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Samuel spielte mit Anna Federball. Sie kicherte fröhlich, wenn sie es schaffte, den Ball zu treffen und lachte noch lauter, wenn Samuel daneben schlug. Was Anna nicht wusste, Samuel schlug mit Absicht daneben, nur um dieses losgelöste Lachen zu hören.

In den letzten Tagen waren sie gute Freunde geworden. Sie verbrachten mehr und mehr Zeit miteinander und Samuel war wirklich froh, dass zumindest dieser Teil seines Planes aufzugehen schien: Anna von Adrian fernzuhalten. Es klappte nicht vollkommen, gestern Abend hatte er die beiden im Stall gesehen, am Nachmittag gemeinsam bei einem Picknick mit der Amme auf der Lichtung im Wald, aber sie verbrachten lange nicht mehr so viel Zeit miteinander. Was gut war, denn Annas Vater hatte Verdacht geschöpft. Und wenn Adrian auffliegen würde, bestünde für ihn die Gefahr vielleicht auch.

Der andere Teil seines Planes war, Kontakt zu Irial aufzunehmen, damit er eine Lösung für dieses Problem fand. Leider würde dieser Teil sich deutlich schwieriger gestalten.

»Nun schlagen Sie schon, Samuel! Sie sind dran«, rief Anna ihm zu. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass er mit dem Federball in der Hand dagestanden hatte. Er holte Schwung mit dem Schläger, warf den Ball in die Luft. Der Schläger teilte die Luft mit einem Zischen, traf den Ball und schleuderte ihn zu Anna, die lachend loslief und den Federball verfehlte.

Adrian stand im Tor des Pferdestalls und gab Samuel mit einem Handzeichen zu verstehen, dass er mit ihm sprechen wollte. Samuel seufzte. Dieses Gespräch würde nicht einfach. Er konnte Adrians Eifersucht schon fast riechen. Es gefiel seinem Bruder gar nicht, dass er hier war. Ohne Zweifel misstraute Adrian ihm. Das könnte ein Problem werden.

Samuel entschuldigte sich bei Anna, die etwas enttäuscht schien, und ging mit großen sicheren Schritten auf Adrian zu.

Ich lag in meinem Bett. Über mir schwebte die langstielige Rose aus Frau Dietrichs Kurs. Mal ließ ich sie aufrecht stehen, mal sorgte ich dafür, dass sie wie der Zeiger einer Uhr kreiste. So wie die Rose drehten sich auch meine Gedanken. Immer fortwährend, Runde um Runde.

Ich verstand nicht, warum Sam mir dieses Porträt gezeigt hatte. Woher hatte er gewusst, dass ich so reagieren würde? Und dass er es gewusst hatte, hatte sein selbstgefälliger Gesichtsausdruck verraten, den er Adrian zugeworfen hatte, nachdem mir scheinbar sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen war.

Aber hatte ich nicht genau so reagiert, wie jeder Mensch reagieren würde, der plötzlich entdeckte, dass er einen Doppelgänger hatte? Vielleicht sollte es mir egal sein, schließlich war Anna schon seit 100 Jahren tot. Aber es konnte mir nicht egal sein, denn diese Tote tauchte in meinen Träumen auf – zusammen mit zwei sehr lebendigen Personen aus meinem Leben. Wie konnte das alles möglich sein? Was hatten diese Träume zu bedeuten? Hatten sie überhaupt etwas zu bedeuten?

Ich presste meine Handflächen gegen die Schläfen und stöhnte. Es war mir unmöglich, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. In meinem Kopf dröhnte es. Mir würde nichts anderes übrigbleiben, als mit Sam zu sprechen. Er wusste etwas, das ich nicht wusste. Auch Adrian schien eingeweiht.

Mein Blick glitt über die Rose; ihren langen Stiel, die dunkelroten Blütenblätter, die am Vormittag noch glatt und seidig waren, jetzt aber anfingen, ihre Perfektion zu verlieren. Mithilfe meiner Gedanken zupfte ich jedes einzelne Blatt ab.

»Kann Sam mir sagen, was hier nicht stimmt? Ja, nein, ja ...«

Das letzte Blütenblatt segelte anmutig auf meine Decke runter. »Ja, er kann«, flüsterte ich. Aber wird er auch?

Die Nacht war fast vorbei und ich hatte noch kein Auge zugetan. Ich ließ die Blütenblätter um mich herum tanzen, bis mich die Müdigkeit endlich einholte.

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