I. Abseitsfalle

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Der Start liegt bereits einige Minuten zurück, als mir einfällt, dass ich etwas Wichtiges vergessen habe. Ich greife nach meinem Handy, um den Flugmodus zu aktivieren. Laut Bildschirm ist es 22:08 Uhr. Insgesamt dauert die Reise mit dem Flugzeug etwa zwei Stunden, sodass ich hoffentlich gegen Mitternacht in Bergen landen werde.

Ich verzichte darauf, WhatsApp zu öffnen, obwohl ich über zweihundert ungelesene Nachrichten habe. Gleiches gilt für mein E-Mail-Postfach, welches aus allen Nähten platzt. Zum Glück habe ich mitgedacht und meine Konten auf diversen Social-Media-Plattformen deaktiviert, ansonsten würde ich wohl von einer gigantischen Flut an Nachrichten überschwemmt werden.

Jene Art von Nachrichten, die keiner lesen möchte, weil sie gehässig, schadenfroh und teilweise einfach nur erniedrigend sind. Das weiß ich auch, ohne sie mir angesehen zu haben. Ich weiß es, weil sie auf eine Sache abzielen, die ich selbst getan habe. Eine sehr dumme Sache. Eine Sache, die ich vermutlich mein Leben lang bereuen werde.

Erschöpft lehne ich meinen Kopf an das Bullauge zu meiner Linken. Draußen ist es bereits dunkel und tief, tief unter mir funkeln die Lichter einer Stadt. Jene großartige Stadt, die ich vermutlich so bald nicht wiedersehen werde. London, denke ich wehmütig und unterdrücke ein Seufzen. Du wirst mir fehlen, meine Liebe.

Normalerweise freue ich mich jedes Mal, wenn ich in den Privatjet Richtung Heimat steige, doch diesmal sieht das etwas anders aus. Der Grund für meine nächtliche Rückkehr, die man getrost als Flucht bezeichnen könnte, ist nämlich kein erfreulicher. Ganz im Gegenteil. Ich glaube, ich war noch nie so traurig, wenn ich nach Hause geflogen bin.

Tatsächlich habe ich nicht einmal Lust, mir den Flug mit irgendeiner Serie zu versüßen, obwohl ich eigentlich ein absoluter Junkie bin, was das angeht. Stattdessen versuche ich, ein bisschen zu schlafen. Die letzten Tage haben mir nervlich einiges abverlangt und ich fühle mich, als hätte ich seit Wochen kein Auge zugemacht.

Auch jetzt fällt es mir schwer, etwas Ruhe zu finden, nicht zuletzt wegen des Piloten, der per Funk ein angeregtes Gespräch mit jemandem führt, und zwar auf Portugiesisch. Ich beherrsche diese Sprache nicht, verstehe aber die Worte „jogador" und „futebol". Es ist ziemlich eindeutig, dass er über mich redet, zumal er ständig zwischendurch lacht und sich prächtig zu amüsieren scheint.

Am liebsten würde ich dem Kerl sagen, dass er seine Klappe halten soll, aber ich möchte keinen Streit mit ihm anfangen, solange wir uns mehrere zehntausend Meter über dem Boden befinden. Genervt ziehe ich mir meine Kapuze in die Stirn und kneife die Augen fest zusammen, doch nur wenige Sekunden später reiße ich sie frustriert wieder auf. Ich kann ohnehin nicht schlafen.

Seufzend greife ich ein weiteres Mal nach meinem Handy. Eigentlich verspüre ich nicht die geringste Lust, in meine ungelesenen Nachrichten reinzuschauen, aber irgendwie muss ich mir ja die Zeit vertreiben. Als ich den obersten Chat antippe, über dem der Name meines Beraters steht, wird mir jedoch schlagartig klar, dass das keine gute Idee ist.

Gigi Ciccione (22:30 Uhr): Jonny, maledetto stronzo, wo steckst du, verdammt?? Melde dich gefälligst, es ist wichtig!!!

Gigi Ciccione (22:31 Uhr): Hallo?? Antworte, wenn ich mit dir rede, porca madonna!!!

Gigi Ciccione (22:32 Uhr): Ich meine es ernst, Junge!!!!

Die vielen Frage-und Ausrufezeichen deuten für mich darauf hin, dass er gerade etwas gereizt ist. Sofort macht sich ein ungutes Gefühl in mir breit. Dank unserer langjährigen Zusammenarbeit weiß ich nämlich, dass man den Zorn eines Italieners besser nicht auf sich ziehen sollte. Unter anderem deshalb bin ich Hals über Kopf aus London geflüchtet.

Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt