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Den letzten Tag vor Schulbeginn wollte ich mit Katie, meiner Shagyar-Araber-Stute, verbringen. Katie hatten wir damals, als wir nach Wiesbaden gezogen waren, in Linden zurücklassen müssen. Seither stand sie bei meinen Großeltern im Stall unter. Und ich hatte sie nur selten sehen können, da wir nach unserem Wegzug gerade mal zwei Urlaube hier verbracht hatten. Die Trennung von Katie war die einzig negative Sache für mich gewesen. Ansonsten hatte ich Wiesbaden so schnell in mein Herz geschlossen, dass Linden kaum noch eine Rolle in meinem Leben gespielt hatte.

Katie kam freudestrahlend auf mich zu getrabt, als ich mich dem Holzzaun näherte, der ihre Weide umgab, die direkt an unser Grundstück anschloss. Unser Haus war das letzte in unserem kleinen Ort. Danach folgte nur noch eine schmale unbefestigte Straße, die einen kleinen Berg hinaufführte, vorbei am Hof meines Großvaters und der Marienhöhe, einem alten Bauerngut.

Das Bauerngut stand leer, solange ich denken konnte, und man sah ihm seine mehr als zweihundert Jahre an. Als ich klein war, hatte ich oft auf dem Grundstück Verstecken gespielt. Opa hatte es mir verboten, weil er es für gefährlich hielt, aber irgendetwas dort hatte mich immer angezogen. Es hatte sich angefühlt wie ein Zauber, der mich umgab, sobald ich das Grundstück betreten hatte. Manchmal war mir, als hätte ich die Stimmen der Vergangenheit hören können. Wie sie mir leise zu wisperten. Aber es war nur der Wind, der mit den Blättern der alten Eiche spielte, die in der Mitte des Hofes stand.

Ich striegelte Katies rotbraunes Fell, putzte ihre Hufe aus und legte ihr dann ihr Zaumzeug und den Westernsattel an. Mein Opa zog mich gerne mit meinem Westernreitstil auf. Das sei kein Reiten. Es wäre völlig formlos, sagte er immer. Er würde mich viel lieber im vornehmen englischen Stil reiten sehen. Aber in meinen Augen sah dieses Auf und Ab des Reiters im Sattel einfach albern aus. Der Westernstil ließ einen nicht halb so lächerlich aussehen. Und da Katie im Westernstil dressiert war, wäre es sowieso müßig, sich darüber zu streiten. Katie schnaufte, warf ihren Kopf hoch und wieder runter, als hätte sie meine Gedanken gelesen und würde mir zustimmen.

Ich schwang mich in den Sattel und ritt auf die unbefestigte Straße hinaus. Katie wollte sofort in einen schnellen Galopp verfallen. Ungeduldig zog sie an ihrem Zaumzeug und warf ihren Kopf hoch und runter, doch ich bremste ihren Tatendrang erst einmal. Sie sollte sich langsam daran gewöhnen, mich wieder auf ihrem Rücken zu tragen. Vielleicht mussten wir beide uns auch erst wieder daran gewöhnen, miteinander zurechtzukommen.

In Schrittgeschwindigkeit bewegten wir uns den kleinen Hügel hinauf. Vorbei an den Feldern meiner Großeltern, auf denen das frisch gemähte Gras in der Vormittagssonne trocknete und einen herrlich würzigen Duft verströmte. Vorbei am Hof meines Opas und der kleinen Gruppe Kühe, die auf einer Weide vor sich hin döste. Und vorbei an der Marienhöhe, die sich auf der linken Seite der Straße auf dem höchsten Punkt dieser kleinen Anhöhe erstreckte. Stolz wie eine Königin blickte sie hinunter auf das Tal – eine alternde Königin, die trotz ihrer Falten nichts von ihrer Schönheit verloren hatte.

Vor dem breiten gemauerten Torbogen des Gutes stand zum ersten Mal seit ich mich erinnern konnte ein Auto - ein in der Sonne blitzendes schwarzes Cabrio. Paletten mit Baumaterialien stapelten sich unter den großen Kastanienbäumen, die den Blick auf die winzige Kapelle dahinter versperrten, vor der die verwitterte, von wildem Wein überwucherte Statue eines Engels stand, der in seinen Händen ein Buch hielt. Vielleicht war es dieser Engel meiner Kindheit, der meine Liebe zu diesen Geschöpfen geweckt hatte.

Ich schielte hinüber auf die Stapel, drosselte Katies Schrittgeschwindigkeit noch ein wenig und sah neugierig zum Gut hinüber. Ich fragte mich, wer die Marienhöhe gekauft haben könnte? Ein winziger eifersüchtiger Stich traf mich in der Brust. Früher habe ich mir gerne vorgestellt, dass die Marienhöhe eines Tages mir gehören würde.

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