Mit dir ist alles anders

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(Johns POV)

Sherlock hat die Augen fest zusammengekniffen, den Mund atemlos geöffnet. Er sieht verletzlich aus. Und wunderschön. Als wäre er noch nie so sehr er selbst gewesen. Ihn so zu sehen berührt mich. Weil er so echt wirkt, so pur, so nah. Als wären die Mauern, hinter denen er sich sonst immer versteckt, nicht länger da, als könnte er seine Gefühle einmal zulassen. Gerade ist er vollkommen nackt, aber ich glaube, es ist nicht die körperliche Nacktheit, die mich so an ihm fasziniert, sondern die seelische. Die, die mir ein einziges Mal Zugang in seine Gefühlswelt gewährt, die mir unverschönt zeigt, wer er ist.
Sherlocks Charakter ist nicht schön. Sherlock ist niemand, mit dem man gerne seine Zeit verbringen würde. Sherlock ist arrogant und egoistisch und kompliziert. Aber Sherlock ist auch mein bester Freund. Weil er auch anders sein kann als das, was er anderen Menschen von sich zeigt, was er auch mir bis zu dem Moment gezeigt hat, in dem meine Lippen zum ersten Mal seine berührt haben. Das alles ist nur wenige Tage her, anfühlen tut es sich aber wie ein ganzes Leben. Und erschreckenderweise habe ich gar nichts mehr gegen ein Leben mit Sherlock einzuwenden - die Art von Leben, bei dem man nebeneinander aufwacht und miteinander einschläft, die Art mit Bis-nachher-Küssen und Kuscheln und zusammen baden gehen. Ich will etwas dagegen einzuwenden haben, weil ich es nicht ertrage, dass ich das nicht tue, und weil ich nicht will, dass ich mir und uns damit alles kaputt mache. Und weil ich mich davor fürchte, wie es wäre, Sherlock immer küssen zu dürfen.

Sherlock sieht mich an, es ist ein Blick, der mich durchschaut, tief und lustverhangen, und ich weiche ihm aus, weil ich nicht will, dass er weiß, was ich denke. Dass er weiß, dass es mir zu viel und zu gut und zu schön ist und dass ich es mehr genieße als ich sollte, dass ich beinahe Angst vor dem Moment habe, in dem es aufhört. Sherlock zieht mich zu sich, küsst mich, und ich verliere mich in der Art, wie er es tut. Es ist langsam und intensiv und mit Gefühlen, die nicht zu uns gehören sollten, aber da sind, verborgen und doch irgendwie offensichtlich. Es ist mehr als nur sein Mund, der mich küsst. Es ist sein ganzes Herz, und meines küsst ihn zurück.

Ich spüre das warme Seufzen an meinen Lippen und wie Sherlocks Hände nach mir greifen, uns näher zusammenbringen und sich dann in meinem kurzen Haar vergraben, spüre seinen feuchten Atem und seine schüchterne Zungenspitze. Ich streiche mit den Fingerspitzen hauchzart über seine Leiste und höre Sherlock leise seufzen. Es ist ein Laut, der sich in meine Gedanken brennt, sich darin verfängt wie in einem Spinnennetz, mich nicht mehr loslässt. Ich löse mich von Sherlock, um seinen Hals zu küssen, sein Schlüsselbein, seine Brust. Sherlock atmet unruhig, zittert, seine Hände greifen nach mir, aber ich pinne sie bestimmt in die Kissen über seinem Kopf.

Ich knie über ihm, trage nicht mehr als meine Hose, die unangenehm im Schritt spannt, aber es ist, als wäre ich schon längst nackt. Weil Sherlocks Augen mich ausziehen und hinter meine Fassade schauen, das erreichen, was ich sonst so sorgfältig vor allen verberge. Ich denke an Cédric und an das, was er zu mir gesagt hat, als wir uns voneinander verabschiedet haben. Ich kenne dich glücklich, ich kenne dich traurig, ich kenne dich nackt - aber ich kenne nicht die ungeschminkte Wahrheit. Ich weiß noch immer nicht, wer du bist. Cédric hatte recht. Er kannte mich nicht, er wird mich nie kennen. Nicht so, wie Sherlock es tut. Mir steigen die Tränen in die Augen, heiß und brennend, und ich blinzle sie weg. Ich schaue Sherlock an und er mich und mein Herz schlägt viel zu schnell dafür, dass ich nur auf ihm knie und mich ansonsten nicht bewege. Sherlocks Blick ist alles auf einmal und viel zu viel für mich. Es fühlt sich an, als würde er mich damit berühren, mich umarmen, mich durchschauen, als würde ihm gefallen, was er sieht. Als würde er mich sehen.
Ich halte an seinem Blick fest, als ich meine Fingerspitzen über seine Haut wandern lasse, und die Muskeln darunter spannen sich an, als wären meine Hände elektrisch geladen. Ich spüre ihn beben und zucken und wie er hektisch ein und wieder ausatmet, flach, abgehackt, als wäre er gerannt.

„John ..." Seine Stimme verliert sich in dem Seufzen, was seine Lippen verlässt, als ich über seine Schenkel streiche. Seine Lider flattern, er öffnet den Mund, atmet zittrig aus und scharf wieder ein, als meine Hände den Bund seiner Boxershorts erreichen. Ich ziehe ihn aus, langsam, vorsichtig, habe das Gefühl, Porzellan unter mir liegen zu haben. Sherlock sieht wunderschön aus. Das Haar feucht, einzelne Strähnen fallen ihm tiefschwarz und lockig in die Stirn, seine milchweiße Haut schimmert samtig und ein bisschen verschwitzt, seine Lippen sind rot und geschwollen, sein Blick zur Decke gerichtet. Ich küsse die weiche Haut an seinem Bauch, spüre seine Muskeln zucken und wie er ruckartig einatmet, nehme meine Zunge dazu, wandere tiefer, über seinen Bauchnabel und seinen definierten V-Muskel.
„John ..." Sherlock greift in meine Haare, zieht daran, sodass ich mein Tun unterbrechen und zu ihm hochsehen muss. Ich schaue direkt in tiefes, verlorenes Blau, in dem so viele Gefühle schwimmen, dass ich keines davon genau definieren kann. „John, was tun Sie da?"
„Meine Hand schonen", erwidere ich grinsend und ernte dafür einen ziemlich verwirrten Blick von Sherlock. Amüsiert ziehe ich beide Augenbrauen hoch.
„Sherlock, wollen Sie Aufklärung oder Spaß?"
„Ich wollte doch eigentlich nur Dating-Tipps ..."

Sherlocks gespielt unschuldiger Blick gibt mir den Rest. Meine Lippen umschließen seine Erektion, meine Zunge fährt vorsichtig über die unendlich zarte Haut, meine Hände drücken Sherlock an der Hüfte zurück in die Laken, als dieser sich erschrocken unter mir zu winden beginnt. Ich höre ihn stöhnen, unterdrückt, beinahe überfordert, spüre ihn zittern und zucken. Er krallt sich so fest in die Bettdecke, dass seine Fingerknöchel weiß hervortreten, kneift die Augen zu, schnappt lautstark nach Luft. Er atmet abgehackt und flach, stöhnt erschrocken auf, als ich meine Zunge über seine gesamte Länge gleiten lasse, sein Becken zuckt, seine Hände greifen haltsuchend in meine Haare, legen sich dann über seinen Mund, dämpfen das atemlose Keuchen, was gleichdarauf seine Lippen verlässt.
Ich muss lächeln, sehe zu ihm hoch, ohne mein Tun zu unterbrechen, und Sherlocks Augen weiten sich nun gänzlich überfordert, als sie auf meine treffen. Er sieht weg, dann wieder hin, sein Blick huscht unruhig über mich und die Laken. Meine Bewegungen werden schneller, ich nehme meine Hand dazu und ihn vollständig in mir auf. Auf Sherlocks Gesicht liegt ein schmerzverzerrter Ausdruck, der mir sagt, dass es für ihn schon lange zu viel ist, dass er die Orientierung verloren hat, irgendwo in diesem Meer aus Gefühlen schwimmt, in dem ich selbst so oft ertrunken bin.

Sherlock ist der, der immer die Kontrolle behält. Sherlock ist der mit der grenzenlosen Selbstbeherrschung. Sherlock ist der, für den Gefühle nie eine Rolle gespielt haben, der, der allein die körperliche Nähe zu jemanden schon für überflüssig hielt. Sherlock ist der, der denken, aber nicht lieben kann. Das dachte ich zumindest. Doch die Art, wie er mich ansieht, mit diesem hilflosen Ausdruck in dem leidenschaftlichen, stürmischen Blau und diesem Blick, der auf meiner Haut kribbelt und brennt und mich in den Wahnsinn treibt, lässt mich an all dem zweifeln, was ich bisher über Sherlock zu wissen geglaubt habe.
Sein Körper wird hart, verkrampft sich, sein Gesicht friert ein, er atmet ein letztes Mal seufzend aus, dann kommt er und ich folge ihm, weil ich es nicht aushalte, wie er meinen Namen dabei sagt. Und dann liegen wir plötzlich keuchend und bebend aufeinander, berauscht und erschöpft und verloren in der Nähe des anderen. Ich habe die Orientierung verloren, treibe schwerelos und glücklich durch die zufriedene Leere in meinem Kopf.
Ich vergrabe mein Gesicht in seinem Haar, küsse sein Ohr, seufze leise auf, als Sherlock seine Finger über meinen Rücken gleiten lässt. Und es ist das erste Mal, dass mir auch das Danach gefällt. Ich habe das Währenddessen gemocht, aber danach waren wir für mich immer fertig. Wo ich vorher die Nähe gesucht habe, brauchte ich sie plötzlich nicht mehr - auch nicht bei Cédric. Ich bin aufgestanden, habe mich angezogen und bin gegangen. Aber jetzt, nackt auf Sherlock und in seinen Armen liegend, wünsche ich mir plötzlich, für immer hier bleiben zu können. Weil mit Sherlock alles anders ist.

Und irgendwann werde ich es aussprechen. Alles, was ich fühle.


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Kleine Warnung: Die nächsten Kapitel beinhalten fast ausschließlich versteckte Zitronen. Und sehr viel Cédric. Vieeeel Cédric. Weil der Typ mir langsam irgendwie gefällt - und euch nicht :)


PROMISE ME || LemonleliWo Geschichten leben. Entdecke jetzt