Prolog 1

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Stille. Das einzige, was noch zu hören war, war der Regen, der auf die Fensterbank prasselte. Ansonsten war es still im Raum. Ich konnte nichts sagen. Ich wusste nicht, wie. Das einzige, was ich wusste, war, dass das, was ich gerade gesehen hatte, das Schlimmste war, was ich je erlebt hatte. Ich atmete langsam durch und schaute vom Boden auf in Melcons Augen, die mich emotionslos anstarrten.

Mit zitternder Stimme brachte ich einen Satz hervor: „Wieso tust du das? Ich dachte, ihr seid Freunde?" Meine Stimme brach, mehr konnte ich nicht sagen. Von Melcon bekam ich als Antwort nur ein kaltes Lachen. „Selbst wenn wir befreundet gewesen wären, hat mir diese Freundschaft nichts mehr genützt, nachdem dein Vater tot war." Wie konnte ein Mensch nur so etwas Grausames tun? Jemanden einfach umbringen, weil er einem nicht mehr nützt?

Die Tür auf der anderen Seite des Raumes öffnete sich. „Soll ich die Leiche beseitigen und sauber machen?" fragte Finn, als wäre es ganz normal, eine Leiche aufzuräumen. „Ja, mach du das am besten. Ich kümmere mich um Mariam." Was meinte er mit „kümmern"? Wollte er mich etwa auch umbringen? Ich geriet in Panik. Was sollte ich tun? An ihm vorbeirennen, ihn angreifen, um mein Leben flehen?

Doch all das hatte auch schon die Person versucht, die jetzt tot zu meinen Füßen lag. Mein ganzer Körper zitterte vor Angst und Verzweiflung, ich war ganz starr vor Schrecken. Mein Gehirn hatte, glaube ich, einen Kurzschluss. Immer wieder sah ich in einer endlosen Schleife, wie Melcon die arme Luna umbrachte. Sie war zwar nicht die Netteste, aber sie hatte es nicht verdient, so grausam zu sterben.

„Shhh, ganz ruhig, ich tue dir doch nichts", kam Melcon mit einer beruhigenden Stimme auf mich zu. Ich wich immer weiter zurück, bis ich mit dem Rücken an die Wand stieß. „Finn, bitte hilf mir!" Finn schaute kurz von der Leiche auf. Seine Augen waren voller Mitleid, aber er schüttelte nur den Kopf. Ich wollte einfach nur weinen. Tränen flossen über meine Wangen. War das schon das Ende?

Melcon packte mich an der Schulter, mit der anderen Hand berührte er meine Stirn. Die gewohnte Wärme und Geborgenheit strömte durch meinen Körper, wie immer, wenn er das tat. Ich fiel in die übliche Trance. „Kommst du? Lisa und Ben fragen sich sicher schon, wo du bleibst. Es versteht sich von selbst, dass wir über das Gesehene nicht reden, oder?" Er machte mir einfach Angst, also konnte ich nur nicken. Nachdem ich genickt hatte, nahm er meine Hand in seine und führte mich aus dem Raum. Ich spürte an seiner Hand noch das Blut von Luna.

„Schön. Ich hatte mich gefragt, ob du morgen wieder mit mir frühstücken willst. Ich dachte, wir könnten das von letzter Woche wiederholen." Immer noch in Trance. Ich musste dringend herausfinden, wie ich das verhindern konnte, denn so war ich eigentlich nur seine Puppe. Ich lächelte gekünstelt und antwortete ihm das, was er hören wollte: „Ja, gerne. Ich freue mich." Wie konnte ich nur in diesen Albtraum geraten?

Ich und begabt, schlimmer kann es ja nicht mehr werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt