Spaziergang durch den Regen

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Die Stadt liegt dunkel vor mir. Helle Lichter die sie erstrahlen lassen. Das Büro ist längst verwaist und ich bin nicht mehr in der Lage mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Die Werbekampagne geht mir nicht aus dem Kopf, meine Gedanken kreisen wild umher. Und wenn mich diese grünen Augen nicht so sehr verunsichern würden, würde ich vielleicht sogar ein Konzept einreichen. Ich würde zumindest versuchen eines zu entwickeln. Ich habe sogar richtig Lust dazu, etwas zu entwerfen. Diese Energie habe ich lange nicht in mir gespürt. Aber ich muss meine endgültige Entscheidung nicht heute treffen. Der Abgabetermin war in acht Wochen und da ich mich eh nicht mehr konzentrieren kann, kann ich auch Feierabend machen und mich in mein einsames Wochenende begeben. Begleitet von Wein und Musik werde ich warten bis der Montag anbricht und mein Leben weitergeht. 

Ich steige in den Fahrstuhl, verlasse ihn und gehe durch das leere und dunkle Foyer zum Ausgang, als ein Blitz den Himmel erstrahlen lässt. Ich erschrecke und bleibe angewurzelt unter dem Vordach des goldenen Turms stehen, bis die Straße wieder in seiner liebevollen Dunkelheit vor mir liegt. Als ich mich in Bewegung setzen will um zur Bahn zu laufen, setzt ein Wolkenbruch ein, der mir keine andere Wahl lässt, als einfach unter dem Vorsprung stehen zu bleiben. Mein Regenschirm liegt wohlbehalten zu Hause und ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir bei uns im Büro einen Regenschirm deponiert haben. Ich verzweifle langsam an diesem Tag, der so gut und verheißungsvoll für mich begonnen hatte. Meine Energie ist verschwunden und ich sehne mich nach meiner Couch und einem Glas Wein. Ich will fliehen, kein Bestandteil dieser Welt sein und mich in der Ruhe meiner Einsamkeit suhlen.

„Hallo."

Ich drehe mich um. Grüne Augen unter einem riesigen Regenschirm.

„Hallo", erwidere ich.

Bettina schaut in den Regen.

„Wo müssen Sie hin?"

„Anhalter Bahnhof."

Sie streckt mir lächelnd ihren Arm entgegen.

„Komm. Ich muss auch in diese Richtung. Ich gebe Ihnen gerne Begleitschutz."

Wie sympathisch sie doch ist. Zögernd lächelnd trete ich auf sie zu und hake mich bei ihr unter. Blumiger Duft umgibt mich, während tausend kleine Blitze durch meinen Körper jagen als ich sie berühre. Schweigend wagen wir gemeinsam den Schritt auf den nassen Asphalt unter uns. Menschen rennen durch den strömenden Regen an uns vorbei. Wir beeilen uns nicht. Anna, Bettina und der Regenschirm – unsere kleine Welt. So fühlt es sich für mich an. Wir setzen den Weg gemeinsam fort.

„Ich habe Sie heute gesehen."

Ich lächle.

„Ja. Ich habe ja auch ganz vorne gesessen."

Bettina schüttelt ihren Kopf. Strähnen ihres braunen Haares fallen ihr ins Gesicht. Ich unterdrücke meinen Drang sie ihr aus dem Gesicht zu streichen.

„Ich meine nicht bei der Veranstaltung. Ich habe Sie heute Morgen tanzend am Fahrstuhl gesehen."

Ich muss lachen.

„Und ich dachte, ich wäre allein!"

„Nein", gluckst Bettina, „ich stand mit Frau Lamer auf der Galerie und als Sie das Foyer betraten, ging die Sonne für mich auf."

Ich senke meinen Kopf, damit Bettina die Röte, die meine Wangen zum Glühen bringt, nicht sehen kann. Interpretiere nicht so viel in diese Worte hinein, ermahne ich mich. Ich möchte mich nicht für diese Frau begeistern und schon gar nicht möchte ich, dass sie sich für mich begeistert. Ich möchte nicht geliebt werden. Doch, ich will geliebt werden. Aber Liebe ist kompliziert. Zu kompliziert für mich. Warum geht mir eigentlich das Wort Liebe durch den Kopf, als ich neben dieser wunderschönen, aber um viele Jahre ältere Frau laufe? Warum fühle ich mich so geborgen? So angekommen?

Die AffäreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt