Transmission eines Teilchens

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Schweißnasse Strähnen kleben an seiner Stirn. Noch ein Satz, seine Wangen glühen, noch ein Set, sein Innerstes zerspringt. Jede Sehne zum zerreißen gespannt, jede Faser am Limit. Der Schmerz tut so gut, befreit ihn, erlöst ihn von seinem eigentlichen Leiden. Wässert die Glut in seinem Kopf, die ihn zu erdrücken und verbrennen droht.

Er ließ den Rausch an sich vorbeiziehen, ließ jede Träne trocknen, jedes Ziehen in der Brust zerfließen, es auflösen im Schmerz der Gewichte. Denn auch dort fand er keine Ruhe, war rastlos und ungehalten. Nichts und niemand war dazu im Stande ihn aus diesem Gefängnis zu befreien. Niemand außer ihm.

Damals wusste er noch nicht, dass es einmal so sein würde, dass jemals ein solches Gewicht auf seinen Schultern lasten sollte. Wie hätte er es erahnen können, bei all dem Chaos und der Trauer.

Klimmzüge, Liegestütze, dann noch rudern, bis jede Sehne brennt, bis jeder Muskel rebelliert. Sich selber in den Tiefen seiner selbst versenken, sich stetig den Abgrund entgegen treiben. Er braucht es so dringend, wie die Luft zum Atmen. Entweder das oder die Chemie. Und die Chemie bedeutet immer das kurzweilige Ende, ein Ende vor dem er Zeit seines Lebens versucht zu flüchten. Eines, dass ihn Zeit seines Lebens verfolgen sollte. Standhaft bleiben ist seine Devise, die einzige Gewissheit an welche er sich noch halten kann, ohne sich selber dabei in die Knie zu zwingen.

Das Warum erfragt er sich so verdammt oft. Wofür die ganze Qual, all diese Scham, die Wut und dieser unstillbare Kummer. So haltlos verloren im leeren Raum, ignoriert von der Masse, untergegangen im grauen Schleier dieser zähen Existenz. Sich zu jedem Atemzug zwingend, lebt er mit jedem Herzschlag ein wenig länger. Seine Hände schwielig, die Haut gereizt, seine Augen schmerzhaft trocken, versucht er es in jedem Augenblick wieder, unaufhörlich, endlich. Einen Faden, den man bis zur Materialermüdung spannt, bis zu dem Punkt an dem er dem Außen nicht mehr standhält, an dem es ihm bestimmt ist zu reißen.

Und mit diesem Gedanken, an den bis zum Zerreißen gespannten Faden, lässt er endlich los. Einen tiefen Atemzug später verliert er den Kontakt zu allem irdischen. Sein massiger Körper unterliegt der Schwerkraft, gleitet dem harten Boden entgegen, sein harten Aufprall wird er schon nicht mehr spüren. Wie ein Sandsack prallt er auf, sich sein Geist ist unlängst schwerelos, entgleitet und verschwindet im tiefschwarzen Boden. Eine sickernde Masse, welche langsam in seine Lungen dringt ihn komplett ausfüllt, solange bis er darin schwimmt, ohne Bewusstsein, ohne Leben. Das einst so zarte Beben, welches ihn durchdrang ist verschwunden im Nebel des Existenzlosen, im Schein der Lumineszenz des Unbekannten.

Nie wieder würde er zurückkehren in diese fade Illusion dieser plastischen Metropole. Durchdrungen von dem retikulären Netz des Allseits, befreit ihn sein Körper, beflügelt ihn das Unsagbare. Nie wieder würde er Gewichte stemmen, kein weiteres Mal liefe er im Dunst seiner trägen Gedanken nach Hause, wo er sich den geschmacklosen Fraß aus dem Kühlschrank nahm. Keine zwanglosen Verabredungen, kein weiterer Einbruch seines Durchhaltevermögen. Kein weiterer Schnitt in seine schon geschundene Seele , nichts was ihn mehr verletzen könnte, keine Träne mehr, die er weinen müsste.

Stattdessen erfuhr seine jetzige Daseinsform eine grenzenlose Freiheit, eine namenlose Welt fern ab allen uns zur Verfügung stehenden Mittel des Beschreibbaren. In unserem Sinne eines derzeitigen Augenblickes befindet er sich unmittelbar an einem Ort fern ab unserer Vorstellungskraft, in einem Raum-Zeitgefüge, außerhalb des physikalisch Erklärbaren.

Und nun, in diesem Moment der sorglosen Befreiung erfährt er außerhalb aller Grenzen einen Zustand vollkommener Bedingungslosigkeit. Kein Begehren, kein Wunsch oder Traum, welcher ein etwaiges Streben erforderlich macht. Er ist weit fort, seine Strähnen getrocknet und unlängst versengt, im Boden der Ernüchterung.

Nie hatte er gewusst wie weit es sich zu gehen lohnt, nie wusste er auch nur annähernd, wie weit er überhaupt gehen könnte. Nie wagte er er es davon zu träumen, was er nun auch endlich so fand. Derzeit sind seine zarten Augen noch nicht offen genug, nicht weit genug entfernt um das zu greifen, was vor ihm liegt.

Keine Augen um zu sehen, keine aus Zellen oder biologischen Komponenten. Nichts Vergleichbares. Vielmehr eine Hymne aus Reinheit und Bewusstsein, wie eine Blase gefüllt mit Raum und Zeit und allem was nie war und nie sein sollte. Ein Kontinuum aus Paradoxie und Wahnsinn.

Die Herzen der Vielen schlagen so schnell, seines dagegen steht still und stumm im Angesicht des Kreises, welcher sich zu lösen scheint, zersetzt wird und die drei Seiten der stabilsten Form in sich auflöst, wie Salzkörner im Wasser.

War es sein Schicksal, die Bestimmung oder Zufall, dass es so kommen sollte? War er ein Stern im Angesicht des Kosmos, ein Staubkorn der Atmosphäre? Unabänderlich und determiniert, für immer in Stein gemeißelt?

Doch alles kam anders. Innerhalb seines zerflossenen Selbst verstand er endlich, wahrhaftig und allumfassend, was es ihm ermöglichen sollte den Faden zu spannen, ihn reißen zu lassen und zusammenzufügen, obwohl es den Faden nie geben sollte. Und so brauchte es nicht mehr viel, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er brauchte das Ende nicht fürchten. Dabei vollzog er eine Art Metamorphose, welche sich der Vorstellungskraft irdischer Instinkte entzog und etwas darstellte, worüber ein Niemand es beherrschte sich ein Bild davon zu machen.

Und so fand er einen Weg zu etwas Magischen. Zu etwas, von dem vor ihm niemand wusste, dass es etwaiges überhaupt gab. Immer wieder empfing er die Zeichen und lernte nach und nach die Semantik einer verlorenen Sprache, als die seine zu verstehen. Und jedes Mal, wenn ihn diese Symbolik durchdrang, jedes Mal, wenn er es spürte und seine Intuition anschlug , blieb ein Teil von dieser Energie untrennbar mit ihm verwoben. Ein Fünkchen Magie, welches den Weg durch einen dichten Nebel fand und sich in seiner Seele niederließ.

Sein Trotz gegenüber einer durchrationalisierten Welt mündet in der Rebellion gegen unsere materiell so manifestierte Lebensform. Er schaffte es sich selbst aus einer Varietät der ewigen Wiederholung zu lösen und entzog sich so einer spannungslosen Äquivalenz. Begab sich stattdessen in die Hände einer dimensionslosen Entität und minderte den Schmerz, aber auch die Zuversicht. Und so verließ er als das derzeitig einzig bekannte Wesen diese uns so vertraute Realität, um sich holistisch zu entmaterialisieren und sich einer reineren Informationsquelle anzuschließen, in welcher er sich selbst nicht mehr spüren wird.

Die Lumineszenz des Universums Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt