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Adrian versteckte sich auf dem Heuboden, direkt über den Pferdeboxen. Nur der Vollmond warf sein sanftes Licht durch das weit geöffnete Tor des Stalls. Das würzig duftende Heu stach ihm durch seine schmutzige Kleidung hindurch. Er ignorierte es. Das Abendessen im Herrenhaus war längst beendet. Gleich müsste es so weit sein. Gleich würde sie durch das breite Tor des Pferdestalls treten.

Er wusste, es war falsch. Es war nicht nur falsch, es war verboten. Er hätte sich nie in sie verlieben dürfen. Einer seiner Art sollte gar nicht fähig sein, so zu empfinden. Es wäre richtig gewesen, zu gehen. Einen anderen seinen Auftrag beenden zu lassen. Doch er konnte nicht. Er war nicht imstande, sie zu verlassen. Wenn er behaupten würde, es wäre so, weil er nicht ertragen konnte, dass sie seinetwegen leiden musste, dann würde er lügen. Seine wahren Beweggründe waren viel egoistischer. Er konnte sie nicht verlassen, weil er die Qualen nicht würde ertragen können. Wie hätte er wieder zurückkehren können, in eine Welt ohne Gefühle? In eine Welt ohne sie?

Und es war egoistisch, sie nicht zu verlassen. Wenn sie dahinterkommen würden, was er für sie empfand, dann wären die Folgen grauenvoll.

Adrian zog sich tiefer in die Dunkelheit zurück. Das Stroh unter ihm raschelte. Eines der Pferde schnaubte fast verächtlich. Vielleicht Katharina, Annas geliebte Füchsin mit dem rotbraunen Fell.

»Oh Anna«, flüsterte Adrian gequält. Wenn er doch nur stark genug wäre, sein Versagen einzugestehen. Aber dann würden sie einen anderen schicken. Und Annas Schicksal in die Hände eines anderen seiner Brüder zu legen, war undenkbar für ihn. Noch vor Kurzem hatte er anders gedacht. Er hatte sich gesträubt, diesen Auftrag anzunehmen. Schon seit Jahrhunderten beschützten die Seinen die Frauen dieser Familie. Und schon seit Jahrhunderten gab es keinen Grund mehr, das zu tun. Keine Anzeichen, dass sie in Gefahr schwebten. Adrian hatte Irial seinen Unmut deutlich klargemacht. »Ich bin ein Krieger und kein Kindermädchen. Ich gehöre auf das Schlachtfeld, nicht auf einen Hof.«

Und bisher hatte Adrian recht behalten. Anna schien nicht in Gefahr zu sein. Und trotzdem würde ihn jetzt nichts mehr davon abbringen, diesen Auftrag zu erledigen. Nichts würde ihn dazu bringen, von Annas Seite zu weichen.

Anna betrat den Stall. Ein kurzer Blick über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass niemand sie gesehen hatte. Adrian hielt den Atem an. Duckte sich tief in die Schatten. Die Flamme der Öllampe, die sie in der ausgestreckten Hand hielt, tauchte den Stall in ein warmes Licht. Sie blickte sich suchend um, trat an Katharinas Box heran und hängte die Lampe an einen der Nägel in dem Pfosten vor Katharinas Box.

Adrian beugte sich vorsichtig über den Rand des Heubodens. Er beobachtete, wie Annas Hand sanft über die Nase der Stute strich. Sie flüsterte ihr etwas zu. Annas rostbraunes Haar fiel offen über ihren Rücken. Sie trug nichts weiter als ihren Morgenrock, trotz der kühler werdenden Nächte. Er würde mit ihr über ihren sorglosen Umgang mit ihrer Gesundheit reden müssen. Es wäre sonst leidlich, sie zu beschützen, wenn sie am Ende an einer Lungenentzündung starb.

Langsam ließ er sich vom Heuboden gleiten. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Ein Gefühl, an das er sich noch immer nicht gewöhnt hatte. Er landete direkt hinter Anna, ohne das geringste Geräusch zu machen. Er senkte sein Gesicht zu ihrem Haar und sog tief den blumigen Duft ein. Dann zog er sich einen Schritt zurück. »Sie sollten nicht mehr hier sein, um diese Zeit, Gnädigste.«

Anna fuhr zusammen und drehte sich in einer hastigen Bewegung zu ihm um. Ihr Haar löste sich kurz von ihrem Rücken, schwebte durch die Luft und sank sanft wieder nach unten. Große grüne Augen starrten ihn erschrocken an und leuchteten auf, als sie ihn erkannte. »Adrian, endlich. Wo warst du nur?«

»Ganz in deiner Nähe«, sagte er grinsend und deutete mit den Augen nach oben.

»Oh, du Schuft«, sagte sie lachend und boxte ihm mit einer zarten Hand auf den Oberarm. Sie schmiegte sich in seine Umarmung. Wie jedes Mal, wenn sie bei ihm war, wurde das Glück von der Angst vor Entdeckung getrübt. Wenn jemand sie hier finden würde, wäre sie eine entehrte Frau. Dabei hatte er sie noch nicht einmal geküsst, in all den Wochen, die sie sich schon heimlich trafen. Und sie wollte es, genauso sehr wie er es sich wünschte. Aber er blieb standhaft. Diese letzte Grenze würde er nicht auch noch übertreten.

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