KAPITEL 15 : Bjalla

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Blut schoss durch meinen Körper und sämtliche Gedanken überschlugen sich. Was geschah mit Reynir? Wo brachte man mich hin? Und konnten wir überhaupt noch hoffen, Feldafall zu retten? Ich wurde durch die Leere der Gassen und Gänge der Stadt gezerrt, versuchte immer wieder mich loszureißen, doch es war vergebens. An einem kleinen Hinterhof hielten die Wikinger an meiner Seite an und zogen mich in einen Stall. Es war dunkel, doch als sich meine Augen an die fehlenden Sonnenstrahlen gewöhnt hatten, sah ich die Ziegen und Schafe um mich herum. Der Gestank vom Mist stach in meiner Nase und ich verzog das Gesicht, um den Geruch ertragen zu können. „Setz dich!" Befahl mir einer der Krieger, doch ich versuchte mich zu widersetzen und stellte mich aufrecht vor die beiden Männer. Ich hatte keine Waffe, doch genug Stolz, als dass mir solch unbedeutende Wikinger vorschreiben konnten, was ich zu tun und zu lassen hatte. Ganz gleich, ob ich in ihrer Gefangenschaft war, oder nicht. Ab dem Moment, in dem ich Reynir zum ersten Mal gesehen hatte, war etwas in mir gewachsen und ich wusste, dass Odin mir bei allen Taten beistehen würde. Der rothaarige Krieger trat zu mir heran. Er war kräftiger, als alle Wikinger, die ich bisher gesehen hatte. „Hörst du nicht richtig? Ich habe gesagt, du sollst dich setzen." Ich antwortete ihm auf meine Weise und spuckte ihm gezielt ins Gesicht. Seine Oberlippe zuckte vor Zorn und er gab seinem Begleiter ein Zeichen. Von hinten trat mir der Mann in die Kniekehle, sodass ich der Wucht seines Trittes nicht Stand halten konnte. Ich sank zu Boden, noch immer den Kopf nach oben gerichtet. Sie sagten kein Wort mehr, fesselten mich an Füßen und Händen, bis sie das Seil schließlich am Gatter des Stalls festbinden konnten. Der Rotschopf schenkte mir noch einen letzten verbitterten Blick und die beiden Männer verließen den Stall, platzierten sich aber davor, um mich zu bewachen. Ich lehnte mich an den Zaun hinter mir und schaute mich um. Ich musste einen Weg finden hier raus zu kommen und Reynir suchen. Zwischen den Tieren fiel mein Blick auf eine Erhöhung im Stroh. Braune Tücher bedeckten etwas und beim genauen Hinschauen, traf ich auf ein müdes Augenpaar.
„Bjalla." Es war eine Frau, die mich ansprach. Sie setzte sich ruckartig auf und blickte mich an. Ich brauchte eine Zeit, um zu erkennen, wer mich angesprochen hatte. Ihre braunen Augen verrieten sie. Es war Isgerd. Sie sah schrecklich aus, ihre Haare waren durcheinander und zerzaust und ihr Körper spiegelte den Hunger wieder, den sie litt. Sie war nie dick gewesen, aber jetzt bestand sie bloß noch aus Haut und Knochen. Ihre Kleidung war zerrissen und voll von Dreck. Trotz des grausamen Anblicks ihrer Gestalt, konnte ich die Tränen meiner Erleichterung nicht aufhalten. Ich dachte, ich hätte sie verloren, doch zu wissen, dass sie lebte, nahm mir einen Teil der Schuld, die noch immer auf mir lastete. „Isgerd." Sie zwang sich zu einem Lächeln, doch es verschwand so schnell, wie es kam. Wie sehr wollte ich aufstehen und sie in den Arm nehmen, doch ich konnte nicht. „Ich dachte du wärst tot und ich hätte dich verloren." Die Worte kamen undeutlich aus meinem Mund, doch ich musste wissen, was geschehen war. Wie konnte es nur sein, dass sie überlebt hatte, ich hatte mit eigenen Augen gesehen, wie einer nach dem anderen aus meinem Volk abgeschlachtet wurde, also warum war sie noch am Leben? „Mein Kind...du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich an dich gedacht habe. Jede Sekunde lang war ich in Gedanken bei dir. Bei dem Angriff auf unser Dorf bin ich geflüchtet, habe mich versteckt unter den Karren. Ich wartete stundenlang und allein. Fölkvir war in der Nacht vor der Opferung fortgegangen, hatte mich verlassen. Ich war auf mich gestellt, Bjalla. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, er wäre noch bei mir. Er hätte mich schützen können und deine Schwester. Sie haben sie zuerst gefangen..." Ihr Atem stockte, doch sie sprach weiter. „Ich hatte es nicht mitangesehen, doch als sie aufschrie und ich mich zu ihr umgedreht hatte, war das Leben schon aus ihr gewichen." Ihre Stimme zitterte und eine Träne rann ihr über die blauangelaufene Wange. Es machte mich traurig, sie so zu sehen. „Jedenfalls, als ich dachte sie wären fort und ich zu Dyfras Körper rannte, war noch immer einer der Wikinger im Dorf. Er war allein. Bjalla, ich sehe das Blau seiner Augen noch immer vor mir. Er hätte mich auch töten können, tat es aber nicht. Er nahm mich mit und brachte mich hierher. Eine ältere Frau hatte sich um mich gekümmert, erst seit ein paar Monden bin ich hier. Der König hatte mich entdeckt und ließ mich hungern, er wollte, dass ich in langen und schmerzhaften Wochen sterbe..." Isgerds Worte ängstigten mich, doch ich wusste, dass es Reynir war, der sie verschont hatte. Er ist ein Wikinger, doch eine schutzlose Frau konnte auch er nicht hinrichten. Der Gedanke an seine Gnade erfüllte mein Herz mit Wärme und Stolz und ich wollte nur noch mehr, dass der König für seine Taten büßen musste. Ich würde seinen Bruder um jeden Preis auf den Thron bringen.

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