II. Heimspiel

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Der nächste Morgen beginnt genauso, wie der gestrige Abend geendet hat: Unerfreulich. In erster Linie ist das meine eigene Schuld, denn ich Trottel habe vergessen, mir einen Wecker zu stellen, obwohl ich eigentlich um Punkt 8:00 Uhr hätte auschecken sollen. So kommt es, dass ich wenig später vom Zimmerservice aus dem Bett geklopft werde und erst mal ein paar Minuten brauche, bis ich überhaupt kapiere, was los ist.

Als ich es endlich schaffe, das Zimmer zu räumen, ist es schon fast halb zehn. Ich habe zwar eine Übernachtung ohne Frühstück gebucht, schaue aber trotzdem im Speisesaal vorbei, um mir eine Tasse Kaffee zu holen. Ein großer Fehler, denn das Zeug schmeckt wie Oma unterm Arm. Ekelhaft. In einem unbeobachteten Moment lasse ich die volle Tasse stehen und sehe zu, dass ich verschwinde.

Nachdem ich ausgecheckt habe, organisiere ich mir ein Taxi, das mich zu meinem eigentlichen Ziel bringen soll, denn ich habe nicht vor, länger hier in Bergen zu bleiben. Das wäre viel zu riskant, schließlich könnte ich rein theoretisch jederzeit meinen Eltern über den Weg laufen oder irgendwelchen anderen Leuten, die mich von früher kennen.

Diesmal erwische ich zum Glück einen netteren Taxifahrer, der allerdings auch nicht ganz ohne ist und das liegt an seinem Musikgeschmack. Während er aus voller Kehle zu Dexys Midnight Runners'„Come On Eileen" grölt, schaue ich verzweifelt aus dem Fenster und versuche mich mit dem Gedanken zu trösten, dass die Fahrt nur eine knappe halbe Stunde dauert.

Spätestens jetzt bedauere ich es sehr, dass ich meinen geliebten Bentley in London zurücklassen musste. Da ich aller Voraussicht nach länger hierbleiben werde, muss ich mich wohl zeitnah um einen Leihwagen bemühen. Weitere Taxifahrten wären definitiv zu viel für meine ohnehin schon überstrapazierten Nerven.

Ich bin heilfroh, als wir nach einer gefühlten Ewigkeit in Knarvik ankommen. Der kleine Ort, mit dem ich unzählige Erinnerungen verbinde, hat etwas mehr als 6000 Einwohner und ist Teil der Kommune Alver, die wiederum zur Provinz Vestland gehört. Hier habe ich einen Großteil meiner Kindheit verbracht, die nicht nur von Fußball geprägt war, sondern auch von häufigen Besuchen bei Oma Ada.

Ada Castberg, meine Großmutter väterlicherseits, lebt etwas zurückgezogen in einem roten Haus außerhalb des Zentrums von Knarvik. Sie ist Rentnerin, Katzenzüchterin mit Leib und Seele und mittlerweile stolze 81 Jahre alt. Früher, als mein Opa noch gelebt hat, war sie eine sehr gesellige und herzliche Person, doch seit seinem Tod ist sie zunehmend kauziger geworden und kümmert sich inzwischen fast ausschließlich um ihre Katzen.

Das letzte Stück bis zu ihrem Haus, welches auf einer kleinen Anhöhe liegt und von knorrigen, alten Bäumen umgeben ist, gehe ich zu Fuß, wobei ich Mühe habe, meinen Koffer hinter mir her zu ziehen. Ständig bleibt das Ding an irgendwelchen Steinen hängen und ich bin zunehmend genervt. Ich war so lange nicht mehr hier, dass ich völlig vergessen habe, wie uneben dieser blöde Weg ist, der in sanften Kurven zu Omas Gartentor führt.

Als ich nur noch wenige Meter von dem morschen Zaun entfernt bin, der dringend einen neuen Anstrich benötigt, kommen mir plötzlich Zweifel. Was ist, wenn meine Großmutter längst Bescheid weiß und sich so sehr für mich schämt, dass sie mich nicht sehen möchte? Sehr wahrscheinlich ist das nicht, da sie nur selten die Nachrichten verfolgt und bestenfalls die regionale Tageszeitung liest, in der zum Glück keine Rubrik für Klatsch und Tratsch existiert.

Ich atme tief durch und rufe mich zur Vernunft. Meine Oma ist nicht wie mein Vater. Sie würde mich nicht verstoßen, nur weil ich einmal Mist gebaut habe. Schließlich hat sie in der Vergangenheit immer wieder betont, wie stolz sie auf mich ist und dass ich ihr Lieblingsenkel bin. Na ja, außer mir hat sie auch keine anderen Enkelkinder, aber egal.

Mein Puls steigt, während ich das Gartentor öffne. An der Haustür versuche ich es gar nicht erst, weil Oma garantiert wieder die Klingel abgestellt hat. Das ist eine alte Angewohnheit von ihr, weil sie erstens gerne ungestört ist und zweitens nicht möchte, dass sich ihre Katzen erschrecken. Diese Tiere sind ihr wichtiger als alles andere.

Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt