›Was würde passieren, wenn ich jetzt einfach umdrehe und gehe?‹, frage ich mich für einen Moment. ›Blödsinn, du bleibst hier!‹, schnauze ich mich prompt in Gedanken an. Der Mann, der mich gerettet und mir anschließend eine der peinlichsten Erfahrungen meines Lebens beschert hat, sieht mich abwartend an.
»Ich überlege noch«, bringe ich mit viel zu schnell schlagendem Herzen hervor. Er nickt. »Lass es mich wissen, wenn du soweit bist.« Damit verschwindet er wieder nach hinten und lässt mich allein.
Ich seufze. So verlockend es auch wäre, einfach das Weite zu suchen, kann ich das mit meinem Stolz nicht vereinbaren. Wenn ich verschwinden würde, wüsste der Kerl natürlich sofort, dass ich wegen ihm abgehauen bin. Wie peinlich wäre das dann bitte?!
Ich stoße erneut ein leises Seufzen aus und massiere mir die Nasenwurzel. Ich schaffe das. Ich werde einfach wie immer einen Karamell-Kaffee bestellen und dann wieder gehen. Ganz simpel. Keine Raketenwissenschaft. »Ich glaub, ich weiß, was ich will«, rufe ich schließlich nach hinten. Kurz später ertönen leise Schritte und er steht wieder vor mir. Ich gebe meine Bestellung auf und versuche eiskalt auszublenden, wie unfassbar gut er aussieht. Warum muss er so lächerlich gut aussehen?! Verdammt nochmal...
Während er meinen Kaffee zubereitet, versuche ich überall hinzusehen, nur nicht zu ihm. Irgendwann ist er fertig, stellt mein Getränk vor mir ab, ich bezahle. Ich nehme wahr, dass er ein Namensschild trägt und schiele darauf. Natürlich nicht, weil mich interessiert wie er heißt, sondern damit ich ihm anständig für den Service danken kann.
»Dankeschön... Silas.« Silas. Was für ein Name.
Ein leicht ironischer Zug erscheint auf seinem Mund. »Gerne, Romy.«
Ich erstarre. »Woher kennst du meinen Namen?«
»Als ich in das Restaurant gekommen bin hat dieser Horror-Typ ihn paar Mal gesagt. Sorry, sollte nicht gruselig rüberkommen. Vielleicht hätte ich einfach so tun sollen, als wüsste ich ihn nicht.« Er lächelt verlegen und kratzt sich dabei hinter dem Ohr. Ich lache, was in meinen eigenen Ohren viel zu schrill klingt. So witzig war das jetzt auch nicht.
Ich überspiele meine Verlegenheit indem ich einen Schluck des Kaffees nehme. Überrascht hebe ich die Brauen. »Oh, der schmeckt sogar fast besser als der von Darcy.« Unwillkürlich spüre ich schlechtes Gewissen in mir aufsteigen. Dann fällt mir ein: »Wo ist sie überhaupt? Oder Greg?«
Silas – der Fremde, der mich vor Tim und seinem Schwachsinn gerettet hat, trägt nun einen Namen – verzieht bedauernd das Gesicht. »Die beiden haben das Café aufgegeben und mich gefragt, ob ich es weiterführen möchte.«
Mir klappt die Kinnlade herunter. »Bitte WAS?«, entfährt es mir und ich sehe aus dem Augenwinkel, wie der einzige Besucher hier zu uns schaut. Ich rede leiser weiter: »Was ist passiert? Geht es ihnen gut?«
»Ihnen geht es gut«, beruhigt Silas mich. Ich atme auf. »Es ist nur so, dass sie in den letzten Wochen beide gemerkt haben, dass es gesundheitlich langsam zu anstrengend wird, ein Café zu leiten. Sie haben die Verantwortung in der Hinsicht an mich weitergegeben, aber hin und wieder wirst du sie trotzdem hier sehen.«
»Freut mich, dass sie noch da sein werden. Es kommt alles sehr... überraschend, um ehrlich zu sein. Ich war wirklich oft hier, weißt du?«
»Wie gesagt, die beiden sind ja nicht aus der Welt.« Silas kratzt sich wieder hinterm Ohr – scheinbar eine nervöse Marotte von ihm – und starrt dann an einen Punkt irgendwo über meiner Schulter. Probehalber drehe ich mich um, doch da ist nichts.
»Okay, ich gehe dann mal«, verkünde ich und hebe meinen To-Go-Becher an. »Danke!« Er winkt ab. »Nicht dafür. Mach's gut.« Ihm ist die Erleichterung deutlich anzusehen, als ich meine Tasche schultere und aufbreche. Warum bemerke ich einen leisen Stich in der Magengegend bei der Erkenntnis? Es muss daran liegen, dass ich nochmal zu spüren bekomme, wie wenig Silas mit mir zu tun haben will.
Auf dem Heimweg lasse ich den Kopf hängen und hebe ihn nur zwischendurch, um einen Schluck von meinem verboten guten Karamell-Kaffee zu nehmen. Ich werde ganz melancholisch wenn ich daran denke, dass ich vorhin das letzte Mal in meinem Stammcafé war – denn ich kann auf gar keinen Fall weiter da hin gehen, wenn dieser Silas nun der Chef dort ist. Ich würde ihn ohnehin die ganze Zeit bloß anschmachten und mich dann selbst dafür hassen. Nein, danke.
...
Gerade als ich zu Hause ankomme und die Tür hinter mir schließe, klingelt mein Handy. Ein kurzer Blick aufs Display verrät mir, dass es es meine Mutter ist. Ich freue mich, denn es ist schon ein paar Tage her, seit wir das letzte Mal geredet haben.
»Hey, Ma«, begrüße ich sie.
»Hallo, mein Schatz. Wie geht es dir?« Aus dem Hintergrund höre ich, wie mein Vater irgendwas ruft. »Was hat er gesagt?«, frage ich grinsend nach. Meine Mutter seufzt. »Beachte ihn einfach nicht, er hatte heute ein Bier zu viel mit seinen Freunden. Ist grad heimgekommen.« Mein Vater trinkt nur äußerst selten, denn er verträgt so gut wie gar nichts. »Oje. Was macht ihr grad?«
»Naja, ich schaue eine neue Folge von meiner Serie und dein Vater versucht, nicht von der Couch zu rutschen... du brauchst gar nicht lachen, das ist vorher passiert! War nicht einfach, ihn wieder an Ort und Stelle zu bekommen.«
Ich kann mir nicht helfen. Die Vorstellung von meiner zierlichen Mutter, die meinen nicht so zierlichen Vater zurück auf die Couch stemmt, ist einfach zu witzig.
Wir quatschen noch eine Weile über Belanglosigkeiten und umschiffen bewusst das Thema Dating. Sie weiß ganz genau, dass es in der Hinsicht bisher nicht besonders berauschend lief bei mir und lässt mich glücklicherweise mit dem Thema in Ruhe. Ich verspüre zudem nicht unbedingt das dringende Bedürfnis, ihr von meiner neuesten Erfahrung zu berichten.
Nachdem wir aufgelegt haben, geht es mir schon etwas besser. Ich habe eine echt gute Verbindung zu meinen Eltern, sodass es einfach immer gut tut, mit ihnen zu reden. Doch sobald ich mich müde auf meinem Sofa niederlasse, den leeren To-Go-Becher in den Händen, holen mich die Geschehnisse von vorhin wieder ein.
Wie unangenehm war es bitte, Silas wieder zu begegnen?! Das Universum scheint es gerade wirklich alles andere als gut mit mir zu meinen...
Ein Bad. Das ist es, was ich jetzt brauche. Ich bin überzeugt davon, dass ich mich nach einem warmen, nach Rosenblüten duftenden Bad schon wieder sehr viel besser fühlen werde. Ich freue mich schon seit längerer Zeit darauf, die neue glitzernde Badebombe auszuprobieren, die ich mit einem Blogger-PR-Paket geschickt bekommen habe.
Mit neuer Energie mache ich mich auf den Weg ins Bad und verbanne entschlossen alle Gedanken an Silas aus meinem Kopf.
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Herzschaum
RomanceRomys Herz wurde gebrochen - und zwar nicht nur ein Mal. Dennoch denkt die junge Make-up-Bloggerin nicht im Traum daran, sich das zum Hindernis zu machen. Sie stürzt sich ein ums andere Mal vorfreudig in die Datingszene, doch ein Misserfolg nach de...