KAPITEL 19 : Bjalla

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Ab dem Augenblick, an dem Reynir und ich inmitten der großen Halle neben dem Körper des toten Königs gelegen hatten, wurde ganz Feldafall in einen Ort des Friedens verwandelt. Die Anspannung fiel von den Menschen ab und Freude erfüllte, wie lange nicht mehr, die Seelen der Bewohner. Mit Jeres Sterben waren alle Lasten von den Wikingern gefallen und sie warteten gespannt auf den Nachfolger, der ihre Stadt zum Glänzen bringen sollte. Einige Sklavinnen hatten uns in die Betten des früheren Königs gebracht. Reynir schlief voller Erschöpfung in Sekundenschnelle ein und ich gab den Frauen um mich herum den Befehl die Bauern und alle Wikinger darüber zu informieren, dass niemand die Stadt zu verlassen brauchte, falls die Kunde von Jeres Tod noch nicht zu allen Bewohnern Feldafalls gelangt war. Isgerd wurde aus dem Stall geholt und von Aldis versorgt und die Krieger konnten ihre Vorbereitungen fallen lassen, denn sie würden heute Nacht nicht in ein weiteres unschuldiges Dorf eindringen. Selbst Vestar ließ ich am Leben, doch er musste diese Stadt verlassen. Ich konnte ihm nicht verzeihen, dass er mich so schrecklich verletzt hatte, doch genauso wenig wollte ich ihn der Wut Reynirs überlassen. Denn ich wusste, dass er nicht Herr seiner Selbst bleiben würde, wenn er erfuhr, dass es Vestar war, vor dem er mich einst im Wald gerettet hatte. Und ich konnte und wollte den Gedanken nicht ertragen, dass auch meinem früheren Freund dasselbe Schicksal drohte, wie dem König, auch wenn er mich hatte leiden lassen. Ich wusste neue Zeiten würden beginnen und trotz seiner Taten konnten und durften wir unsere Herrschaft nicht mit einer Hinrichtung antreten. Wir waren es, die diese Stadt von ihren Leiden befreit hatten, um sie zum Blühen zu bringen. Wir waren der Neubeginn, die neue Hoffnung für eine gerettete Welt. Und als endlich Ruhe eintrat und auch ich mich zu wenigen Stunden Schlaf zwingen wollte, empfand ich Glück in jeder Pore und ich wusste, dass von nun an alles seinen Lauf nehmen würde. Ich beobachtete Reynir, wie er friedlich schlief, seine Gesichtszüge waren wieder entspannt und in dem Wissen meine Zuneigung dem richtigen Mann gegeben zu haben, senkte auch ich meine Lider und ließ meine Gedanken in eine fremde Welt eintauchen.
Tief in meinen Träumen versunken und von inneren Stimmen durch den Schlaf geführt, lag ich auf den großen Fellen des königlichen Bettes neben Reynir. Doch nur ein paar Stunden vergangen, bis mich hektische Bewegungen aufschrecken ließen. Reynir suchte im Schlaf die Nähe an meiner Seite, er glühte und atmete schwer. Ich griff nach ihm und rief seine Namen, bis er sich schließlich erschrocken aufsetzte. Die Augen aufgerissen und den Blick fokussiert in den leere Raum gerichtet. Er saugte Luft in seine Lungen und ich spürte die Panik in ihm. „Reynir, was hast du?" Sorge überkam mich. Er antwortete nicht und stand auf. Ich folgte ihm, suchte seine Nähe, doch er ließ mich nicht an sich. „Ich sehe ihn vor mir, Bjalla. Jedes Mal, wenn ich meine Augen schließe, steht er vor mir, schaut mich an und lässt mich nicht von sich. Ich kann seine Blicke nicht mehr ertragen, sie quälen mich." Er sprach von Jere. So viel Schreckliches war in den letzten Wochen geschehen und ich konnte verstehen, weshalb ihm das alles zu schaffen machte. Ich sprach zu ihm. „Du hast getan, was du tun musstest. Es ging nicht nur um dich, oder mich, sondern um die Zukunft einer ganzen Stadt."-„Aber wie soll ich Ruhe finden. Es war nie meine Pflicht mich um Menschen zu kümmern, oder über sie zu herrschen. Mein Bruder wurde darauf vorbereitet, sein Blut fließt auch durch meine Adern. Was ist, wenn ich zu genau demselben Tyrannen werde, wie er es war?" Mit Vorsicht trat ich näher an ihn heran, er ließ es zu, obwohl ich spürte, dass es ihm unangenehm war, dass ich ihn so sah. „Ich bin allein, Bjalla."-„Allein? Wovon redest du? Glaubst du, ich würde fortgehen, nach allem, was passiert ist? Ich habe dir vor einiger Zeit versprochen an deiner Seite zu bleiben, auf ewig und ich habe nicht vor dieses Versprechen so bald zu brechen." Ich stellte mich hinter Reynir, strich mit meinen Finger sanft über seinen Arm. Er drehte sich zu mir um, sank auf die Knie. Seine Beine konnten die Lasten nicht tragen, die sich auf ihm angesammelt hatten und ich gab mir alle Mühe ihn davon zu befreien. Ich griff in seine nassen Haare, hielt ihn fest und wollte ihm den Halt geben, den er nun brauchte. Er presste seine Wange gegen meinen Bauch. Das Zittern in seinen Händen spürte ich durch die Stoffe meines Gewandes hindurch, als er mich in langsamen, quälenden Bewegungen mit den Armen umschlang. Zum ersten Mal erkannte ich, dass er mich genauso sehr brauchte, wie ich ihn. Er zeigte sich mir in einem seiner verletzlichsten Momente, doch auch diese waren nötig, um das Vertrauen eines Menschen voll und ganz zu erlangen. Er hatte dieses Vertrauen in mich, auch wenn es ein langer Weg war, bis er sich mir in all seinen Facetten geöffnet hatte. Als ich über ihm stand und zu ihm herunter blickte, empfand ich Macht und Stärke. Ich half ihm seine wahre Bestimmung zu finden und würde an seiner Seite über dieses Volk herrschen.

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