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Als wir beide von der Krankenstation nach draußen kommen, brennt das Lagerfeuer schon lichterloh. Ein paar von Wills Geschwistern spielen Gitarre oder Flöte und die weniger musikalischen Camper grölen (in eher schrägen Tonlagen) gutgelaunt mit. Die Flammen sind hell und hoch - ein Zeichen der guten Stimmung. Ich blicke zu Will neben mir. Das Feuer zeichnet Schatten auf sein schönes Gesicht. Er wirkt fast geisterhaft. Eine Welle der Sehnsucht überkommt mich, als ich ihn so ansehe. Mir ist echt nicht mehr zu helfen. Gerade als ich mir das denke, huscht auch sein Blick zu mir. Sofort verzieht sich sein Mund zu einem Lächeln und er nickt in Richtung einer kleinen, wackeligen Bank, die etwas abseits steht und nur leicht vom Feuer erleuchtet wird. Dorthin schlendern wir. Es ist der perfekte Platz. Man kann das Feuer sehen und seine Wärme fühlen, ist aber nicht so beobachtet. Perfekt für einen leicht unsozialen Hadessohn.

Als wir uns niederlassen ächzt die Bank bedrohlich. Anscheinend nicht mehr die Neuste. Will beginnt auch sofort mit der Musik mit zu wippen - vermutlich werden sich unsere Hintern heute noch am Boden wiederfinden. Keine Ahnung, wieso ich da gerade überhaupt darüber nachdenke. Vermutlich weil mich Will nervös macht und mein Gehirn sowieso jede verfügbare Gelegenheit nutzt, um abzuschweifen. "Kannst du ein Instrument spielen?", fragt Will plötzlich. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich das jemand das letzte Mal gefragt hat. Deswegen antworte ich in fast überraschtem Ton: "Ja. Also ich konnte es mal. Meine Mama hat es mir und Bianca Klavierspielen beigebracht, als wir Kinder waren." "Echt? Das ist voll cool!", ruft Will aus. "Du kannst mal vorbeikommen - wir haben mindestens 10 Klaviere in unserer Hütte." "Ach, ich habe schon ewig nicht mehr gespielt", meine ich ausweichend. Doch dann merke ich, dass mich die Idee begeistert. Es wäre schön, wieder einmal in einer Melodie zu versinken und die Tasten eines Klaviers unter meinen Fingern zu spüren. "Ich kanns ja wiedermal versuchen", füge ich deshalb nach einer Sekunde des Nachdenkens hinzu. "Juhu", jubelt Will. "Du kannst mir vorspielen!" "Und mich blamieren? Nein, danke", gebe ich trocken zurück. "Ich bin nicht besonders musikalisch, keine Sorge. Und ich würde dich echt gern hören. Außerdem siehst du sicher sexy aus, wenn du spielst", kommt es von Will zurück. Ich zucke bei dem letzten Satz zusammen. Hat er das wirklich gerade gesagt? Sofort werde ich puterrot. Will scheint selbst ein bisschen überrascht, das gerade gesagt zu haben, denn ich sehe, wie es kurz in ihm arbeitet. Aber am Ende entscheidet er sich einfach nur über meine Gesichtsfarbe zu lachen. Verunsichert blicke ich ihn an. Es kann doch nicht sein, dass er...? Oder doch? Ich komme nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, da er das Gespräch schon in eine andere Richtung lenkt. 

"Meine Mam wollte immer, dass ich Gitarre lerne. Als sie mich dann mit elf endlich dazu gebracht hat, in einen Kurs zu gehen, anstatt die ganze Zeit Medizinbücher zu lesen, habe ich nicht so viel mitgenommen, weil ich mich sofort in einen anderen Teilnehmer verguckt habe. Da war meine Aufmerksamkeit woanders", erzählt er mir belustigt. "Oh, na sie war bestimmt hübsch", antworte ich darauf, als würde ich irgendwas von hübschen Mädchen verstehen. "Das war er. Jacob. Dunkle Haare, dunkle Augen. Mein erster richtiger Crush - wenn man das in dem Alter so nennen kann. Die Lehrerin hat nie verstanden, warum ich so schusselig war und mich ständig verspielt habe." Er grinst belustigt über sein Vergangenheits-Ich. In mir überschlagen sich die Gedanken. Bevor ich sie richtig ordnen kann, kommen auch schon die ersten über meine Lippen: "Also du... das heißt, du... Wie... du warst verliebt in einen Jungen?" Will nickt bestätigend und scheint den Schock in meinen Augen falsch zu deuten. "Stört dich das? Ich meine, du kommst aus einer anderen Zeit, ich weiß. Ich meine, du denkst doch jetzt nicht anders von mir, oder?" "Nein, ich... ich... bei mir ist es auch so", bringe ich schließlich hervorgewürgt. "Achso. Cool", meint er und aus welchem Grund auch immer beginnt er, breit zu lächeln und ein kleiner Rotschimmer ist auf seinen Wangen erkennbar. 

Damit ist das Thema für ihn anscheinend abgehakt, denn er erzählt weiter. "Ich denke, ich bin der einzige Sohn von Apollo, der so wenig Talent für Musik hat. Aber hey, immerhin kann ich ganz gut heilen. Und ich bin immer warm. Sehr praktisch." Dabei zwinkert er. Ich blinzle und sehe dabei bestimmt nicht sonderlich intelligent aus. Aber ich bin immer noch baff von den letzten Sätzen, die er gesagt hat. Ganz zu schweigen, von dem, was ich gesagt habe. Mein Gehirn kann die Erkenntnis irgendwie noch nicht ganz verarbeiten. Das ist meinem Herzen aber völlig egal -  es hat gerade beschlossen, in meiner Brust Polka zu tanzen. Deshalb stammle ich nur ein "Mhmm" oder eine ähnlich tiefgründige und intelligente Antwort. Plötzlich fasst er mit seiner Hand nach meiner. "Siehst du?", fragt er dabei. Seine Hand ist tatsächlich warm. Als unsere Haut sich berührt fangen elektrische Impulse an, meinen Arm hinaufzuwandern. Irgendwie bezweifle ich aber, dass DAS auch daran liegt, dass er Apollos Sohn ist. Ich bemerke, wie mir das Blut in die Wangen steigt und meine Atmung schneller wird. Was macht er nur mit mir? Ich muss mich dringend ablenken, sonst wird mein Verhalten hier noch peinlicher. Mein Gehirn hat sich nur leider aus der Konversation verabschiedet, seit ich seine Hand auf meiner eiskalten Haut spüre. Meine Güte, Gehirn! Immer, wenn man dich braucht, bist du nicht da! Das Erste, was also über meine Lippen kommt ist: "Ichkanndiklavibeibring." "Wie bitte?", fragt Will freundlich nach. So viel zum Thema noch peinlicher. Innerlich schlage ich mir mit der Hand auf den Kopf. Apropos Hand... Wills seine ist so schön. Ich meine, seine langen, warmen Finger...  Verdammt, Nico! Konzentriere dich! "Ich kann dir Klavierspielen bestimmt beibringen", wiederhole ich nun deutlicher. "Also, wenn ich selbst wieder ein bisschen Übung habe, natürlich." "Das wäre mir eine Ehre", sagt Will und deutet eine leichte Verbeugung an. Das bringt mich zum Grinsen und löst ein bisschen die Spannung zwischen uns. 

Das restliche Lagerfeuer über verlässt Wills Hand meine nicht. Erst als wir später gemeinsam zu den Hütten zurückschlendern, lässt er sie los. Die Sterne kommen mir diese Nacht besonders hell vor. Er begleitet mich schweigend zu meiner Hütte, aber es ist keine unangenehme Stille zwischen uns. Wir haben uns am Lagerfeuer schließlich die ganze Zeit unterhalten. Es gibt nur gerade nichts hinzuzufügen. 

Vor meiner Hütte drehe ich mich nochmal zu ihm um. "Danke fürs Begleiten", sage ich. "Kein Problem. Schlaf gut, Nico", mit diesen Worten lehnt er sich lächelnd vor und drückt mir einen Kuss auf die Wange, bevor er sich umdreht und in die Nacht verschwindet. "Bis morgen, beim Frühstück", höre ich ihn noch rufen. Ich stehe da und starre ihm nach. Meine Hand wandert an mein Gesicht, wo bis vor wenigen Augenblicken noch seine Lippen gelegen haben. Der Typ macht mich fertig! 



Hallo ihr Lieben! Ja, ich lebe noch. Und ja, ich schreibe hier weiter. Es dauert nur gerade immer etwas länger, bis wieder was kommt, weil Leben und so - ihr wisst schon. Danke an alle, die das hier lesen und besonders an diejenigen, die mir in letzter Zeit Kommentare hinterlassen haben. Das hat mich sehr motiviert. :) Alles Liebe, Donut 188

Bleib.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt