Die Wochen danach

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Die Tage ziehen ereignislos an mir vorbei. Ich schleppe mich jeden Tag in den goldenen Turm, lasse die Besprechungen über mich ergehen und gehe den Fragen meiner Kolleginnen aus dem Weg. Der Schmerz hatte seine harten Fesseln um mich gelegt. Ich war bewegungslos. Wenn ich nach Hause komme, begrüßen mich die zwei Leinwände die in Bettinas Haus entstanden sind und nun die leeren Flächen in meinem Flur füllen. Ich liebe diese Bilder! Trotz des Schmerzes den sie in mir auslösen, strahlen sie eine bunte Schönheit aus und ich kann mich nicht an ihnen satt sehen. Am Abend sitze ich dann da und starre auf mein Handy. Ich scrolle durch Bettinas und meinen Chatverlauf, betrachte unsere zwei Bilder aus Kopenhagen und bekomme fast einen Herzinfarkt, wenn ich sehe, dass Bettina online ist. Sie schreibt mir nicht. Wie oft habe ich schon begonnen ihr eine Nachricht zu schreiben? Wie oft habe ich sie dann nicht abgeschickt? Hunderte Male. Ich habe das Gefühl in meinem Schmerz zu ertrinken. Es gibt niemanden mit dem ich darüber reden könnte. Es gab nur einen Menschen dem ich alles sagen wollte und dieser Mensch war gerade online und führte ihr Leben ohne mich weiter. Als hätte ich nie existiert, als würde unsere Zeit nichts bedeuten. Ich schalte mein Handy aus und lasse mich von der Dunkelheit umarmen. Ich weiß nicht wie es weitergehen soll, wie ich wieder fühlen kann, wie ich wieder malen soll ohne Bettina vor meinem inneren Auge zu sehen. Bettina. Ich seufze und schließe meine Augen.

Ich erwache am nächsten Tag. Der Schmerz puckert in meinem Herzen. So kann es nicht weitergehen! Ich schreibe Ina, dass ich heute später komme und packe meine Sachen. Ich weiß nicht woher ich die Kraft nehme, aber eine Stunde später stehe ich im Schwimmbad am Beckenrand und das blaue Nass glitzert verführerisch vor meinen Augen. Ich stecke mir meine Unterwasserkopfhörer in die Ohren und springe in die Kälte. Langsam gleite ich durch das große Becken und dann schließe ich meine Augen, höre auf die Musik, spüre meine Bewegungen und schwimme dem Schmerz davon. Ich schwimme und schwimme, höre auf zu denken und bin einfach nur. Gestärkt verlasse ich das Becken und genieße das warme Wasser der Dusche. Und dann ist sie wieder da. Bettina. Wie oft haben wir gemeinsam geduscht! Ihre Hände auf meinem Körper, ich kann sie förmlich spüren. Tränen auf meinen Wangen. Ich lasse sie einfach laufen. Ich leugne meinen Schmerz nicht, nicht vor mir. Ich verlasse die Schwimmhalle und fahre ins Büro. Die Arbeit lenkt mich zum Glück ab. Der Schmerz ist nicht verschwunden, aber heute war ein besserer Tag als gestern. Ich gewöhne mich wieder an ein Leben ohne Bettina.

Mein Telefon klingelt. Ute. Ich stöhne innerlich auf. Das kann nur Arbeit bedeuten.

„Hallo. Was kann ich für Dich tun?"

„Hallo." Sie lachte. „Nichts. Ich wollte nur mal fragen wie weit du bist."

„Womit?"

Ich kann Utes runzelnde Augenbrauen vor mir sehen.

„Mit dem Werbekonzept?!"

Ich zucke zusammen. Oh Gott! Das Werbekonzept!

„Ich ja, ich äh bin noch nicht dazu gekommen."

„Na dann leg mal los, Abgabetermin ist in zwei Wochen. Du weißt, ich erwarte Großes von Dir!"

Sie legte auf. Aus der Nummer komme ich nicht raus. Ich hatte gehofft, Ute hatte in ihrem Stress ihre Anforderung an mich vielleicht vergessen, aber natürlich hat sie es nicht. Sie würde es mir nicht verzeihen, wenn ich mich ihrer Anweisung widersetze und kein Konzept einreiche. Ich sehe mich um. Ich bin bereits alleine im Büro, Berlin liegt dunkel unter mir und ich öffne den Internetexplorer in meinem PC. Ich google.

Meine geliebten grünen Augen sehen mich an. Ich scrolle mich durch die Jahre und kann mir bei manchen Bildern ein Schmunzeln nicht verkneifen, weil Bettina so unglücklich getroffen wurde und lustige Grimassen schnitt. Aber auf den meisten Bildern war sie perfekt zurechtgemacht und blickte professionell in die Kamera. Ich habe mich immer dann am meisten zu Bettina hingezogen gefühlt, wenn sie nicht perfekt war. Morgens verschlafen neben mir im Bett, mit wirr zusammengebundenen Haaren und nur einem T-Shirt bekleidet in der Küche beim Kaffee kochen. Immer dann, wenn sie sich mir hingab und sich fallen ließ, ganz in ihrer Lust gefangen war. Ich berühre ihr Gesicht auf meinem Bildschirm. Die Traurigkeit schlägt wieder zu. Ich atme die Tränen weg und erinnere mich an meine Idee für ein Werbekonzept. Ich öffne PowerPoint und fange an meine Idee in Worte zu kleiden. Ich kopiere Bilder von Bettina und bearbeite sie, fühle mich ihr ganz nah und merke dabei nicht, wie die Sonne aufgeht. Ich setze Kaffee auf und halte den zweifelnden Blicken meiner Kollegen stand, so früh schon im Büro zu sein. Ich mache früh Feierabend und schleppe mich müde bis auf die Knochen nach Hause. Doch ich fühle mich das erste Mal seit Wochen wieder ein weniger kräftiger. Ich nehme die Sonne war, das Licht und ich denke an meine Präsentation, die zu Hause unfertig auf meinem Laptop auf mich wartet, nachdem ich sie mir heute früh schnell zugemailt hatte. Ich habe wieder ein Ziel, wenigstens für die nächsten Abende. Ich gab mich ganz meiner Präsentation hin. Hier durfte ich Bettina nah sein, sie sehen und träumen. Ich musste nicht verdrängen, meine Liebe verstecken. Ich achtete auf jedes Detail, arbeite bis zur Perfektion, steckte all meine Zuneigung für Bettina in das Werbekonzept.

Bettina blickt gedankenverloren in ihren Garten. Die Tasse Tee in ihren Händen spendet ihr Wärme. Sie betrachtet die bunt bemalte Keramiktasse und erinnert sich, dass Anna aus dieser getrunken hatte und sie dabei verliebt angesehen hatte. Sie war nicht in der Lage den Schmerz abzuwehren und ließ zu, dass salzige Tränen ihre Wangen hinabliefen. Das metallene Geräusch eines Schlüssels im Schloss ihrer Haustür ließ sie aufschrecken. Sie wischte ihre Tränen fort, verbannte die Gedanken an Anna in die hinterste Ecke ihres Hirns und drehte sich lächelnd zu Tom um, der unschlüssig im Wohnzimmer stand. Er trat auf sie zu und seufzte. Traurig sah er sie an.

„Wann wirst Du mir endlich erzählen, was Dich beschäftigt?"

Bettina schüttelte ihren Kopf.

„Es ist nichts."

Er ließ seinen Schlüssel auf den harten Holzboden fallen. Das laute Geräusch ließ Bettina aufschrecken.

„Hör auf! Hör auf damit Bettina! Ich merke doch, dass dich etwas beschäftigt seit ich zurück bin! Rede mit mir!"

Er schrie und gleichzeitig flehte er sie einfach um Ehrlichkeit an. Sie sah seine Verzweiflung in den Augen, seine Angst. Ihr Herz zog sich schmerzvoll zusammen und sie schluckte schwer. Sie wollte ihn nicht verletzen und doch konnte sie nicht leugnen, dass sie sich verändert hatte, dass sie sich nach einem anderen Leben sehnte. Sie nahm all ihren Mut zusammen und griff nach seiner Hand. Sie platzierte ihn auf dem Sofa und goss ihnen beiden ein Glas Wein ein. Sie begann zu erzählen und versuchte so ehrlich wie möglich zu sein. Nur Annas Namen, den erwähnte sie nicht.

„Wirst du mich verlassen?"

Tränen die seine Wangen hinabliefen. Sie schüttelte ihren Kopf.

„Es wird vorbeigehen."

„Wirklich?"

„Tom, ich habe dir vor zwanzig Jahren ein Versprechen gegeben und ich werde es halten! Du bist mein Mann, der Mensch den ich an meiner Seite haben will. Ich werde dich nicht verlassen."

„Bist Du glücklich?"

Es verschlug Bettina die Sprache. Sie hatten seit Jahren kein so ehrliches Gespräch geführt.

„Ja, aber wir müssen etwas ändern Tom. Ich möchte das wir umziehen und wieder mehr Zeit miteinander verbringen."

Er nickte und gab stumm sein Einverständnis zu ihren geforderten Veränderungen. Zu etwas Anderem fehlte ihr der Mut, die Vorstellungskraft. Wie sollte ihr Leben ohne Tom aussehen? Wie wäre es wirklich, wenn sie ihr Leben mit Anna verbringen würde? Sie wusste es nicht. Mit Tom fühlte sie sich sicher. Und so zogen die Tage dahin und die Minuten, in denen sie die Bilder von Anna und sich betrachtete, wurden immer weniger. Ihre Erinnerungen wurden langsam blasser, doch der tiefe Schmerz und ihre Sehnsucht blieb.

Mein Telefon klingelt.

„Anna!"

Die vertraute Stimme hüllt mich ein.

„Ute. Was kann ich denn heute für dich tun?"

„Ich vermisse Dein Konzept."

Mein Herz schlägt schnell und laut vor sich hin. Ich öffne die PowerPoint-Präsentation. Das Konzept erscheint fertig vor meinen Augen. Ich hatte das Datum für die Abgabe verdrängt und immer noch gehofft, ich würde vielleicht drum herumkommen. Bettina würde mein Konzept sehen. Wird sie sich bei mir melden? Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Ich schlucke.

„Ja, ich musste noch ein paar Kleinigkeiten ändern. Ich maile es Dir zu."

„Super, danke."

Mit zitternder Hand maile ich mein Konzept an Ute und verlasse das Büro.

Ich wanke durch die Dunkelheit nach Hause. Ich fühle mich leer, als habe ich Bettina endgültig verloren. Jetzt gibt es keinen Grund mehr sie zu googeln oder Kontakt zu ihr aufzunehmen. Das arbeiten an der Präsentation hat mir geholfen, meinen Schmerz zu vergessen, die Nähe zu Bettina aufrecht zu erhalten und jetzt war ich fertig, meine Präsentation fort und ich ganz allein. Ich betrete meine dunkle Wohnung und lasse mich auf mein Bett fallen. Ich nehme mein Handy in die Hand und bin erstaunt, als es mir eine Nachricht von Ute anzeigt.

„Gut gemacht Anna! Ich denke, Du hast gute Chancen. LG"

Ich schlucke.

Werde ich Bettina wirklich wiedersehen?

Die AffäreWo Geschichten leben. Entdecke jetzt