XIII. Platzverweis

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„Jonny?", wiederholt Olaf mit einem spöttischen Grinsen und wendet sich an Ingrid: „Dann ist das also dein Ex-Freund, der dich von heute auf morgen verlassen hat, weil er lieber Fußball spielen wollte?" So wie er „Fußball" ausspricht, hält er es für die niveauloseste Sportart aller Zeiten.

Ingrid nickt, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Ihre Miene ist eingefroren, sie hat ihre Lippen fest zusammengepresst und es scheint ihr die Sprache verschlagen zu haben. Mir liegen derweil jede Menge Worte auf der Zunge, etwa zwei Drittel davon sind jedoch Beleidigungen, die ich Olaf gerne der Reihe nach an den Kopf werfen würde. Sein blödes, überhebliches Grinsen provoziert mich ungemein.

Demonstrativ kehre ich ihm den Rücken zu und richte meine Aufmerksamkeit auf Ingrid, die immer noch dreinschaut, als hätte sie gerade ein Gespenst gesehen. „Wollen wir uns vielleicht draußen unterhalten?", schlage ich vor, weil ich mir sicher bin, dass sie Redebedarf hat. Genauso wie ich.

„Du hast dich überhaupt nicht mit ihr zu unterhalten!", ätzt Olaf dazwischen, doch er hat die Rechnung ohne Rikard gemacht, der zum Glück auch noch da ist.

„Halt mal den Ball flach, du Gartenzwerg", sagt er schroff und baut sich wie eine Mauer vor ihm auf. „Erstens kann Ingrid selber entscheiden, mit wem sie redet und zweitens sorge ich dafür, dass du hier rausfliegst, wenn du dich nicht benimmst. Alles klar?"

Diese Ansage fruchtet. Olaf hält seine Klappe und ich werfe Rikard einen dankbaren Blick zu. Am Ende des Tages ist er eben doch ein wahrer Freund. „Gehen wir?", frage ich Ingrid und zu meiner Erleichterung folgt sie mir kommentarlos nach draußen.

Das Fitnessstudio befindet sich im Viertel Bryggen und damit direkt am Wasser. Von der See her weht ein scharfer, salzig schmeckender Wind, der mir eine leichte Gänsehaut beschert. Immerhin trage ich kurze Trainingsklamotten und bin völlig verschwitzt.

Mir ist klar, dass ich momentan wahrscheinlich nicht den schönsten Anblick biete. Bleibt zu hoffen, dass Ingrid mir trotzdem eine Chance gibt – auch wenn es sicher schwierig ist, jemanden ernst zu nehmen, dessen Kopf so rot leuchtet wie ein Pavianarsch.

Noch immer hat sie kein Wort gesagt und allmählich wird das Schweigen unangenehm. Verlegen räuspere ich mich, weil ich selber nicht so genau weiß, was ich sagen soll. „Und?", frage ich schließlich wenig einfallsreich. „Wie geht's dir so?"

Sicher nicht die beste Frage nach alledem, was zwischen uns passiert ist. Ingrid sieht das offenbar ähnlich, denn sie schnaubt ungläubig. „Bis gerade eben ging's mir noch sehr gut", antwortet sie spitz und lässt keinen Zweifel daran, dass sie über unser Wiedersehen alles andere als erfreut ist. „Was machst du hier?"

„Na ja ... trainieren", entgegne ich verunsichert und kaue auf meiner Unterlippe, wie ich es immer tue, wenn ich nervös werde. Normalerweise ist das eher selten der Fall.

„Tu nicht so blöd!", faucht sie mich an und kommt mit verschränkten Armen näher. „Ich frage dich, was du hier in Bergen verloren hast. Es gibt doch bestimmt einen Grund für deinen Besuch, oder?"

Shit. Lüge ich sie jetzt an oder erzähle ich ihr die Wahrheit? Nach kurzem Zögern entscheide ich mich für Option Eins. Die wahre Geschichte hinter meinem Aufenthalt vertraue ich Ingrid am besten erst an, wenn sich die Gemüter ein wenig abgekühlt haben. „Ich wurde beurlaubt und dachte, ich schaue mal wieder in der Heimat vorbei", erkläre ich ausweichend, wobei sich mein schlechtes Gewissen regt. „Nichts Besonderes also."

„Beurlaubt", wiederholt Ingrid spöttisch. „Du meinst wohl eher suspendiert, oder? Ich finde, das ist schon etwas Besonderes. Dass ein peinliches Video von dir geleakt wurde und die halbe Welt sich über dich lustig macht, übrigens auch."

Noch bevor sie zu Ende gesprochen hat, spüre ich, wie ich puterrot anlaufe. Wenn ich geahnt hätte, dass sie bereits bestens informiert ist, wäre ich nie auf die Idee gekommen, sie anzuflunkern. „Du weißt es also", knirsche ich und schaue betreten zu Boden. Hoffentlich hält sie mich jetzt nicht auch noch für einen Lügner.

„Ja, Jonny, alle wissen es", erwidert sie aufgebracht und mit einer Stimme, die wesentlich schriller klingt als sonst. „Außer vielleicht Olaf, weil er sich nicht für Fußball interessiert." Sie macht eine kurze Pause, nur um danach erst richtig loszulegen. „Das ist wieder so was von typisch für dich. Mist bauen, verschwinden und dann so tun, als wäre nichts gewesen. Genau wie bei mir damals!"

Ich glaube, ich schrumpfe vor lauter Scham um ein paar Zentimeter. „Ingrid, bitte", murmle ich peinlich berührt. „Es tut mir wirklich leid, was ich gemacht habe. Ich ..."

„Und ich bin Pippi Langstrumpf!", unterbricht sie mich wütend. Ihre Stimme bricht und ich schaue auf, weil ich befürchte, dass sie angefangen hat zu weinen. Tatsächlich glitzert es in ihren Augen, aber noch schafft sie es, die Fassung zu wahren.

Mir bricht es beinahe das Herz, sie so durcheinander zu sehen – vor allem, weil ich Derjenige bin, der daran schuld ist. Am liebsten würde ich sie trösten, doch ich halte mich zurück. Weder ein Wort, noch eine Berührung von mir könnten die Situation retten. Deshalb beschränke ich mich darauf, ruhig zu bleiben und abzuwarten. Tatsächlich dauert es nur wenige Augenblicke, bis Ingrid wieder zu sprechen beginnt.

„Was sagt eigentlich diese Carina dazu, dass du ohne sie nach Norwegen abgehauen bist?", erkundigt sie sich schnippisch und mustert mich mit zusammengekniffenen Brauen. Ihre vom Wind aufgebauschten Haare lassen sie irgendwie angriffslustig wirken.

„Nichts", antworte ich achselzuckend. „Das mit ihr war nur 'ne einmalige Sache. Wir haben uns danach nie wiedergesehen. Außerdem heißt sie nicht Carina, sondern Carlotta."

„Schön für sie!", zischt Ingrid und nun sprühen regelrecht Funken aus ihren Augen. „Weißt du was, Jonatan Castberg? Du bist und bleibst ein absoluter Vollidiot! Von mir aus kannst du gleich wieder abhauen. Je früher, desto besser!"

Am Ende überschlägt sich ihre Stimme fast. Sie wirft mir einen letzten, vernichtenden Blick zu, ehe sie sich umdreht und mit wehenden Haaren zurück zum Fitnessstudio läuft. Dort stößt sie beinahe mit Rikard zusammen, der das Gebäude soeben durch den Hinterausgang verlässt. Von Olaf ist weit und breit nichts zu sehen.

„Dein Freund ist frech geworden, ich musste ihn rauswerfen", eröffnet er Ingrid, klingt jedoch nicht so, als täte es ihm besonders leid. „Er hat jetzt Hausverbot für die nächsten drei Monate. Sag ihm das und natürlich einen lieben Gruß von mir. Wenn er mich nochmal einen fetten Hurensohn nennt, bekommt er Haalands Zorn zu spüren."

Ingrid stutzt kurz, schüttelt dann genervt den Kopf und ist im nächsten Moment auch schon verschwunden. Die Vorstellung, dass sie jetzt zu Olaf rennt und sich von ihm trösten lässt, ist für mich nur schwer zu ertragen.

Rikard kommt derweil näher, er scheint bereits zu ahnen, dass unser Gespräch nicht allzu erfreulich verlaufen ist. Statt seines üblichen Feixens liegt ein mitfühlender Ausdruck auf seinem Gesicht. „Und?", fragt er behutsam. „Wie war's? Was hat sie gesagt?"

„Dass ich ein Arschloch bin und sie mich nie wiedersehen will", antworte ich dumpf und lasse die Schultern hängen wie ein geprügelter Hund.

Misstrauisch runzelt mein Kumpel die Stirn. „Sicher, dass Ingrid das so gesagt hat?" Offensichtlich hat er leichte Zweifel an meiner Antwort.

„Indirekt schon." Deprimiert werfe ich einen Blick auf die Uhr. Es ist früher Nachmittag, aber ich hätte große Lust auf eine zweite Runde Frustsaufen. Dass ich mich vom letzten Mal noch nicht erholt und zudem einen Deal mit meinem Berater habe, ist mir im Augenblick herzlich egal.

Rikard besitzt anscheinend hellseherische Fähigkeiten, denn er seufzt und schneidet eine gequälte Grimasse. „Nicht schon wieder, Jonny", sagt er abwinkend. „Mein Schädel tut immer noch weh. Außerdem habe ich keine Lust, deinetwegen zum Alkoholiker zu werden."

„Na schön", brumme ich miesepetrig. „Dann gehen wir eben was essen. Je fettiger, desto besser." Und je mehr, desto besser, aber das sage ich Rikard lieber nicht, sonst hat er am Ende noch etwas dagegen.

Könnt ihr Ingrids Reaktion nachvollziehen?


Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt