Kapitel 2

39 11 0
                                    

„Hast du meine Freundin gesehen?"
Hanna schreckte auf. Sie war gerade vom Speisesaal auf dem Weg in ihr Zimmer. Gestern war sie erst sehr spät schlafen gegangen. Und an diesem Morgen war sie auch noch aus ihrem Bett gefallen. Ihr Körper schmerzte immer noch etwas.

Als sie aufschaute, sah sie ein junges Mädchen vor sich. Sie sah sehr erschöpft aus.
„Äh, tut mir leid, ich kenne deine Freundin nicht." Versuchte Hanna sie abzuschütteln. Doch das Mädchen gab noch nicht auf.
„Sie ist sechsten Jahre alt, braune Haare, grüne Augen und trägt wahrscheinlich eine blaue Bluse. Als ich heute morgen aufgewacht bin, war sie weg."
„Ich habe sie nicht gesehen."
„Bitte, du musst mir helfen!" Die braunen Augen des Mädchens sahen sie flehend an. „Ich habe schon fast jeden gefragt. Du bist meine letzte Chance! Ich bin sonst ganz alleine!"
Hanna tat das Mädchen schon leid, doch sie wusste beim besten Willen nicht, wie sie ihr helfen konnte.
„Es tut mir wirklich leid, aber ich kann dir nicht helfen."
Sie ging schnell weiter, bis sie vor ihrer Zimmertür stand. Schnell schloss sie auf und betrat das Zimmer. Sofort strömte ihr ein eisiger Wind entgegen.
„Was ist denn hier los?"
„Oh, du bist wieder zurück." Lina sprang auf und schaltete einen Ventilator aus, der mitten im Zimmer stand.
„Was soll das?", Fragte Hanna verwirrt.
Kazuko, die auf ihrem Bett lag schaute von ihrem Handy auf.
„Sie denkt so bekommt sie keine Erkältungen mehr, weil sie sich an die Kälte gewöhnt, aber willst du meine Meinung dazu wissen? Das klappt genauso gut, wie, wenn ich mich mit meinem Bruder auf einen Kompromiss einigen muss."
Hanna sah Lina skeptisch an. Wirklich nur Lina konnte auf solche Ideen kommen. Doch sie ließ sich nicht beirren.
„Glaubt mir! Das hilft wirklich! Ich habe mich schon seit einem halben Jahr nicht mehr erkältet."
„Wow.", sagte Kazuko mit falscher Begeisterung, „Das ist wirklich ein Kunststück." Sie schnappte sich wieder ihr Handy und beachtete die anderen beiden gar nicht mehr.
Hanna ließ Lina, Lina sein und wechselte das Thema.
„Hat euch auch so ein Mädchen angesprochen, das ihre Freundin sucht?"
„Ja, die sah echt verzweifelt aus...", Lina schaltete den Ventilator wieder aus.
„Aber wie soll den hier jemand einfach so verschwinden, wir sind Mitten auf dem Meer."
„Ach, die werden sich schon wieder finden."
Das Thema schien damit erledigt zu sein, deswegen fragte Hanna:„ Was ist eigentlich genau das Tagesprogramm?"
„Man, hast du denn gestern gar nicht zugehört? Man kann einen Tag als Matrose verbringen, man kann Morsezeichen lernen, so was in der Art halt."
„Und wirst du etwas davon machen?"
„Natürlich! Was für eine Frage? Ich lerne ein Schiff zu steuern!"
„Ok..., Und was bringt dir das? Wir wohnen meilenweit vom Meer entfernt..."
„Ach, warum bist du immer so?"
„Das sind Fakten."
„Hör auf so zu reden, als würdest du immer alles besser wissen!"
Hanna wusste natürlich, dass sie das nicht wirklich ernst meinte. Sie wand sich wieder an Kazuko.
„Und du? Willst du auch etwas machen?"
„Mmh."machte sie, als wäre sie nicht ganz anwesend. „ Sind mir zu viele Menschen."
Seufzend ließ sie sich auf ihr Bett gleiten.
Kurz danach klopfte es an der Tür. Hanna wollte gerade „herein" rufen, da fiel ihr ein, dass man die Tür garnicht von Außen öffnen konnte. Also sprang sie vom Bett auf und öffnete die Tür. Vor der Tür stand derselbe Mann, der am Vortag die Rede gehalten hatte. Nur, dass er diesmal in keinem Anzug steckte.
Er wirkte etwas nervös.
„Verzeihung, aber haben Sie ein braunhaariges Mädchen mit grünen Augen gesehen?"
Hanna war erstaunt. Das Mädchen war anscheinend noch nicht wieder aufgetaucht.
„ Tut uns leid. Wir haben sie nicht gesehen."
Nach der Reaktion des Mannes zu urteilen, hatte er bereits mit dieser Antwort gerechnet.
„Schade, aber trotzdem viel Dank."
Er entfernte sich wieder. Hanna sah ihm noch ein paar Augenblicke nach, schloss dann aber wieder die Tür. Sie ließ dieses Thema einfach nicht los. An ihre Freundinnen gewand sagte sie:„ Ich muss einen freien Kopf bekommen. Ich gehe Mal an Deck."
Mal zur Abwechslung gab Kazuko ein zustimmendes Brummen von sich. Lina rief ihr noch ein „Viel Spaß" hinterher.
In Gedanken versunken, lief sie den hell beleuchteten Flur entlang. Wo konnte das Mädchen nur sein? Sie verstand es einfach nicht. Ein lautes „Was?!" riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah, dass der Ausruf von dem Angestellten kam, der ihnen den Schlüssel überreicht hatte. Er stand mit ein paar Kollegen in einer Ecke und schien völlig außer sich zu sein.
„Anja ist verschwunden? Das darf doch nicht war sein!" Seine raue Stimme klang brüchig leise.
„Doch, es ist leider wahr. Ich habe das gesamte Schiff nach ihr abgesucht. Keine Spur von ihr."
Diese Worte kamen von einer dunkelhäutigen Frau. Sie war um die vierzig und trug ebenso eine Matrosen Uniform.
Ein weiterer Mann meldete sich zu Wort.
„Sei nicht albern, du hast wahrscheinlich nicht gründlich genug gesucht."
„Was denkst du, wer ich bin? Ich habe wie 'ne
blöde nach ihr gesucht!"
Der erste Mann sprach wieder:„ Jetzt sind schon drei Personen verschwunden. Das braunhaarige Mädchen, ihre Freundin und auch noch Anja..., Ich halte das nicht mehr aus!"
Hanna erschrak. Die Freundin des Mädchens war auch verschwunden? Was war hier nur los? Sie ging schnell weiter, damit sie nicht entdeckt werden würde. Angekommen am Deck wehte eine leichte Brise. Unter einer dünnen Wolkenschicht war sogar die Sonne zu erkennen. Sie ging ein Stück weiter und beugte sich über die Reling.

Es kann doch nicht sein, dass auf einem Schiff einfach so Leute verschwinden. Ich weiß nicht was für eine logische Erklärung es dafür geben soll. Aber was ist, wenn noch mehr Leute verschwinden...

Sie starrte auf das trübe Meerwasser, dass gleichmäsige Wellen schlug. Nichts war zu sehen. Alles war still. Eigentlich sollte das ein schöner Moment sein, aber jetzt gab es keinen Grund zur Freude mehr. Warum musste ihr so etwas passieren? Als wäre sie mitten im einem Krimi.

Wolken zogen auf und verdeckten die Sonne nun vollständig. Der Wind wurde stärker und Hanna bekam eine Gänsehaut. Sie rieb sich die Arme um sich aufzuwärmen. Plötzlich tauchte neben ihr ein Junge auf. Er war ungefähr in ihrem Alter und hatte hellbraune Haare. Vorsichtig lehnte er sich neben sie über die Reling. Seine Haare wehten stark im Wind. Sein Blick glitt übers Meer. Er trug über einem blauen T-Shirt eine graue, dünne Jacke. Hannas Herz fing an schneller zu schlagen. Wieso nur? Leise betete sie, dass er es nicht hörte. Aber er schien nichts zu bemerken.
Auf einmal fing er an zu sprechen.
„Machst du dir auch Sorgen um die verschwundenen Mädchen?"
An seiner Wortwahl zu urteilen, wusste er nichts von der verschwundenen Mitarbeiterin. Woher auch?
„ Äh, ja..." Sie wusste beim besten Willen nicht, was sie noch sagen sollte.
„ Das ganze Schiff wurde schon durchsucht habe ich gehört. Aber niemand wurde gefunden."
Aus Hannas Hals kam nur ein kraziges „Aha."
Der Junge staute ihr jetzt tief in die Augen. Dann musterte er sie.
„Ich bin übrigens Max." Er lächelte leicht. Man sah ihm an, dass er das nicht sehr oft tat.
„Hanna." Stellte sie sich stockend vor.
Sie versuchte freundlich zurück zu lächeln, aber sie war froh, dass sie sich in diesem Moment nicht sehen konnte denn sie hatte das Gefühl, dass es sehr merkwürdig aussah. Ein paar Sekunden der Stille lösten in ihr ein sehr merkwürdiges Gefühl aus. Eines, das sie noch nie gefühlt hatte. Sie wusste nicht ob das positiv war, oder nicht. Hanna verdrängte es.
„Bist du allein hier?" Versuchte sie die unangenehme Stille zu unterbrechen.
„Ne, ich bin mit einem Kumpel hier. Und du?"
„Ich bin mit zwei Freundinnen hier."

Sein Blick wurde wieder ernst.
„Aber jetzt Mal im Ernst. Ich mache mir Sorgen um dich. Hier streift vielleicht ein Entführer herum und du bist hier ganz alleine an Deck!"
Hanna wurde wütend.
„Was hat das mit dir zu tun? Als ob ich nicht auf mich selbst aufpassen kann!"
„Das habe ich nie bezweifelt! Ich wollte... nur sicher gehen..."
In seinen Augen sah sie aber, dass er das ganz sicher nicht so sah.
„ Nur weil ich ein Mädchen bin, heißt das nicht, das ich komplett hilflos bin! Hast du das verstanden?"
„Ja ja, schon gut. Beruhig dich doch Mal."
Hanna hatte sich aber noch nicht beruhigt. Sie warf ihm einen bösen Blick zu. Er warf ihr einen hilflosen Blick zurück.
„Hör zu, es tut mir leid. Ich habe mir wirklich Sorgen gemacht. Nicht weil ich dachte, du wärst schwach, sondern weil ich dachte der Kidnapper wäre stärker."
Er warf ihr ein schräges Lächeln zu. Hanna war verwundert warum sie ihm nicht mehr böse sein konnte. Normalerweise brauchte sie Tage. Sie lächelte vorsichtig zurück.
„Entschuldigung akzeptiert. Wobei ich bezweifle, dass du mich beschützen könntest."
„Hey, nicht frech werden." Sie fingen beide an zu lachen. Hanna fühlte sich frei und unbeschwert. Trotzdem behielt sie die Verschwundenen im Hinterkopf. Sie würde alles dafür geben, sie wieder zu finden. Auch wenn sie dafür selbst gerade stehen musste...

Revenge of the oceanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt