XI. Strafstoß

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Gianluigi Donatelli ist gebürtiger Neapolitaner, hat jedoch einen Großteil seines Lebens in Deutschland verbracht, weil seine Eltern Italien den Rücken gekehrt haben, als er noch ein kleiner Junge war. Er ist also mehr oder weniger dort aufgewachsen. Nach seinem Abitur hat er Skandinavistik studiert, an einer gewissen Goethe-Universität in Frankfurt.

Als ich ihn einmal gefragt habe, wieso er sich damals ausgerechnet für diesen Studiengang entschieden hat, meinte er nur, dass er Nordeuropa schon immer faszinierend fand. Seiner außergewöhnlichen Studienwahl ist es zu verdanken, dass er neben Italienisch, Deutsch und Englisch auch die Grundlagen der skandinavischen Sprachen beherrscht.

In seinem Job ist das durchaus nützlich, denn nach erfolgreichem Abschluss seines Studiums hat sich Gigi dafür entschieden, beruflich umzusatteln und Spielerberater zu werden. Warum? Weil er als waschechter Vollblut-Italiener den Calcio lebt und liebt. Heute ist Gigi Mitte Fünfzig, dick im Geschäft und schon seit einigen Jahren mein Berater.

Mit der Zeit ist er zu einer Art väterlichem Freund und Familienmitglied geworden. Wenn wir uns nicht über Fußball unterhalten, erzählt er mir oft von seinen drei Kindern, die bei seiner Ex-Frau in Deutschland leben oder von seinem Haus auf Ischia, einer kleinen Insel im Golf von Neapel. Bei jeder Gelegenheit zieht er sich dorthin zurück, um die Seele baumeln zu lassen und das berühmte Dolce Vita zu genießen.

Ich wette, er wäre jetzt auch lieber dort, statt mit mir auf Omas Terrasse zu hocken und über meine verkorkste Karriere zu fachsimplen. Inzwischen habe ich mich geduscht und umgezogen, aber so richtig fit fühle ich mich immer noch nicht. Vor Gigis Nase steht eine dampfende Tasse Kaffee, während ich lieber bei Tee bleibe. Nachdem ich Oma klargemacht habe, dass ihre Ingwerbrühe das flaue Gefühl in meinem Magen nur verschlimmbessert, haben wir uns auf Kamillentee geeinigt.

„Lass uns offen miteinander reden, Jonny", sagt Gigi und nippt an seinem Kaffee. „Ich denke nicht, dass du bei den Rovers noch eine Zukunft hast. Malfatti, Paciullo und deine Teamkollegen sind, na ja ... nicht besonders glücklich über den Vorfall."

Welch Wunder. „Du hast also mit ihnen gesprochen?", frage ich zähneknirschend und beobachte das träge vor sich hin plätschernde Rinnsal. Das leise, ungleichmäßige Gluckern klingt beinahe so, als würde das Wasser murmeln.

„Nicht mit allen", räumt mein Berater achselzuckend ein. „Aber ich habe einiges aufgeschnappt. Angeblich hat sich Kjeldsen beim Vorstand dafür ausgesprochen, dass dein Vertrag aufgelöst wird. Zum Wohle der Mannschaft natürlich."

Mir entfährt ein ungläubiges, verächtliches Schnauben. Simon Kjeldsen, dieser alte Judas. Der Öffentlichkeit präsentiert er sich stets als Teamplayer und Alphamann, jemand, der in der Kabine etwas zu melden hat. Ich hingegen habe während meiner Zeit bei den Rovers eine andere Seite von ihm kennengelernt. Kjeldsen ist einer der Ältesten im Team und verpasst keine Gelegenheit, auf jüngeren Spielern, zu denen ich auch gehöre, rumzuhacken.

Mehr als einmal sind wir im Training aneinandergeraten, weil er es einfach nicht lassen konnte, mich zu kritisieren. Meist ging es um irgendwelche Kleinigkeiten. Dass nun ausgerechnet er mich beim Vorstand angeschwärzt haben soll, ist zwar ein Schlag ins Gesicht, aber keine besondere Überraschung. Schließlich hat Kjeldsen oft genug deutlich gemacht, was er von mir hält – nämlich gar nichts. Einmal hat er mich wütend „Vaskeklut" genannt. Das ist Norwegisch und bedeutet so viel wie „Waschlappen".

„Vielleicht war er das mit dem Video", sage ich düster und vergrabe die Hände in der Bauchtasche meines Armani-Hoodies. „Er hat doch schon die ganze Zeit versucht, mich dumm dastehen zu lassen."

