Z W Ö L F

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Ich ertappe mich bei der Überlegung, David mit nach Hause nehmen zu wollen. Doch ich entscheide mich dagegen, als wir uns verabschieden, da ich mich einfach noch nicht soweit fühle – das ist schließlich unser zweites Date. Ich bin einfach auch ein Mensch, der Zeit braucht, um Vertrauen zu anderen Personen aufzubauen.

Außerdem habe ich bereits etwas Alkohol intus und schließe die Möglichkeit nicht aus, eine solche Entscheidung am nächsten Morgen zu bereuen. Deswegen warte ich lieber noch etwas damit, David näher zu kommen.

Er hat von seiner Seite aus auch immer respektvollen Abstand gewahrt und meine Zeichen richtig gelesen. Wir umarmen uns und tauschen Wangenküsschen aus, doch mehr passiert vor unserer Verabschiedung nicht.

Etwa eine halbe Stunde später bin ich wieder zu Hause und habe David auf seinen Wunsch hin wieder geschrieben, dass ich gut zu meiner Wohnung gefunden habe. So schön der Abend auch war, hat er mich doch ziemlich ausgelaugt. Gut, es war eigentlich der gesamte Tag, der mir einiges abverlangt hat, angefangen bei meinem Rechner, der spontan beschlossen hat, den Geist aufzugeben.

Ich versuche nicht zu viel über die Tatsache nachzudenken, dass Silas morgen bei mir auf der Matte stehen wird. Ich blicke mich um. Mist, vielleicht hätte ich noch etwas aufräumen sollen.

Es ist nicht direkt unordentlich, aber doch leicht chaotisch. Gut, dass ich wenigstens vorgestern gestaubsaugt und geputzt habe. Es gibt nichts unangenehmeres als eine dreckige Wohnung. Hier und da ein paar herumfliegende Kaputzenpullis bringen meine Welt aber nicht zum Stillstand.

Es dauert nicht lange, bis ich mit geputzten Zähnen und in meinen kuscheligsten Pyjama gehüllt in meinem Bett liege. Gerade als ich mein Handy weglegen möchte, zeigt es mir eine neue Nachricht von David an.

»Ich fand es heute wieder wirklich toll mit dir. Ich freue mich schon auf unser Wiedersehen. Schlaf gut und träum was schönes!«

Am Ende der Nachricht befindet sich ein Kuss-Emoji was ich sehr süß finde. Ich antworte ihm, dass es mir ebenfalls viel Spaß gemacht hat und ich mich auch freue, ihn bald wieder zu treffen.

Als ich danach in das Land der Träume drifte, kann ich behaupten, dass mich kein einziger Gedanke an morgen quält. So wie es auch sein sollte, verdammt nochmal.

...

Ich wache noch vor dem Wecker auf, den ich mir für den Tag gestellt habe. Das passiert nicht unbedingt selten, da sich mein Körper bereits darauf eingestellt hat, immer zur gleichen Zeit aufzuwachen. Es gab Zeiten, in denen ich einfach immer irgendwann ins Bett bin und dementsprechend auch irgendwann den Tag gestartet habe – das teilweise dann zwei Uhr Nachmittags war. Irgendwie hat sich das nicht wirklich gut angefühlt, weswegen ich eine Schlafroutine erstellt habe, der ich jeden Tag folge.

Aber heute ist der Grund für mein früheres Aufwachen nicht, dass mein Körper einen sehr festen Rhythmus gefunden hat. So ungern ich das auch zugeben möchte, es liegt an Silas – oder besser gesagt, an seinem Besuch in wenigen Stunden. Es nervt mich. So. Sehr.

Während ich mir mein Frühstück zubereite frage ich mich, was genau mich eigentlich so an einem Mann fasziniert, der sich nicht mal auf diese Weise für mich interessiert. Es ist wirklich nicht so, dass es mich anzieht, wenn mir ein Mann keine Beachtung schenkt. Im Gegenteil, das finde ich sogar besonders langweilig. Ich hatte in der Vergangenheit Freundinnen, die diesen Typen dann nur umso mehr hinterhergerannt sind.

Das kann es also nicht sein. Aber warum macht er mich dann so nervös?

Mich beschäftigt diese Frage noch eine ganze Weile. Ich denke daran, als ich mich umziehe. Ich denke daran, als ich noch ein wenig aufräume. Ich denke sogar daran, als ich eigentlich an ganz andere Dinge denke. Zum Beispiel, was ich mit meinen Haaren machen soll. Ob es komisch ist, wenn ich geschminkt bin. Anschließend verspüre ich das brennende Bedürfnis mir selbst eine reinzuhauen, da ich mich doch noch nie davon abhängig gemacht habe, was andere von mir denken oder denken könnten. Ich habe ganz sicher nicht vor, jetzt plötzlich damit anzufangen.

Also schminke ich mich einfach, als würde ich heute den Tag ganz allein verbringen. Der einzige Faktor, von dem ich es abhängig mache, ob ich mich aufbrezele, ist der, ob ich Lust dazu habe. Punkt.

Heute ist mir nach Glitzer. Lila Glitzer, um genau zu sein. Also lege ich fliederfarbenen Lidschatten auf, einen braunen Lidstrich dazu und den Rest meines Gesichts halte ich relativ neutral und lasse sogar meine Sommersprossen durchschimmern.

Ich trage eine enge Jeans und einen sonnengelben Hoodie. Ich liebe diese Kombination von dem Lila meiner Augenlider und diesem satten, warmen Gelb meines Pullis. Ich bin ein Mensch, der aus solchen Kleinigkeiten sehr viel Glück gewinnt.

Meine Haare frisiere ich noch schnell mit einer durchsichtigen Plastikklammer, danach bin ich fertig. Ich lasse mich mit einem Pfefferminztee auf meiner Couch nieder und entspannte etwas. Zumindest versuche ich es. Ein bisschen ist mir das sogar gelungen...

Gut, wem will ich eigentlich was vormachen? Ich mache mir vor Nervosität fast in die Hosen. Es ist schließlich das eine, Silas einfach nur so im Café oder sonst wo zu begegnen. Doch es ist nochmal eine ganz andere Hausnummer, ihn in meinen eigenen vier Wänden zu empfangen. Ich denke, da ist es auch okay, etwas nervös zu sein.

Ganz ehrlich, ich wäre sogar nervös, wenn ich nicht total sinnlos in ihn verknallt wäre.

Ich werde nicht lügen. In den nächsten Stunden kommt es nicht nur einmal vor, dass ich darüber nachdenke, alles einfach abzublasen und Silas zu schreiben, dass mein Computer wieder von den Toten auferstanden ist. Doch das wäre schlicht feige und auch nicht sehr zielführend – mein Computer wäre dann immer noch kaputt und ich stünde dumm da, entweder nicht dazu fähig, meinen Job zu machen oder einiges an Geld leichter, da ich dann doch die Reparatur bezahlen müsste. Beides keine sonderlich rosigen Aussichten.

Ich bekomme keine Nachricht von Silas, was bedeutet, dass er wohl soweit keinerlei Probleme damit hat, meine Wohnung zu finden. Er macht auf mich nicht gerade den Eindruck eines unpünktlichen Menschen, was bedeuten müsste, dass er ganz in der Nähe ist.

Als es wenige Minuten daraufhin an meiner Tür klingelt, sehe ich mich in meiner Vermutung bestätigt. Es ist sogar etwas früher, als wir eigentlich miteinander ausgemacht hatten. Ich wische mir meine schwitzigen Handflächen an der Hose ab, öffne die Tür...

... und sehe, dass es nicht Silas ist, der davor steht.

HerzschaumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt