S E C H Z E H N

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Silas und ich sind so verblieben, dass er in den nächsten Tagen nochmal bei mir vorbeischaut, da er leider noch nicht wirklich das Problem meines Computers ausfindig machen konnte.

Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es mich nervt. Denn in Wahrheit freue ich mich, mehr Zeit mit ihm verbringen zu können. Aber das ist nicht gut. Ganz und gar nicht gut. Es macht alles einfach so verdammt kompliziert.

Nachdem Silas gegangen ist, sitze ich da und starre die Rosen an, die David mir geschenkt hat. Merkwürdig, es war erst vor wenigen Stunden und doch fühlt es sich an, als wäre es Jahre her gewesen, dass er plötzlich vor meiner Tür stand und mich mit dieser süßen Geste überrascht hat.

Am nächsten Morgen fällt mir ein, dass es vielleicht mal wieder an der Zeit wäre, mich bei David zu melden. Es ist bereits zehn, also dürfte er schon wach sein. So kommt es, dass ich ihn kurzerhand anrufe.

Nach dem dritten Klingeln hebt er ab. »Romy, hi! Schön, dass du anrufst, das hast du noch nie getan.«

Ich lache unsicher. »Oh, tatsächlich? Naja, wir kennen uns ja jetzt lange genug, da dachte ich mir...« Meine Stimme verliert sich. Ich räuspere mich. »Ich wollte mich einfach melden und schauen, wie es dir geht.« Davids Lächeln kann ich fast schon durch die Leitung hören. Mein Magen krampft sich zusammen, als mich eine brennend heiße Welle schlechten Gewissens packt.

»Das freut mich! Mir geht es eigentlich ganz gut.«

»Eigentlich?«, hake ich nach und hoffe, dass es nichts mit mir zu tun hat. Kann es sein, dass er mich durchschaut hat? Blödsinn, schimpfe ich mich. Du wirst langsam paranoid.

»Naja, manchmal steht man einfach mit dem falschen Fuß auf. Kennst du das?«

Ich lache. »Klar kenne ich das. Möchtest du über irgendwas reden?«

Kurz herrscht Stille in der Leitung. Dann setzt David zaghaft an: »Vielleicht bilde ich es mir auch nur ein, aber... ich möchte dich etwas fragen.« Unwillkürlich wird mir schlecht. Also doch. Er hat es gemerkt.

»Schieß los!«, sage ich so unbeschwert, wie mir möglich ist. Ich höre meinen eigenen Herzschlag in den Ohren. Es fühlt sich unnatürlich an.

»Kann es sein, dass...« Er stockt und spricht nicht weiter. »Dass was?«, muss ich also nachhaken. Ich merke, wie meine Handflächen schwitzig werden und wische sie geistesabwesend an meiner Hose ab.

»Naja, dass... also ich hatte den Eindruck, dass...«, druckst er herum. Ich kann mich gerade noch davon abhalten ›JETZT SAG SCHON, VERDAMMT NOCHMAL!‹ in den Hörer zu plärren. Ich schließe die Augen und zähle bis zehn. Es wäre unfair und nicht besonders nett, sowas zu sagen. Manchmal kostet es einen eben Mühe, etwas anzusprechen. Innerlich wappne ich mich schon für die Worte, die gleich kommen werden, mache mich dafür bereit, wenn er mir ganz klar sagen wird, dass er genau weiß, dass ich nicht zu hundert Prozent bei der Sache bin...

Doch es soll anders kommen.

»Nenn mich verrückt, aber ich hatte gestern das Gefühl, dass dieser ›Bekannte‹, der deinen Rechner reparieren soll, etwas mehr von dir will.«

Ich blinzele. Seine Worte ergeben keinen Sinn in meinem Kopf. Es dauert mehrere Sekunden, bis der Sinn ebendieser Worte endlich zu mir durchdringt. Kurz spüre ich einen Funken Erleichterung, da er mir nicht auf die Schliche gekommen ist, doch dann wird mir klar, was er mir da eigentlich gesagt hat. Unwillkürlich spüre ich, wie das Blut in meinen Kopf rauscht. Ich stoße ein überraschtes Lachen aus. »O Gott, nein! Da hast du bestimmt etwas falsch verstanden!«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass das nicht so ist«, entgegnet David leicht beleidigt. Plötzlich spüre ich erneut schlechtes Gewissen. »Ich wollte dich nicht auslachen, oder sowas«, beschwichtige ich ihn. »Es ist nur so, dass die Vorstellung sehr absurd ist. Es tut mir leid.«

»Du musst dich nicht entschuldigen, aber versprich mir, dass du zumindest ein Auge darauf hast.«

»Wie... kommst du überhaupt auf den Gedanken, dass er was von mir wollen könnte?«, wage ich es schließlich zu fragen. Mein Herzkreislauf macht Loopings, während ich gespannt auf seine Antwort warte. Warum interessiert es mich eigentlich so brennend, was er sagt? Seine Theorie ist eindeutig falsch.

»Als ich dir die Blumen gegeben und wir uns umarmt haben, hat er wirklich komisch geguckt. Irgendwie genervt, oder so.«

»Kann ja sein, dass er einfach nur genervt war, weil er nicht warten wollte? Vielleicht ist er ja gestern mit dem falschen Fuß aufgestanden«, versuche ich, einen Witz zu machen, doch David ist zu abgelenkt, um zu lachen.

»Nein, ich bin mir sicher, dass es nicht das war! Ich weiß wie jemand aussieht, der eifersüchtig ist, glaub mir. Alles was ich sagen will, ist ja nur, dass du ein Auge drauf haben solltest. Nicht, dass er sich etwas erhofft, oder so.«

»Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast, aber ich kann dich auf jeden Fall beruhigen, dass Silas nichts von mir will. Er ist nur da, um meinen Computer zu reparieren.« Trotz meiner diplomatischen Antwort habe ich das Gefühl, dass David sich eine andere Reaktion von mir erhofft hat.

...

Selbst Stunden später spüre ich noch die Nervosität, die dieses Telefonat mit David bei mir verursacht hat. Es ist schwierig, seine Worte einfach zu vergessen. Auch wenn ich nach wie vor denke, dass die Theorie, die er da aufgestellt hat, nicht stimmt. Denn warum sollte Silas plötzlich doch Interesse an mir haben, nachdem er mir vor nicht allzu langer Zeit eine sehr direkte (wenn auch höfliche) Abfuhr erteilt hat? Das ergäbe absolut keinen Sinn.

Ich beschließe, Davids Vermutungen nicht zu viel Gewicht zu geben. Gleichzeitig ertappe ich mich bei dem Bedürfnis, mich jemandem anvertrauen zu können. Es ist nicht so, dass ich keine Freunde hätte, die für sowas infrage kämen, doch bisher habe ich mich immer mit Susann über solche Dinge unterhalten. Nun, das kommt auf jeden Fall zurzeit nicht infrage.

Ich weiß ehrlich gesagt immer noch nicht, wie ich mich ihr gegenüber weiterhin verhalten soll. Wäre es eine Option, sie anzuschreiben? Oder soll ich ihr doch lieber noch etwas Raum lassen?

Mit in den Händen vergrabenem Gesicht lasse ich mich auf die Couch fallen und frage mich dabei, wann genau mein Leben eigentlich so kompliziert geworden ist.

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