𝟙. 𝕂𝕒𝕡𝕚𝕥𝕖𝕝 🌑

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Goldenes Licht schien durch die Fenster. Kleine Staubkörnchen tänzelten in der Luft umher und leuchteten kurz auf, als die Lichtstrahlen sie trafen.

Der Geruch von altem Papier und Kerzenwachs hing in der Luft.
Langsam schlenderte ich durch die schmalen Gänge der Bibliothek.

Große, kleine, dünne, dicke, schwarze mit blutroter Schrift und hellblaue mit Goldeinband - sie alle weckten mein Interesse. Für sie alle schlug mein Herz.
Ich atmete tief ein.

Mit geschlossenen Augen fuhr ich über die Buchrücken. Zog wahllos eins der Bücher aus dem Regal vor mir und öffnete die Augen.

Der abgenutzte, grüne Samtumschlag schmiegte sich an meine Handfläche, als ich das schwere Buch vorsichtig aufschlug. Es war eine Geschichte über eine Frau, die ihre eigene Tochter umgebracht hatte, weil sie deren Ehemann für sich haben wollte.

Ich blätterte ein paar Seiten um und stellte das Buch schlussendlich zurück.
Mit leeren Händen verließ ich also die Bibliothek und machte mich auf den Weg in die große Halle.

Die Halle war bereits rappelvoll, als ich sie betrat. Weit hinten am Tisch, nahe der Lehrer, entdeckte ich meine Freunde.
Mit einem Grinsen schlenderte ich zu ihnen und ließ mich neben Draco nieder.

"Ach, Miss Bücherwurm ist auch endlich da!", rief der spöttisch in die Runde.
"Klappe, Mister Haargel", gab ich zurück und knuffte ihn in die Seite. Empört brummelte Draco vor sich hin, während die anderen laut loslachten.

"Ich würde sagen, der Punkt geht an Naomi", grinste Blaise. Er zwinkerte mir zu und widmete sich dann wieder seinem Essen. Mit gerunzelter Stirn ließ ich meinen Blick über den Slytherin-Tisch schweifen.

"Ist er immer noch nicht da?"
Blaise winkte ab.
"Du kennst Mattheo doch. Er braucht halt seinen großen Auftritt."
Langsam nickend wandte ich mich schließlich meinem leeren Teller zu.

"Kaum zu glauben, dass Naomi ihren ersten Tag in der Bibliothek verschwendet hat", sagte Draco mit vollem Mund.
"Tja, ich lege halt Wert auf Bildung", antwortete ich.

"Irgendwie ist das heute nicht so dein Tag, Draco", bemerkte Blaise mit einem breiten Grinsen, während er sich ununterbrochen Bratkartoffeln reinstopfte.

"Mund halten, Zabini. Warte, bis mein-"
"Vater davon erfährt!", beendete unsere gesamte Gruppe den Satz, woraufhin wir alle in Gelächter ausbrachen.
"Das ist Mobbing", beschwerte sich Draco, jedoch lächelte auch er leicht.

In diesem Moment bemerkte ich, wie sehr mir meine Freunde und Hogwarts gefehlt hatten. Natürlich gingen sie mir manchmal auf den Keks - und mit manchmal meine ich regelmäßig - aber sie waren trotzdem wie meine Familie und das Schloss mein Zuhause.

"Bei Merlins Bart, das kann man ja nicht mit ansehen. Jetzt iss mal was, Naomi!", wies Blaise mich an. Augenrollend schaufelte ich mir Kartoffeln und Lachs auf meinen Teller.

"Zufrieden, Dad?", blaffte ich Blaise an.
Der nickte huldvoll und ich verdrehte erneut die Augen. Ab und zu waren sie einfach zu sehr wie eine Familie.

Für die nächsten paar Minuten herrschte also ein zufriedenes Schweigen.
Die Gespräche um uns herum verschwammen zu einem einzigen Summen.

Auf einmal wurde es nach und nach stiller. Die Schüler verstummten und alle drehten sich in Richtung der Türen, die weit geöffnet waren. Und mitten im Türrahmen, von allen angestarrt, stand Mattheo. Mattheo Riddle.

Seine dunkelbraunen, beinahe schwarzen Augen wanderten über die Menge. Ein leicht spöttisch angehauchter Ausdruck lag in ihnen - eine Kleinigkeit, die man nur bemerkte, wenn man ihn kannte.

Ein wohliges Gefühl machte sich in mir breit - er war das letzte Teil des Puzzles von Zuhause, das gefehlt hatte.
Mattheos Blick traf meinen und er zog seinen rechten Mundwinkel nach oben, sodass ein Grübchen entstand.

Langsam und bedächtig schritt er auf das Ende des Slytherin-Tischs zu - wohlwissend, dass er angeglotzt wurde.
Er kam hinter mir und Draco zu stehen.
"Rutsch, Malfoy", sagte er leise, während er mich unentwegt ansah.

Angesprochener machte Mattheo sofort Platz - denn obwohl er eben noch so vorlaut gewesen war, war er im Grunde genommen ein kleiner Schisser.
Mattheo ließ sich langsam zwischen uns nieder und drehte sich zum Rest der Schüler um.

"Was?", blaffte er sie an. Daraufhin steckten alle wieder ihre Köpfe zusammen und nahmen ihre Gespräche wieder auf. Zufrieden musterte Mattheo das Essen vor sich und lud sich dann alles Mögliche auf seinen Teller.

Ich betrachtete ihn von der Seite und musste ein Lächeln unterdrücken.
Seine dunklen Locken kräuselten sich auf seiner Stirn. Die Haut in seinem Gesicht war ein bisschen braun geworden, aber seine rosafarbenen Lippen verzogen sich wie immer, wenn er grinste.

Da drehte Mattheo sich zur Seite.
Als sich unsere Blicke kreuzten, begann er wieder, zu lächeln.
"Ich wette, du hast mich vermisst."
"Nicht so hochnäsig, Riddle."

Sein Grinsen wurde noch breiter, falls das überhaupt möglich war.
"Jetzt hört halt auf, euch wie so zwei Kühe anzuglotzen!", kam es von Blaise.
Wir unterbrachen den Blickkontakt und ich stupste Mattheo leicht mit dem Fuß an.

"Reden wir später?", fragte ich leise.
"Klar", flüsterte er zurück.
Zufrieden konzentrierte ich mich wieder auf mein Essen und hörte mit halbem Ohr den Gesprächen um mich herum zu.

Endlich war ich wieder komplett.

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𝕊𝕨𝕖𝕖𝕥 𝕃𝕚𝕥𝕥𝕝𝕖 𝕃𝕚𝕖𝕤 | 𝕄𝕒𝕥𝕥𝕙𝕖𝕠 ℝ𝕚𝕕𝕕𝕝𝕖Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt