KAPITEL 7 : Bjalla

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Einige Augenblicke vergingen, in denen ich über Vieles nachdachte, aber durch die Schmerzen wieder und wieder zurück in die Wirklichkeit geholt wurde. Dieser Raum zwischen Realität und der Welt in meinen Gedanken, im dem ich mich schon seit Beginn des Tages befand, wurde durchbrochen von Stimmen ganz in der Nähe. Ich hörte die Hufe zweier Pferde auf dem Untergrund des Waldes, dessen Reiter anscheinend auf der Suche nach Wild waren. „Warte, da. Siehst du es? Zwischen den Bäumen.", sprach der Erste. „Ich will kein Reh, ich will ein Wildschwein.", erwiderte der Zweite. Ich folgte dem Gespräch, weil mir sowieso keine andere Wahl blieb. Ich wusste ich würde an diesem Ort noch heute sterben, sollte mir niemand zur Hilfe kommen. Sobald die Dämmerung einsetzen würde, hätte ich nur noch Stunden bis ich erfror, sollte ich nicht schon davor meinen Wunden erliegen. Und schon jetzt hielten mich die alleinigen Strahlen der untergehenden Sonne und die noch übrig gebliebenen Fetzen meines Kleides nicht mehr warm. Mein Mund war trocken und ich litt Hunger. Diese beiden Reiter in meiner Umgebung waren also der letzte Schimmer Hoffnung, der mir noch blieb. Und so sehr ich bloß losschreien und sie auf mich aufmerksam machen wollte, so hatte ich dennoch keine Kraft mehr für nur einen einzigen Ton aus meiner Lunge. Ich konnte lediglich meine Lippen öffnen und darauf warten, dass mich jemand finden würde. Die zweite Stimme setzte abermals ein. „Lass uns weiter suchen. Wir haben gestern ein weiteres Dorf eingenommen und für diesen Anlass brauchen wir kein Reh, sondern etwas weitaus Größeres, das wir meinem Bruder vorsetzen können." Diese Worte aus der Ferne brachten mein Herz zum Stillstand. „Du willst ihn nur beeindrucken, dabei weißt du genauso gut wie ich, dass du niemals so stark und mächtig sein wirst wie er. Wahrscheinlich nicht einmal wie eines seiner Weiber." Einseitiges Gelächter drang durch die Dichte des Waldes. „Sei still. Komm mit. Dort hinten wird die Sicht klarer, vielleicht können wir uns einen Überblick verschaffen." Das Tier desselben verfiel in einen schnellen trab und kam unmittelbar vor mir zum Stehen. „Reynir, bleib hier. Es wird schon dunkel. Man wird dir sowieso keinen Dank aussprechen."-„Komm her. Ich hab was gefunden oder eher jemanden." Auch das zweite Pferd wurde angetrieben und stand bald nicht weit von mir entfernt. Ich blickte noch immer in den klaren Himmel, verkrümmt und erniedrigt. „Wir können ihr nicht helfen. Komm mit. Wir lassen sie liegen... vielleicht lockt ihr Gestank deine Wildschweine an." Vestar hatte das geschafft, was er erreichen wollte und machte mich zu jemanden, dessen Anblick keiner ertragen konnte. „Nein. Ich kenne sie." Ich war gelähmt und fürchtete mich vor dem, was kommen sollte, auch wenn diese Worte mir Hoffnung brachten. Kein anderer als die Leute aus meinem Dorf konnte mich kennen, ich war nie zuvor an einem anderen Ort gewesen. Ich hörte, wie der Erste der beiden Reiter von seinem Tier abstieg und auf mich zukam. Ohne zu zögern oder mich genauer zu betrachten, bückte sich dieser Mann zu mir auf den Boden und ich schaute zum zweiten Mal in stahlblaue Augen, die mein Herz augenblicklich zum Leuchten brachten. Scham ergriff mich, da ich nicht wollte, dass er mich so sah.. Verletzt und verkrüppelt. Doch er wirkte nicht verschreckt oder angeekelt durch meinen Anblick, sondern ich glaubte einen Funken Sorge in seinem Gesicht zu erkennen. „Was machst du? Mir ist es gleich, ob du sie kennst oder nicht. Lass sie sterben, sie wird es ohnehin nicht schaffen."-„Halt den Mund und nimm mein Pferd!", entgegnete Reynir seinem Mitreiter. Ich fühlte, wie sich ein Arm um meine Beine schlang und er mit Vorsicht meinen Oberkörper anhob. Und selbst bei diesen Berührungen zuckte ich zusammen und erwartete nur neuen Schmerz. Dieser Fremde, der mich wiedererkannt hatte, hob mich hoch und trug mich fort. Ich lag regungslos in seinen Armen und erkannte Odins Zeichen. Er wollte uns um jeden Preis zusammen bringen. Weshalb wusste ich nicht, aber ich hatte die Hoffnung diese Nacht zu überstehen durch die Hilfe und Gnade dieses Mannes, der mich wegführte von all den Leiden und Schmerzen der vergangenen Stunden und mich an einen unbekannten Ort brachte.

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