2 - [Unhöflich]

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Meine Beine trugen mich die Treppe herunter zum Küchentisch. Ich beobachtete, wie meine Eltern beide eine Schüssel Salat zum Frühstück aßen, jedoch lag auf meinem Platz nur ein Küchenbrett mit Brot darauf.

Vorsichtig zog ich den Stuhl zurück, während ich darauf achtete, ihn nicht über den Boden quietschten zu lassen.

Sofort kniff ich meine Augen zusammen, als ich den Geruch des Salates vernahm - scharf und stechend.

Mein Körper zwang sich von selbst heimlich durch den Mund zu atmen, während ich mein unbelegtes Brot aß. Bei jedem Bissen hielt ich die Luft an, ohne zu versuchen aufzufallen.

,,Wie geht es dir?" Hörte ich meinen Vater zögerlich fragen. Beklemmt lächelte er mich an, während seine Hand sich fest um seine Gabel klammerte.

Wie Mom heute morgen, lächelte er auch mich an, als hätte er jeden Augenblick einen Nervenzusammenbruch erwartet.

Regungslos sah ich ihn an und überlegt mir eine Antwort, auch wenn ich mir nicht wirklich Gedanken machte.

,,Gut, mir geht es gut" Meine Stimme klang leicht heiser, auch wenn sie das eigentlich nicht war.

Diese bedrückende Stimmung war genau wie damals, als sie zu mir meinten, dass mein Lieblingsbuchladen schließen musste.

Nach jeden Einkauf nahmen sie mich zu einem anderen Buchladen mit, um zu schauen, ob der mir nicht gefallen würde.

Ich hasste sie alle. Es waren unbekannte Gesichter an der Kasse und Gänge, in denen ich mich nicht zurechtfand.

Daraufhin kaufte ich mir nur noch Bücher online, da es einfacher war, auch wenn ich das Gefühl des Ladens vermisste.

,,Schön" Flüsterte er, bevor er es noch einmal leiser wiederholte. Abwesend stocherte er mit seiner Gabel im Salat herum.

Unwohl richtete ich meinen Blick zu meiner Mutter, welche ihren Kopf sofort zu mir drehte.

,,Wusstest du davon?" Fragte ich in die Stille hinein. Mein Vater hob neugierig seinen Kopf und sah zwischen uns hin und her.

Schon fast bedauernd senkte sie ihren Kopf, bevor sie ihn mit einem traurigen Lächeln wieder hob.
,,Du hattest schon damals so große Probleme gehabt, als die Johnsons auszogen" Begann sie, als wäre es irgendeine Art von Rechtfertigung gewesen.

Ich hatte kein Problem mit ihrem Auszug gehabt, sondern mit der Stille die kam.

Wann immer ich alleine war, war es zu ruhig. Ich konnte den Wind, durch die undichten Stellen meines Fensters hören. Das der Fernseher rauschte wusste ich, doch nie war mir nach ihren Auszug aufgefallen, wie laut er eigentlich war. Sogar das Knarren der Treppe konnte ich durch meine geschlossene Tür hören, wann immer ich allein war.

Die Johnsons waren eine laute Großfamilie, die meine Aufmerksamkeit sonst immer auf sie lenkte, doch ohne sie wirkte die Stille erdrückend. Als würde das Haus versuchen wollen, mich zu verschlucken.

Mein Problem war, dass ich mich endlich daran gewöhnt hatte und nun wieder lernen musste, mit der Lautstärke auszukommen.

,,Ich hatte es deshalb einfach etwas verdrängt dir zu erzählen" Lachte sie.

Ich wollte sauer sein, stattdessen fühlte ich mich nur schuldig.
,,Verstehe" Das tat ich wirklich. Ich verstand warum, trotzdem wollte ich darüber wütend sein, aber ich konnte nicht.

Seufzend schob ich meinen Stuhl nach hinten und lief zur Haustür.
,,Ich geh zum Briefkasten"

Ich wusste nicht, warum ich da gesagt hatte, doch rausreden konnte ich mich nicht mehr.

Ich öffnete die Tür und doch etwas überrascht den Umzugswagen nicht mehr stehen zu sehen. Unter der Tarasse war es schattig, doch als ich auf den Steinboden trat, musste ich sofort meinen Blick senken.

Ich wollte es einfach nur schnell hinter mich bringen und öffnete den Briefkasten. Es war zwar keine Post darin, aber dafür die Zeitung.

,,Du standest beim Fenster" Riss mich die plötzlich Stimme aus meinen Gedanken.

Wolken schoben sich vor die Sonne, was mich zwang zur ihr aufzusehen. Mit einem breiten Lächeln hatte sich das Mädchen über den Zaun gelehnt, welcher unsere Gärten von einander trennte.

,,Ich bin übrigens Brooklyn" Erzählte sie mir mit einer doch sehr aufgeregten Stimme. Sofort streckte sie mir ihre Hand entgegen.

Ich sah mich förmlich dazu gezwungen ihre Hand in meine zu nehmen, als sie sie nicht zurück zog.

Sie hatte einen starken Griff, welcher extrem rau war. Ein widerliches Gefühl überzog meine Hand, als sie von mir abließ.

Heimlich wanderte meine Hand hinter meinen Rücken und begann den Stoff meiner Hose anzufassen.

Ich musste dieses Gefühl einfach loswerden, bevor ich wahnsinnig wurde.

,,Und du heißt?" Sie legte ihren Kopf schief, dabei verließ ich ihren Blick jedoch nicht. Ihre braunen Augen musterte jedes Detail meines Gesichtes, weshalb ich nicht verstand, warum sie mich nicht in Ruhe ließ.

Zwar fiel es mir oft schwer meine Gefühle mit Worten auszudrücken, doch hätte mein Ausdruck mehr als Bände sprechen müssen.

Es war, als wollte sie mit Absicht eine Reaktion hervorlocken.

Langsam sanken ihre Mundwinkel, ihre Augen sahen auch viel kälter aus. Vorher hätten sie mich vielleicht wie die Sonne blenden können, so hell strahlten sie.

Nun erinnerten sie mich eher an den kalten Winter, welchen ich genau so sehr, wie den heißen Sommer hasste.

Sehr ironisch, dass ich nach dieser Jahreszeit benannt wurde.

,,Dein Name ist?" Fragte sie noch mal etwas genervter nach. Verunsichert sah ich sie an.

Ihre Augen forderten eine Antwort, während ihre strenge Körperhaltung keine Lust mehr auf warten hatte.

Schwer schluckend brach ich den Blickkontakt, welchen ich für zu lange aufrecht gehalten hatte.

Ich schloss meine Augen und begann über sie mit meinen Handrücken zu streifen. Mir war nicht aufgefallen, dass ich vergessen hatte zu blinzeln.

Stock und steif bewegte ich mich zurück auf die Terrasse zu.
,,Unhöflich!" Hörte ich ihre Stimme mir hinter rufen, bevor sie zurück zum Haus lief.

Als wäre mir eine Last von den Schultern gefallen, atmete ich langsam und regelmäßig wieder ein und aus.

,,Und, haben wir Post?" Fragte mich mein Vater sofort, als ich im Rahmen der Tür stand.
,,Äh, nein" Schüttelte ich sofort meinen Kopf und lief auf ihn zu, als er dabei war den Tisch abzuräumen.

Der Geruch hatte sich verflüchtigt und ich konnte endlich wieder normal atmen.
,,Es war nur die Zeitung" Meinte ich mit einem schulterzucken und lief die Treppen zu meinem Zimmer hoch.

,,Danke" Hörte ich meine Mutter aus der Küche rufen, bevor die Tür ins Schloss fiel.

Butterfly SyndromeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt