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Drei Tage später gehe ich wieder einmal Richtung Krankenstation für meine Untersuchung. Ich jogge ein bisschen, denn ich bin zu spät und möchte nicht, dass Will verärgert ist. Seit meinem Zusammenbruch, wo er mir vorgelesen hat, haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich bin damals eingeschlafen und als ich aufgewacht bin, war Jason da und hat mir ausgerichtet, dass Will etwas zu erledigen hätte und erst in drei Tagen wieder zurück wäre. Ein Teil von mir ist erst sauer gewesen, dass Will mir nicht schon früher von diesen Plänen erzählt hatte, ein anderer eher verunsichert, ob es an meiner anstrengenden Art lag, dass er eine Pause brauchte. Immerhin haben wir beide einen sehr schönen Abend gehabt und am nächsten Tag habe ich vollkommen aus dem Nichts heulend vor ihm gestanden. Sehr unangenehm. Am liebsten würde ich im Boden versinken vor Scham, wenn ich daran denke. In letzter Zeit habe ich manchmal das Gefühl, meine Schatten im Inneren überhaupt nicht im Griff zu haben. Deshalb betrete ich die Krankenstation mit gemischten Gefühlen. 

Doch anders als sonst, sehe ich keinen Will auf mich zukommen. Verwundert werfe ich einen Blick in Behandlungszimmer 1. Da sehe ich den mittlerweile vertrauten Blondschopf auf einem der kleinen ledernen Rollhocker, von denen es auf der Krankenstation Tausende gibt. Doch er ist nicht allein. Neben ihm auf der Behandlungsliege lümmelt ein junger Satyr. Seine felligen Beine, die in einer Shorts stecken, hängen lässig über den Rand. Er hat dunkelblonde Haare, hellgrüne Augen und eine lange, schmale Nase, auf der eine runde Brille sitzt. Und vor allem hat er ein sehr ansteckendes Lachen, das er gerade erschallen lässt, als ich in den Raum linse. "Hey, das ist nicht lustig", protestiert Will und knufft den Satyr leicht in die Seite. Das bringt den Satyrn nur dazu, noch lauter zu lachen und ich sehe, dass Will irgendwann auch gutmütig lächeln muss. Die beiden wirken sehr vertraut miteinander. Ein mulmiges Gefühl macht sich in mir breit. Hat Will vergessen, dass er mich heute untersuchen wollte? Soll ich vielleicht einfach wieder gehen und ihm Zeit mit seinem ähm... Freund geben? War dieser Satyr der Grund, warum wir uns drei Tage nicht gesehen haben? Gerade, als ich beschließe, mich still und heimlich wieder zu verpieseln, blickt Will auf und entdeckt mich in der Tür.