„Ich weiß es nicht", entgegnet Gigi trocken. „Selbst wenn du Recht hast mit deinem Verdacht, wirst du ihm wohl kaum etwas nachweisen können. Dafür müsstest du schon irgendwelche Experten engagieren."

Bloß nicht. Die ganze Sache ist schon peinlich genug. „Wie geht's denn jetzt weiter?", frage ich resigniert, wobei ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort wirklich hören möchte. Letztendlich weiß ich aber, dass es nichts bringt, die Augen vor der Wahrheit zu verschließen.

Gigi seufzt und kratzt sich an seiner markanten Römernase. Mit diesem Zinken könnte er glatt Zlatan Ibrahimović Konkurrenz machen. „Ich werde mich bald mit den Verantwortlichen zusammensetzen", erklärt er ohne große Begeisterung. „Wahrscheinlich wird es die beste Lösung sein, wenn du erst mal verliehen wirst. Fragt sich nur, wohin."

Das ist in der Tat eine gute Frage. Zweifelnd sehe ich ihn an. „Glaubst du, dass meine Karriere vorbei ist?"

Mein Berater gibt ein ungehaltenes Brummen von sich. „Mit Sicherheit, wenn du dich weiter hier versteckst, besäufst und vollfrisst. An deiner Stelle würde ich auf meine Ernährung achten und mich fit halten. Zumindest erhöht das die Chance, dass irgendein Verein dich leihweise unter Vertrag nehmen möchte."

Seine ehrlichen Worte treffen mich, aber er hat Recht. Seit ich hier bin, habe ich bereits acht Kilo zugenommen. Ich bewege mich zwar jeden Tag, aber von richtigem Training kann keine Rede sein. Mein Alkoholkonsum und die frustbedingte Völlerei tun ihr Übriges. Es ist nicht zu leugnen, dass ich komplett außer Form bin. Momentan wäre ich wahrscheinlich nicht einmal gut genug für die Reservemannschaft der Rovers.

Aus dem Augenwinkel nehme ich eine Bewegung wahr. König Harald kommt auf die Terrasse geschlichen, mit aufmerksam gespitzten Ohren und einem Gesichtsausdruck, der ahnen lässt, dass er etwas im Schilde führt. Seine gelben Augen mustern mich verschlagen und ich starre finster zurück. Dass er Alfred attackiert hat, nehme ich ihm nach wie vor sehr übel.

„Che bello gatto", sagt Gigi bewundernd, als er den Kater bemerkt und streckt seine Hand aus, um ihn daran schnuppern zu lassen. Zu meiner großen Verwunderung tut König Harald genau das.

Mit offenem Mund sehe ich zu, wie er von meinem Berater gestreichelt wird und dabei sogar schnurrt. Von wegen, er mag keine Fremden. Das ist der endgültige Beweis dafür, dass dieses Tier einen Groll gegen mich hegt. Ich wünschte, ich könnte Gigi sagen, dass er gerade dabei ist, sich mit meinem Erzfeind zu verbrüdern, aber ich schätze, dann würde er mich für komplett verblödet halten – wenn er das nicht schon längst tut.

Mein Handy gibt Laut und ich sehe nach, wer mir geschrieben hat. Offensichtlich sind meine Freunde von den Toten auferstanden. Lasse hat soeben einige Fotos in unsere WhatsApp-Gruppe geschickt, die am Vorabend während unserer Zechtour entstanden sind. Auf einem davon bin ich äußerst unvorteilhaft getroffen. In einer grotesken Pose hocke ich an einem Kneipentisch und grinse dümmlich in die Kamera. Lasses Kommentar dazu macht die Sache auch nicht besser.

Lasse (12:01 Uhr): Ey Jonny, auf dem Foto siehst du aus wie Stephen Hawking!

Rikard antwortet prompt mit einer Reihe Lachsmileys. Ich lasse derweil mein Handy sinken und überlege, wem von beiden ich zuerst einen Arschtritt verpassen soll. Am besten Lasse, denn er ist offenbar Derjenige, der dieses blöde Foto geschossen hat. Mein Finger schwebt über der „Löschen"-Taste, aber im Endeffekt behalte ich es doch. Irgendwie steht dieser Schnappschuss sinnbildlich für meine derzeitige Lebenslage. In ein paar Jahren kann ich hoffentlich darüber lachen.


Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt