Kapitel 10

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Sie setzte einen Fuß vor den anderen. Sie war sehr gespannt, wer sie wohl war. Sie musste sich ein bisschen ranhalten, dass sie ihr nicht entwischte. Wie sollte sie sie eigentlich ansprechen? Unter welchem Vorwand? Sie konnte doch die Frau doch nicht einfach fragen, ob sie der versprochende Polizeischutz war. Oder eigentlich doch. Das war doch eine berechtigte Frage. Aber was wenn sie es nicht war?
Sie verdrängte diesen Gedanken wieder. Jetzt keinen Rückzieher machen, ermahnte sie sich selbst.

,,Ähm, Verzeihung?"
Erschrocken drehte sich die Frau zu ihr um. In ihren Augen lag ein bittendes Flehen. Wollte sie nicht angesprochen werden?
,,Ist alles gut bei Ihnen?", versuchte Hanna ins Gespräch zu kommen. Doch sie wich zurück, als die Frau eine ruckartige Bewegung macht. Sie griff in ihre linke Manteltasche. Etwas blitzte auf. Ein Messer. Ein Messer? Hanna konnte sich nicht bewegen. Was passierte hier gerade. Die Frau schaute sie immernoch flehend an. Was wollte sie denn.
Gerade noch rechtzeitig sprang sie zurück, denn die Frau versuchte mit dem Messer auf sie einzustechen. An der rechten Wange verspürte sie plötzlich einen brennenden Schmerz. Sie hatte sie getroffen. Hanna begriff, dass die Frau nicht auf ihrer Seite stand. Sie berührte mit der Hand ihre Wange und spürte einen Kratzer, der stark blutete. Der Schreck war ihr wie ins Gesicht geschrieben. Ihr Atem wurde schneller. Wie fernsteuert machte sie wieder einen Schritt auf die Frau zu und versuchte ihr das Messer aus der Hand zu schlagen. Wozu machte sie schon Judo? Aber das war leider keine so gute Idee. Den die Frau stach jetzt blindlings mit ihrer Waffe im sich herum. Hanna flehte innerlich, dass jemand vorbeikam und ihr half, aber ihre Gebete wurden nicht erhört. Ah! Schon wieder stach das Messer auf sie ein, diesmal in ihren Arm.

Es tat höllisch weh. Sie machte wieder ein paar Schritte zurück. Das dunkelrote Blut tropfte auf den Boden. Der Schmerz wurde immer stärker. Wie ein Schatten, der sie einholen wollte. Sie schloss kurz die Augen, um die Schmerzen besser zu ertragen, doch plötzlich spürte sie einen heißen Atem neben sich. Schlagartig öffnete sie ihre Augen wieder und die Frau war ganz nah bei ihr. Doch die Frau machte keine Anstalten sich zu bewegen. Stattdessen flüsterte sie ihr ins Ohr:,,Es tut mir leid! Hör zu: ,,Wasser" verstehst du? ,,Wasser"."

Hanna atmete immer schneller. Wasser? Was sollte damit sein? Als sie aufschaute war die Frau verschwunden. Völlig außer Atem sackte sie zu Boden. Ihre Wunden brannten. Sie fühlte sich nicht in der Lage aufzustehen, ganz zu schweigen davon, das alles zu begreifen, was gerade passiert war. Wer war diese Frau?
Sie musste sich hinlegen. Die Planken waren kalt, aber es ging. Sie würde nicht wieder in Ohnmacht fallen, das hatte sie schon zu oft auf diesem Schiff gemacht. Zwar erst einmal, aber das war einmal zu viel.

Sie hoffte einfach nur, dass jemand vorbei kam und sie fand. So lag sie Weile da bis tatsächlich jemand vorbei kam. Doch zu allem Übel war die Person, die sich nun über sie beugte Max. Hanna seufzte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt.
Er schaute sie mit seinen grünen Augen besorgt an.
,,Was ist passiert?"
Hanna sah ihn genervt an.
,,So viel zum Polizeischutz! Ich wurde von irgendeiner Frau angegriffen. Mit einem Scheiß Messer!"
,,Was?"
,,Ja, sie hat sich am Ende bei mir entschuldigt, aber das kann ich doch so nicht akzeptieren! Und sie hat irgendetwas von Wasser gefahsellt."

Max sah sie erschrocken an. Wusste er etwa was das bedeutete?
,,Weißt du was das bedeutet?"
Wie einstudiert schüttelte Max sofort den Kopf. Er verbag etwas. Doch anscheinend wollte er es nicht sagen. Hanna wollte nicht nochmehr darauf herumhacken.

,,Kannst du laufen?"
Nein das konnte sie eigentlich nicht ändern, aber lieber würde sie sterben, als sich von ihm tragen zu lassen.
,,Ja klar kann ich laufen."
Das Aufstehen war schmerzhaft, aber es gelang ihr. Ihr fiel auf, dass ihr linker Oberschenkel brannte wie die Hölle. Sie betrachte ihn genauer und sah, dass dort ein Schnitt war.
Na toll, damit war es fast unmöglich zu laufen. Warum war das ihr nicht aufgefallen? Darüber konnte sie jetzt aber nicht nachdenken. Max sah sie nämlich fragend an. Stumm deutete sie nur auf ihr Bein. Er sah irgendwie hilflos aus.
,,Man, ich kann nicht laufen!" Er regte sie irgendwie auf, dabei hatte er nichts getan. Egal, ihr ganzer Körper tat extrem weh. Da blieb keine Zeit für Mitleid.
Max deutete mit seiner Körperhaltung, dass sie bei ihm auf den Rücken springen soll, damit er sie Huckepack tragen konnte. Ihr blieb ja nichts anderes übrig, als das zu tun. Als sie oben war, wären sie beinahe umgekippt, aber Max konnte sich noch rechtzeitig fassen. Er griff nach ihren Oberschenkeln und achtete dabei darauf, dass er ihre Wunde nicht berührte.
Als er schon vor der Tür des Krankenzimmers stand, hielt Hanna ihn zurück.
,,Nein, bitte bring mich einfach in mein Zimmer, ich habe schon genug Zeit in diesem Raum verbracht."
,,Bist du dir sicher? Deine Wunden sehen ziemlich böse aus."
,,Ja klar bin ich mir sicher."
,,Nagut.."

Er brachte sie wieder auf ihr Zimmer. Eine Weile schwiegen sie sich an, dann schloss Hanna die Tür. Kazuko lag auf ihrem Bett und telefonierte. Als sie Hanna erblickte, machte sie große Augen. Sie legte auf und eilte zu ihr rüber.
,,Was ist passiert?"
Hanna erklärte ihr was passiert war und musste sich schmerzhaft an ihre Niederlage erinnern. Aber als sie den Namen Max erwähnte machte Kazuko noch größere Augen.
,,Ich sag dir, irgendetwas stimmt mit dem nicht."
,,Ach ja, und woher willst du das wissen? Er hat mir geholfen. Und das nicht nur einmal."
,,Ja, aber ich habe so ein Gefühl."
,,Achso! Dein ,,Gefühl" sagt dir das. Dann ist das ja alles klar." In Hannas Tonlaut war der Sarkasmus nicht zu überhören.
Warum mischte sie sich auch ein? Das war doch wohl ihre Sache. Nicht Kazukos!
,,Na gut, ich sage nichts mehr gegen ihn. Aber meine Meinung ändert sich nicht. Ich hole jetzt erstmal Verband für dich. Warte hier."

Hanna setzte sich auf den kleinen Holzstuhl ihres Zimmers. Er war unbequem, aber besser als stehen war es allemal. Sie schloss die Augen und sah sich sofort wieder auf dem Rücken von Max. Seine sanften Berührungen. Seinem besorgten Blick. Er kümmerte sich um sie, seit ihrer ersten Begegnung. Warum tat er das? Mochte er sie? Sie fasste sich an die Brust und spürte ihren Herzschlag. Er war schnell. Zu schnell. Sie wollte nicht mehr an Max denken, aber sie sah nur noch ihn. Außerdem bereute sie, dass sie so grob zu ihm war. Warum war sie so? Hanna konnte sich ihr Verhalten nicht erklären. Konnte sie damit nicht einfach aufhören? In Gedanken versunken bekam sie nichts mehr um sich herum mit. Ob draußen irgendetwas passiert war?

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