Prolog: das chaotische London

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Um sie herum herrschte ein reges Chaos. Und das war noch mild ausgedrückt. Auf dem Schreibtisch, an dem sie saß kritzelte eine Feder unermüdlich auf einer langen Rolle Pergament und man hörte das laute Kratzen. Neben ihr fiel gerade ein weiterer Haufen Pergament auf den Boden, nachdem sie diesen versehentlich mit dem Ellenbogen angestoßen hatte. Im Hintergrund brüllte ihr Vorgesetzter gerade einen Kollegen an, da er scheinbar einen Auftrag nicht beachtet hatte und im Verzug sei.

Sie streckte ihren Rücken und die Schultern etwas, setzte sich wieder gerade auf und versuchte tief durchzuatmen. Worauf hatte sie sich hier nur eingelassen?

Vier Wochen ist es nun her, seitdem Josephine sich im Zaubereiministerium in London beworben hat. Niemals hätte sie sich reelle Chancen ausgemalt, hier eine Stelle als Aurorin zu bekommen. Und doch – nur zwei Tage nach ihrer Bewerbung, kratzte eine Eule an ihrem alten Bürofenster in Deutschland und hielt eine Zusage aus London im Schnabel. Man wollte sie tatsächlich in London haben, obwohl sie noch nie mit jemanden dort gesprochen hat. Und nur drei Wochen ist es her, dass sie in einer Hauruckaktion umgezogen ist.

Der Umzug ging schnell von statten. Ihr weniges Hab und Gut konnte Sie in zwei großen Koffern verstauen, den Rest hat Josephine ihrer alten Mitbewohnerin geschenkt. Sowieso hatte sie in Deutschland nur wenige Freunde oder Freundinnen, sodass der Abschied ohne große Tränen erfolgte. Auch ihre Mitbewohnerin, die (so vermutet Josephine bis heute) Josephine noch nie mochte, sagte kein Wort mehr zu ihr. Nach London zu gehen war der richtige Entschluss.

„Clark!", donnerte es laut hinter ihr. Josephine zuckte zusammen. Oh nein. „Wie kommen Sie mit Ihrem ersten Bericht voran?". Ihr Vorgesetzter Mr. Horrace baute sich vor ihr auf.

Josephine blickte in sein gerötetes Gesicht und konnte nur auf seinen ungepflegten Schnurrbart schauen. „Hallo Mr. Horrace. Ich komme gut voran, Morgenabend sollte der Bericht fertig sein. Ich werde ihn dann umgehend an Sie weiterleiten.", antwortete Josephine mit einer gespielten Gleichgültigkeit. Sie sollte sich nicht in den ersten Wochen direkt als unfähig erweisen und gab sich wirklich Mühe, auch wenn die Arbeitsweise hier im Ministerium vollkommen anders war, als sie es in Deutschland je erlebt hat. Dass sie nun einen Bericht über einen Vorgang schreiben sollte, welchen sie selbst nie miterlebt und verfolgt hatte und wofür sie nun mühsam sämtliche Kollegen und Kolleginnen fragen musste, legte sie unter den Aufgabenbereich „Erprobung der Neuen" ab. Horrace nickte nur und schaute sie einige Sekunden zu lang an. Weiterhin konnte Josephine nur auf seinen stacheligen Bart schauen, konzentrierte sich aber darauf, wenigstens ab und zu in seine Augen zu schauen.

„Ich habe einen Auftrag für Sie. Sobald Sie mit dem Bericht fertig sind, kommen Sie zu mir ins Büro. Und etwas Beeilung bitte.", raunzte Horrace schließlich und ohne ein weiteres Wort zu sagen, schlenderte er zurück durch das Großraumbüro in seinen eigenen Raum. Josephine blickte ihm hinterher und seufzte leise. Hat er gerade eben wirklich gesagt, dass sie jetzt ihren ersten eigenen Auftrag hier in London bekommt? Ein Anflug von Enthusiasmus machte sich in ihr breit – das könnte hier ihre erste richtige Chance sein, zu zeigen, was sie alles kann.

Dass es sich gelohnt hat, sie als Aurorin einzustellen.
Und vor allem: endlich nicht mehr zehn Stunden am Tag nur am Schreibtisch sitzen und Papierarbeit erledigen.

Sie stand von ihrem überfüllten Schreibtisch auf und blieb kurz davor stehen. Ihr Vorgänger wurde vor einigen Wochen schwer bei einem Unfall während eines Einsatzes verletzt und liegt seitdem im St. Mungo. Er hatte seiner Krankheitsvertretung Josephine einen Stapel an Arbeit hinterlassen. Natürlich hoffte Josephine, dass er wieder gesund wird, aber gerade wünschte sie ihm die Pocken, da sie die Rückstände nie wieder aufarbeiten kann. Mit einer kleinen Handbewegung rückte sie ihr Namensschild auf dem Schreibtisch gerade, auf welches sie ein bisschen stolz ist: Josephine Clark stand dort eingraviert auf dem Messingschild.
Ihre Eltern wären unfassbar stolz gewesen.

I'm coming home [Sebastian Sallow x MC]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt