Die Stände auf dem Markt wurden zusammengebaut worden, sodass nun eine riesige Fläche Platz war. Es hatten sich so viele Menschen in einen großen Kreis gestellt, dass man gar nicht erkennen konnte, wo sie herum standen. Em und ich drängelten uns ein wenig in die Menschenmassen, so dass wir von allen Seiten bedeckt wurden und nicht auffielen.
Leises Stimmengemurmel erklang von überall auf dem Platz. Es herrschte eine seltsame Spannung.
Plötzlich ertönte ein lautes Dröhnen, als würde jemand in ein gewaltiges Horn blasen. Dann noch einmal. Und noch einmal.
'BOOOM'
'BOOOM'
'BOOOM'
Em drückte meine Hand noch fester. Alle wirbelten zu dem Auslöser des Dröhnens herum. Meine Schwester und ich taten es ihnen gleich. Durch eine kleine Lücke zwischen den Leute konnte ich eine Schaar von großen, schwer bewaffneten und ausgerüsteten Rittern erkennen, die sich einen Weg durch die Menschenmassen in die Mitte des Platzes bahnten. Ich zog Em ein wenig nach vorne, dass wir sie besser sehen konnten. Die Ritter standen auf dem Runden Platz, umringt von den Bewohnern Vraengards. Sie alle hatten ein kleines, schadenfrohes Grinsen im Gesicht und trugen eine Fackel in der Hand, damit der Platz beleuchtet wurde. Erst als ich genauer hinschaute, bemerkte ich, dass vor den Rittern, die sich bereits in einer Reihe aufgestellt hatten, graue Gestalten auf dem Boden knieten. Ihre Hände und Füße waren mit einem Seil verknotet worden. Vor jedem Ritter kniete genau einer.
Ich traute meinen Augen nicht.
Das waren welche von uns! Mavericks!
Genau zehn Menschen hockten dort auf dem Boden und schluchzten ängstlich vor sich hin. Ihnen wurde eine graue Kaputze über den Kopf gezogen, sodass man ihre Gesichter nicht erkennen konnte. Unwillkürlich zog ich Em hinter mich. "Nicht hingucken."
Einer der Ritter trat nach vorne und hielt triumphierend seine Fackel in die Luft.
"GEFANGENEN VON VRAENGARD!", rief er.
"DIES SIND LEUTE, DIE WIR GERADE IN IHREN HÄUSERN GEFUNDEN HABEN! SIE HABEN SICH GEWEIGERT, UNSERER VERSAMMLUNG BEIZUTRETEN!" Abschätzig trat er einer der gefangenen Personen gegen die Schulter, sodass diese kurz Aufschrie. Ich spürte Em hinter mir zusammen zucken und zog sie noch enger an mich.
"UND DAFÜR", fuhr der Ritter lachend fort, "DAFÜR WERDEN SIE BEZAHLEN!"
Ein ängstliches Raunen ging durch die Menschenmenge. Wie auf Kommando zogen alle Ritter eine Peitsche hinter ihrem Rücken hervor.
"AUF!", schrie der Vorderste. Die Ritter holten aus und mit einem lauten Knall landeten die Peitschen auf dem Rücken der Gefangenen, die unter Schmerzen aufstöhnten. Einige kippten nach vorne um und krümmten sich unter schmerzen zusammen, andere versuchten, aufrecht knien zu bleiben. Tränen schossen mir bei diesem Anblick in die Augen.
Auf einmal verstand ich sie. Madelaine. Maggy. Brooke. Sie hatten Recht.
Mit den Wachen war nicht zu spaßen.
"AUF!", schrie der Vorderste erneut. Ich schaute gar nicht hin. Schaute auf den Boden. Auf den dunkel gefärbten Sand, der durch die Massen aufgewirbelt und meine Füße fast verschwinden ließ. Hörte die Schreie der Gefangenen, als auch der Menschen, die dem Geschehen zuschauten.
"AUF!"
KNALL
"AUF!"
KNALL
Nein. Nein, nicht noch einmal.
Diese Leute starben sonst. Vielleicht waren sogar Kinder dabei. Wahrscheinlich war eine Familie dabei, die sich gemeinsam mit ihren Kindern versteckt hatte!
Nein. Nicht noch einmal.
Instinktiv ließ ich Em's Hand los, und auch wenn sich mir dabei der Magen umdrehte, machte ich einen Schritt vorwärts. Dann noch einen.
"AUF!", brüllte der Ritter.
Ich machte den letzten Schritt nach vorne und stand nun fast in der Mitte des Platzes.
"Nein." Meine Stimme war lauter und klarer als ich gedacht hatte. Plötzlich herrschte völlige Stille auf dem Platz.
Meine inneren Sirenen schlugen Alarm. Mein Unterbewusstsein befiehl mir, schnell wieder zurück zu gehen.
Doch ich blieb stehen. Jetzt war es zu spät.
Der vorderste Ritter kam fassungslos auf mich zu. "Du wagst es, uns zu unterbrechen?" Sein Gesicht war rot angelaufen vor Zorn.
Aus der Menge hörte ich Em leise aufschreien. Ich durfte jetzt keinen Rückzieher machen. Also drehte ich mich so, dass mich jeder Maverick erkennen konnte.
"Hört auf, vor ihnen Angst zu haben!", schrie ich. "Ihr seid verdammt noch mal stärker als sie, okay?! Fangt doch mal an, euch zu vertrauen!
Ihr seid Rebellen! Ihr seid Mavericks!
Wollt ihr euch diesen Namen wirklich einfach so wegnehmen lassen? Wollt ihr wirklich zu Sklaven werden? Jeder von euch hat hart gekämpft, das weiß ich. Ihr arbeitet alle jeden Tag hart, nur um das alles abzugeben?! Ihr seid stark!" Ich lachte bitter auf. "Ja, ihr habt sogar Waffen.."
Weiter kam ich nicht. Ein gewaltiger Peitschenhieb traf mich von hinten. Der Schmerz durchzuckte meinen ganzen Körper. Ich spürte, wie mein T-shirt von hinten aufriss. Wie sich Blut über meinen Rücken ausbreitete. Wie sich die Peitsche tief in meine Haut grub und dort einen breiten Schnitt hinterließ.
Als sie mich ein zweites Mal traf, merkte ich, wie mein Sichtfeld dunkler wurde. Mir wurde der Boden unter den Füßen weggezogen. Alles schien wie in Zeitlupe abzulaufen. Ich sah mich selber wie ein Zuschauer einige Meter entfernt. Die Augen weit aufgerissen. Ich sah, wie ich zusammensackte. Auf meine eigene Blitlache fiel, vermischt mit dem Blut der anderen Gefangenen. Ich sah, wie sich meine Augen langsam schlossen, sah, wie ich irgendwann reglos auf dem Boden liegen blieb...
Das Letzte was ich sah, bevor mich das Bewusstsein entgültig verließ, war der Gesichtsausdruck der Zuschauenden. Es hatte sich etwas geändert. Auf ihren Gesichtern stand Mut, Zuversicht und Selbstbewusstsein geschrieben.
Sie waren Rebellen. Mavericks. Bereit, etwas an dieser grausamen Herrschaft zu ändern.
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The Mavericks - Zone 5
Romance"Am Ende wird alles gut. Doch es ist nicht gut, also ist es verdammt nochmal nicht das Ende!"