XIV. Pressing

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Ingrids knallharte Abfuhr bereitet mir auch Tage später noch Bauchschmerzen. Selbstverständlich habe ich nicht damit gerechnet, dass sie mich mit offenen Armen empfangen würde, aber ihre schroffe Zurückweisung war dennoch ein Schlag ins Gesicht. Niederlagen sind für einen Sportler immer schwer zu verdauen, nur leider ist das hier kein Spiel, das nach neunzig Minuten vorbei ist, sondern die bittere Realität.

Meine Laune hat seitdem jedenfalls einen neuen Tiefpunkt erreicht. Am liebsten würde ich mich für immer in Omas Dachkammer verkriechen und darauf warten, dass ich Staub ansetze. Der einzige Grund, weshalb ich morgens überhaupt aufstehe, ist ihr leckeres Essen, mit dem sie mich geschickt ködert. Meine Großmutter lebt zwar überwiegend in ihrer eigenen Welt, aber natürlich entgeht ihr nicht, dass ich momentan eine harte Zeit durchmache.

Um mich aus meinem Zimmer zu locken und mir wenigstens eine kleine Freude zu machen, bereitet sie die köstlichsten Speisen zu, deren Genuss mich tatsächlich kurzzeitig aufmuntert. Es gibt allerdings jemanden, dem diese Entwicklung nicht so gut gefällt. Gigi, der sich in einem Hotel in Bergen einquartiert hat, schaut regelmäßig bei uns vorbei und beobachtet meine Fressorgien mit wachsendem Unmut.

Einerseits fürchtet er, dass ich zu fett werde, andererseits kann er der norwegischen Küche trotz seiner glühenden Skandinavien-Liebe nicht allzu viel abgewinnen. Neulich hat er Blodpudding probiert in dem Glauben, es handele sich um Schokoladenpudding. Als er den würzigen Geschmack bemerkt hat und ich ihm daraufhin erklären musste, dass diese Delikatesse hauptsächlich aus gebackenem Schweineblut besteht, ist ihm, glaube ich, kurz das Herz stehengeblieben.

Mich überrascht es kein bisschen, dass Gigi als Italiener mit der landestypischen Hausmannskost fremdelt. Er ist eben anderes gewohnt. Umgekehrt hat meine Oma keine Ahnung von Pizza, Pasta oder Gelato. Ich glaube, sie kennt diese Wörter nicht einmal, geschweige denn ihre Bedeutungen.

Selbst die norwegischen Süßspeisen schaffen es nicht, Gigis kritischen Gaumen zu überzeugen. Heute hat er sich nach einigem Zögern dazu herabgelassen, Omas geniale Trollkrem zu probieren, ein rosafarbenes Preiselbeer-Mousse, das trotz sehr viel Zucker etwas bitter schmeckt. Ich bin damit aufgewachsen und liebe es, bei meinem Berater hingegen fällt das Dessert gnadenlos durch. Es ist ihm schlichtweg nicht süß genug.

Mit geschürzten Lippen sitzt er am Küchentisch und sieht mir missbilligend dabei zu, wie ich mein zweites Glas Trollkrem auslöffle. Ursprünglich ist er hierhergekommen, um mir mitzuteilen, dass Norwegens Nationaltrainer Ståle Stordalen mich nicht in den Kader für die anstehenden Länderspiele gegen San Marino und Katar berufen hat. Als ob mich das im Augenblick interessieren würde.

Wirklich spannend, aber auch ernüchternd ist lediglich sein Statement zu meiner Nichtberücksichtigung, welches er kürzlich auf einer Pressekonferenz abgegeben hat. Im Wortlaut klang es ungefähr so:

„Ich finde diese Geschichte maximal beschämend. Jonatan hat nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Verein und ganz Norwegen blamiert. Seine sportlichen Fähigkeiten sind unumstritten, aber diesmal habe ich ihn bewusst nicht berücksichtigt, da ich Fußballer trainiere und keine Porno-Stars."

Damit steht wohl fest, dass ich nie wieder das Trikot meines Heimatlandes tragen werde – zumindest nicht, solange Stordalen an der Seitenlinie steht. Nach Paciullo ist er nun schon der zweite Trainer, mit dem ich es mir versaut habe. Seine klare Distanzierung schmerzt besonders, weil es kaum eine größere Ehre gibt, als in die Nationalmannschaft berufen zu werden. Bisher hatte ich ganze sechs Mal das Vergnügen und wenn ich Stordalen richtig verstanden habe, wird es vorerst dabei bleiben. Leider.

Zu meinem persönlichen Unmut hat Gigi noch eine weitere schlechte Nachricht im Gepäck. „Kein europäischer Verein ist an einer Leihe im Winter interessiert", lässt er mich wissen und mustert mich mit seinem Berater-Blick. „Die einzigen Anfragen, die ich bekommen habe, sind von irgendwelchen Klubs aus China und Saudi-Arabien. Wenn überhaupt, wollen sie dich aber nur fest verpflichten."

„Klasse", brumme ich missgelaunt und kratze mit meinem Löffel die letzten Reste Trollkrem aus dem Glas. „Wie viel bieten die denn für mich? Zehn Säcke Reis und fünf Kamele?"

„So ungefähr", antwortet Gigi, während er König Magnus streichelt, der neben ihm auf einem freien Stuhl liegt. Vorhin hätte er sich beinahe auf ihn draufgesetzt, weil er nicht richtig hingeschaut und geglaubt hat, er wäre ein Kissen.

Sein Glück, dass außer mir niemand etwas davon mitbekommen hat. Oma ist draußen im Garten damit beschäftigt, Kaminholz zu hacken und ihre geliebten Beete zu jäten. Dass es schon den ganzen Tag über nieselt und stürmt, kümmert sie nicht im Geringsten. Gigi dagegen scheint das schlechte Wetter aufs Gemüt zu schlagen. Immer wieder schaut er durch das regennasse Fenster und macht dabei ein Gesicht, als hätte er in eine Zitrone gebissen.

„Habt ihr vielleicht noch Met?", erkundigt er sich hoffnungsvoll, doch ich muss ihn enttäuschen. In der kurzen Zeit, die er hier verbracht hat, ist so viel Honigwein geflossen, dass von Omas Vorrat allenfalls noch ein paar Tropfen übrig sind.

„Wir hätten noch Aquavit", schlage ich vor, obwohl ich starke Zweifel daran habe, dass mein Berater Gefallen an dem nach Kümmel und Dill schmeckenden Destillat finden wird. Es gilt zwar als skandinavisches Nationalgetränk, ist aber längst nicht jedermanns Sache.

Bevor Gigi etwas dazu sagen kann, ertönt aus dem Flur ein schrilles, nerviges Rasseln. Irritiert lege ich die Stirn in Falten, bis mir einfällt, dass es das Telefon sein muss. Seitdem ich hier bin, hat es noch kein einziges Mal geklingelt. Mein erster Gedanke ist, meiner Großmutter Bescheid zu geben, doch sie würde wahrscheinlich zu lange brauchen. Da es eventuell wichtig sein könnte, entscheide ich mich nach kurzem Zögern, selbst den Hörer abzunehmen.

„Castberg?", melde ich mich mit meinem Nachnamen und sehe aus dem Augenwinkel, wie Gigi sich ungläubig an die Stirn fasst. Nicht zu Unrecht, schließlich bin ich offiziell überhaupt nicht da.

Am anderen Ende der Leitung bleibt es zunächst still. Ich meine, jemanden atmen zu hören und rechne schon mit einem geschmacklosen Scherz, als plötzlich eine barsche Männerstimme ertönt, die mir das Blut in den Adern gefrieren lässt. „Jonatan?", fragt niemand Geringeres als mein Vater. „Bist du das, verdammt nochmal?"

Mein Herz setzt einen Schlag aus. „Nein, Papa", antworte ich panisch und möchte mich im nächsten Moment selbst ohrfeigen. So blöd kann ein Mensch doch gar nicht sein. Gigi sieht das offenbar genauso, denn er murmelt etwas, das verdächtig nach „Idiota" klingt.

„Ha, nicht einmal lügen kannst du!", raunzt mein Vater wutentbrannt und ich halte den Hörer sicherheitshalber ein Stück von meinem Ohr weg. „Aber wenigstens weiß ich jetzt, wo du steckst. Zieh dich schon mal warm an, mein Lieber. Deine Mutter und ich machen uns sofort auf den Weg. Wehe, du bist nicht da, wenn wir kommen!"

Mit diesen Worten legt er auf und ich starre fassungslos auf das Telefon in meiner Hand. Hat er rein zufällig hier angerufen oder wusste er, dass ich hier bin und wollte sich nur vergewissern? Falls Letzteres zutrifft, muss ihm jemand einen Tipp gegeben haben.

Wer, ist mir im Augenblick völlig egal. Ich kann nur daran denken, dass mein Vater auf dem Weg zu mir ist und das gleicht einer mittleren Katastrophe. Hilfesuchend schaue ich zu Gigi, der natürlich auch nichts an der Situation ändern kann.

Anstatt mir jedoch Mut zu machen, bestärkt er mich in meinen schlimmsten Befürchtungen. „Sei morto", sagt er mit einer Grabesstimme, die mir durchaus Angst einjagt. „Du bist tot. Lass uns schnell den Aquavit aufmachen, bevor deine Eltern kommen. Vielleicht wird's entspannter, wenn du einen sitzen hast."

„Das glaubst aber auch nur du", erwidere ich pessimistisch, knalle dennoch den Hörer auf die Gabel und bewege mich in die Küche, um die Flasche aus dem Gefrierfach zu holen.


Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt