffe ich es nicht mal, den Mund aufzumachen. Alles was ich tun kann, ist warten.

Endlich sieht er mich wieder an. Die Zärtlichkeit in seinem Blick sorgt ein weiteres Mal dafür, dass mir der Atem stockt. »Oh, Romy... ich weiß, das klingt blöd und klischeehaft, aber ich habe noch nie in meinem Leben etwas für eine Frau gefühlt, das dem ähnelt, was ich für dich fühle. Ich will gar nicht wissen, was aus diesen Gefühlen werden würde, wenn wir uns besser und länger kennen würden. Ich dachte ehrlich nicht, dass es sowas gibt. Dass man einen Menschen einfach einmal ansieht und weiß, dass er irgendwas in seiner Seele hat, das perfekt zu der eigenen Seele passt. Es ist verrückt.«

Gedankenverloren schüttelt er den Kopf. Ich bin wie gelähmt von seinen Worten. In mir tobt ein wahrer Sturm aus Emotionen. Da ist Wut, Enttäuschung, Zuneigung, Angst, Freude und Sehnsucht... so viel Sehnsucht.

»Ich glaube, ich verstehe was du meinst«, kommt es mir über die Lippen. Er sieht mich nur stumm an und unsere Blicke verhaken sich ineinander.

Ich fühle, wie nah Silas mittlerweile an meinem Herzen ist. Und ich weiß in diesem Moment ganz genau, dass es ihm auch so geht.

Und auf einmal ist es mir egal, dass noch etwas zwischen uns steht, uns auseinander hält. Denn ich weiß, dass es nichts ist, das wir nicht überwinden können. Vielleicht hat Silas noch nicht den Glauben daran, dass wir das schaffen. Dafür habe ich ihn umso stärker.

Ich werde es nicht zulassen. Ich werde nicht zulassen, dass wir uns selbst Steine in den Weg legen, bevor irgendwer oder irgendwas anderes es tut.

Nein. Ich werde Silas festhalten und ihn nicht mehr gehen lassen.

Ich erhebe mich aus meinem Sessel und er tut es mir gleich, ohne den Blickkontakt zu unterbrechen. Ich strecke die Hände nach ihm aus, er begegnet mir mit seinen. Wir ziehen uns gegenseitig in eine tiefe, innige Umarmung.

Ich vergrabe mein Gesicht an seiner Schulter und er umschlingt meinen Rücken, leicht vornübergebeugt, da er größer ist. Er fährt mir mit einer Hand durch die Haare, neigt seinen Kopf so, dass er mir einen Kuss auf den Hals geben kann. Eine Weile verharren wir beide so, mein Herzschlag an seinem. Dann löst er sich leicht von mir, gerade so viel, dass wir uns verschwommen sehen können.

Ich weiß nicht, wer von uns den ersten Schritt macht, doch plötzlich, endlich, liegen unsere Lippen aufeinander.

Es fühlt sich anders und zugleich genau so an, wie ich es mir vorgestellt habe.

Seine Hände umfassen fest, doch gleichzeitig sanft mein Gesicht während sich unsere Lippen aneinander bewegen. Ein leises Stöhnen dringt an mein Ohr, doch ich weiß nicht, von wem von uns beiden es kommt. Das hier fühlt sich so richtig an.

Der Kuss wird intensiver, gröber und schneller.

Egal wie intensiv, wie hart wir uns küssen, es ist einfach nicht genug. Frustriert kralle ich meine Finger in seine festen Schultern und versuche, mich noch enger an ihn zu pressen, förmlich in ihn hineinzukriechen, doch es ist nicht genug.

»Willst du...?«, murmelt er an meinem Hals.

»Ja!«, stoße ich atemlos hervor.

Er nimmt mich bei der Hand und führt mich aus dem Salon, den Korridor entlang, die Treppe nach oben, bis wir in seinem Schlafzimmer stehen.

Anstatt meine Hand loszulassen, nimmt er auch meine andere. »Ist das in Ordnung für dich? Hier zu sein?« Fast hätte ich bei der Frage gelacht, denn es ist sehr viel mehr als nur ›in Ordnung‹ für mich, doch ich weiß, dass er sichergehen will, dass es mir gut geht und ich mit allem einverstanden bin – was ich sehr zu schätzen weiß.

Ich nicke enthusiastisch und er lächelt. Dann machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben.

Das Verlangen, das wie eine sanfte Kerzenflamme begonnen hat, brennt mittlerweile in mir wie ein außer Kontrolle geratenes Lagerfeuer. Das drängende Ziehen zwischen meinen Beinen wird immer stärker und ich spüre an meinen Bauch, dass es Silas nicht anders geht.

Seine Lippen ziehen eine feuchte Spur an meinem Kiefer entlang, als er sich wieder zu meinem Hals herunterarbeitet. Ich erschauere, als er seine Zähne einsetzt und leicht an meiner Haut zu knabbern beginnt. »Diese Stelle gefällt dir, oder?«, flüstere ich atemlos.

»Alles an dir gefällt mir. Jeder verdammte Zentimeter.«

Bei seinen Worten knicken mir fast die Knie weg. Dass er mich fest in seinen Armen hält, verhindert dies jedoch.

Sanft dirigiert er mich rückwärts, sodass wir gemeinsam auf sein Bett fallen. Ich bin viel zu versunken in Silas, als dass ich überhaupt hätte registrieren können, wie es in seinem Schlafzimmer aussieht. Ich weiß lediglich, dass sein Geruch hier intensiver in der Luft hängt als in den anderen Räumen und sich sein Bett wie eine riesige Wolke anfühlt.

Silas stützt seine Unterarme jeweils links und rechts von meinem Kopf ab und blickt auf mich herunter. Unsere Nasenspitzen berühren sich fast und er sieht mich schwer atmend an. »Ist das okay?«, fragt er. Ich lächle. »Es ist perfekt.«

Sofort macht er damit weiter, meinen Hals zu liebkosen, durch meine Haare zu streichen und mir ins Ohr zu flüstern, wie wunderschön ich bin. Ich liebe es, vermisse es jedoch, seine Lippen auf meinen zu spüren.

Also nehme ich seinen Kopf in die Hände und dirigiere ihn sanft zu mir nach oben. Er versteht, lächelt mich verschmitzt an und küsst mich endlich.

Für einen sehr kurzen Moment höre ich die Stimme der Vernunft in meinem Kopf. Sie fragt mich, was um alles in der Welt ich mir dabei denke. Sie will wissen, ob ich mir dessen bewusst bin, dass Silas seine Meinung zu einer Beziehung mit mir nicht von heute auf morgen geändert haben wird. Sie warnt mich davor, mir das Herz brechen zu lassen.

Ich sage der Stimme, dass sie still sein soll.

HerzschaumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt