KAPITEL 6 : Bjalla

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Die Sonne stand hoch am Himmel, breitete sich über mir aus. Um sie herum war der Himmel klar und die Schönheit, die sie verbreitete, ließ mich mein Schicksal umso mehr bereuen. Nachdem Vestar den drei Wikingern befohlen hatte, mich zu ergreifen und vor die Hütte zu zerren, folgten Schmerz und Demütigung von allen Seiten. Und nun lag ich hier auf der rauen Erde in meinem eigenen Blut und Schweiß. Mein Gewand war zerrissen und zerschnitten von den Schlägen, die mir zwei der Männer zufügten. Sie schlugen auf mich ein, wieder und wieder, bis ich nicht einmal mehr die Kraft besaß, auf eigenen Beinen stehen zu können. Jeder einzelne meiner Knochen schmerzte und ich fürchtete nie wieder eigenständig laufen zu können, geschweige denn diesen Tag zu überleben. Der dritte der Wikinger, ein dürrer, kleiner Mann, wurde nach den Hieben der beiden zuvor, von Vestar angewiesen mich bluten zu lassen. Er kniete sich also vor mich, strich mir durch das Haar und über die Wange und setzte an genau dieser Stelle nach seiner Berührung sein Messer an. Der Schnitt war langsam und kaum zu ertragen, das Blut floss zu meinem Kinn und erreichte meine Lippen. Bei dem Geschmack meines roten Saftes, erschien das Bild von Vestar und mir in meinem Geist. Wie er mir gegenüberstand und mir meinen Pfeil gereicht hatte. Es war so erschreckend mit anzusehen wie der Mann, der vor einigen Tagen noch einer meiner engsten Freunde gewesen war, vielleicht sogar der einzige wahre Freund, den ich in meinem Leben gehabt hatte, zu diesem Monster wurde. In meinem Inneren wusste ich, dass er in den letzten Jahren stärkere Gefühle für mich entwickelt hatte, aber ich wusste nicht, dass er so von mir besessen war, dass er zu solchen Taten fähig wäre. Er ließ mich erniedrigen und verletzen. Während ich zwischen Erde und Dreck diese Qualen litt, stand Vestar bloß mit dem Rücken zu mir gerichtet da und verschwendete nicht einen Blick an mich. Nach jeder weiteren Berührung des Mannes vor mir, folgte ein Schnitt, dort wo seine verdreckten Finger mein Fleisch zuerst berührten. Bei jedem Kontakt unserer Haut, zogen sich meine Muskeln zusammen und mein ganzer Leib verkrümmte und wartete nur auf den Schmerz, der kurz darauf einsetzen sollte. Ich war irgendwann an einem Punkt angelangt, dass ich vor Erschöpfung und Elend, nicht mehr zwischen dem Gefühl der Finger auf meiner Haut und dem Schnitt des Messers unterscheiden konnte. Es fühlte sich alles gleich an, selbst die Hand auf meinem Körper brachte mich dazu Schmerzen zu verspüren. Meine Wahrnehmung war so getrübt, dass ich Isgerd vor mir sah, wie sie denselben Leiden ausgesetzt war und ich hatte das Gefühl dafür büßen zu müssen, dass ich ihr nicht helfen konnte.

Übersät von Wunden und Flecken in meinem Gesicht, auf meinen Gliedern, meinem Rücken und meiner Brust, lag ich vor der Hütte in einem fremden Wald, der mich zu all diesen Leiden geführt hatte. Vestar und sein Gefolge ließen mich hier zurück, alleine, verletzt und beschämt von dem, was sie mir angetan hatten. Ich wartete darauf zu sterben und zu vergessen. Die Ungerechtigkeit dieser Welt aus meinen Erinnerungen zu verbannen. Und auch jetzt fragte ich mich, warum so viele an Odin glaubten. Wenn er existierte, hatte er mir meine Verwandten genommen, meine Familie, meine Freunde, meine Zukunft und hat dafür gesorgt, dass mir dieses Leid widerfährt. Ich brauchte ein Zeichen, etwas, dass mir Hoffnung gab, für das es sich lohnte zu leben und etwas für seine Erben zu hinterlassen. Denn wenn es dieses Zeichen nicht geben sollte, hatte mein Leben keinen Sinn und würde ohne Bedeutung für mich und meine Nachwelt zu Ende gehen. Aber vielleicht war ich diesem Zeichen bereits begegnet, ich hatte es nur nicht erkannt.

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