"Ahhh, Neeks. Endlich. Du bist schon wieder zu spät", sagt er und schüttelt tadelnd den Kopf, bevor er strahlend auf mich zukommt und in seine Arme nimmt. Ich zucke kurz zusammen, doch dann beginnt es in meinem Magen zu flattern und ich drücke ihn kurz mit einem genuschelten "Hallo" an mich. "Wir warten schon ewig", fügt er hinzu, als er mich wieder loslässt. Ich muss mich kurz konzentrieren, meinen Atemrythmus wieder zu finden und meinen Herzschlag zu beruhigen. Wieso hat er nur so eine starke Wirkung auf mich? "Wir?", frage ich schließlich verwirrt, ohne auf seinen Tadel einzugehen. "ja. Nico, das ist Charles. Charles, das ist Nico", stellt Will mir den Satyr und mich dem Satyrn vor. Charles springt lächelnd auf und streckt mir seine Hand entgegen. Seine Fingernägel sind mit moosgrünem Nagellack bestrichen. Ich ergreife die Hand zögerlich und schüttle sie. "Hey, Nico. Ich habe schon viel von dir gehört. Freut mich, dich kennenzulernen." "Freut mich auch?", gebe ich zurück, kann aber nicht verhindern, dass es wie eine Frage klingt. Ich schaue Will unsicher an. "Ich dachte, ich bin für meine Untersuchung hier?", frage ich. "Ich kann später wiederkommen, wenn du jetzt keine Zeit hast." Vielleicht möchte er ja mit Charles alleine sein. "Neinnein. Charles ist auch für deine Untersuchung hier", sagt Will. Jetzt bin ich wirklich verwirrt. "Für meine Untersuchung?" "Genau. Setz dich doch mal", sagt Charles und deutet auf den Platz auf der Liege, den er gerade freigemacht hat. Stumm nehme ich den Platz dort ein. Das alles kommt mir komisch vor. "Also... ich war ja jetzt ein paar Tage weg. Der Grund war, dass ich Charles gesucht habe" erklärt Will. "Ich dachte, ihr könntet mal miteinander reden. Er hat viel Erfahrung mit traumatisierten Halbgöttern und ich denke, er könnte dir helfen." "So ist es", bestätigt Charles. "Will dachte, sollten mal quatschen. Oder auch öfter mal, wenn es dir hilft. Er hat mir erzählt, dass die letzten Jahre hart für dich waren." Charles lächelt freundlich, während er mich über den Rand seiner Brille beobachtet. Ich schaue Will an. Was hat er ihm genau über mich erzählt? Doch nicht etwa Dinge, die ich ihm im Vertrauen erzählt habe? Und warum überhaupt jemand anderen dazuholen? Möchte er mich nicht mehr behandeln? War ich ihm zu viel in letzter Zeit? Verunsicherung macht sich in mir breit und ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. Hilflos schaue ich zwischen Will und Charles hin und her. "Ich dachte nur, dass es besser wäre, wenn ich dich nicht mehr behandle, Neeks. Mit allem, was so passiert ist... und Charles ist bei sowas viel erfahrener und...", versucht Will zu erklären. Ich merke, wie mir eiskalt wird. Ich habe die Sache falsch interpretiert zwischen uns. Ich habe gedacht, er möchte mein Freund sein, aber anscheinend habe ich mich ihm deswegen zu sehr aufgedrängt. Habe ihn zu sehr einbezogen und mit meinem Seelenmüll belastet. Kein Wunder, dass er das nicht mehr will. Niemand will solche Dinge wissen. Ich hätte das nicht tun dürfen. Plötzlich kommt eine unglaubliche Erschöpfung über mich, gepaart mit der Erkenntnis, dass ich einfach alleine bin. Und immer sein werde. Ich meine, sogar meine eigene Schwester war genervt von mir. Wie kann ich da von Will erwarten, dass es anders sein würde? Okay, Nico. Tief durchatmen. Behalte dir jetzt bitte deinen letzten Rest Würde und lass wenigstens nicht durchblicken, was das gerade mit dir macht. Ich hole tief Luft. "Okay, ich verstehe. Kannst du dann bitte gehen, Will?", es fällt mir schwer, seinen Namen auszusprechen. "Ich möchte bitte bei der Untersuchung mit meinem neuen Arzt alleine sein." Wills Gesicht zeigt einen überraschten Ausdruck als ich das sage. "Ähm, klar... ich dachte nur... aber okay... ich bin dann mal draußen", stammelt er. Seine Stimme zittert. Den Blick, den er mir zuwirft, bevor er die Tür hinter sich schließt, kann ich nicht deuten. Er wirkt fast... verletzt. Doch warum? Er hat doch selbst gesagt, dass er mich nicht mehr behandeln will. Na gut, Will. Du wirst nicht mehr mit meinen Problemen belästigt werden. Keine Sorge.


Hallo ihr Lieben, hier bin ich wieder. Es dauert immer sehr lange zwischen den Kapiteln, ich weiß. Aber ich mache diese Geschichte möglichst bald fertig. Vielen lieben Dank für alle netten Kommentare und Abstimmungen, die ich bekomme. :) Alles Liebe!


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