Am nächsten Morgen war Liam weg. Ohne die Wärme seiner Arme war mir merkwürdig kalt, obwohl es ein sehr heißer Tag war. Bilder vom letzten Abend tauchten vor meinem inneren Auge auf.
Ich sah uns zusammen auf dem Dach liegen, sah mich ihm das Versprechen geben, dass alles gut werden würde. Ich sah Tränen. Nichts als Tränen, Emotionen und... Zweifel. Zweifel an meinem Versprechen. Zweifel daran, dass alles gut werden würde. Aber wenn ich etwas versprach, dann hielt ich das auch ein. Koste es was es wolle.Ich stand auf und klopfte mir den Dreck von den Sachen. Dann ging ich mit kleinen Schritten die Treppe der Burg hinunter.
Vor der alten Ruine entdeckte ich ein kleines Schild an einem Baum. Ich trat näher heran. Zone 2, stand dort geschrieben. Wie Liam gesagt hatte, war die Burg die Grenze zwischen Zone 1 und Zone 2.
Ich legte meine Hand an eins meiner Messer und ging in gebückter Haltung in Zone 1, Richtung Ausgang. Ab und zu hörte ich Schritte um mich herum, wahrscheinlich andere Jäger.
Auf dem Rückweg konnte ich an niemand anderen denken als Liam. Wieso war er gegangen? Vielleicht muss er schon arbeiten...
Erstaunlicherweise schaffte ich es sogar, unentdeckt aus dem Wald zu kommen. Auf dem Marktplatz herrschte voller Geschäftstrubel. Hastig lief ich durch die Leute auf das Bungalowdorf zu. Keiner der mich kannte durfte mich mit Jagdausrüstung aus dem Wald kommen sehen.
Da konnte man schwer eine Ausrede finden.Em war schon auf Arbeit bei Madeleine. Inzwischen hatten wir genug Geld verdient, um unser Häuschen ein wenig einzurichten und mit ausreichend Lebenmitteln zu füllen. Ich ging in mein Zimmer, legte die Jagdausrüstung die Liam mir gegeben hatte unter mein Bett, dass Em sie nicht entdeckte, und zog mir normale Sachen an. Dann schaute ich in den Spiegel. Meine Augen waren gerötet und von tiefen, dunklen Ringen umgeben. Meine Haut war blasser als sonst und die sonst weichen, schwarzen Haare standen stohig von meinem Kopf ab -ich sah schrecklich aus.
Bevor ich zur Waffenschmiede ging, schaute ich gegenüber bei Em und Madeleine durch die Fenster. Sie hatten gerade einen neuen Kunden, das heißt einen frischen Maverick um den sie sich kümmern mussten, bei sich. Mad erzählte dem noch schockierten und fassungslosen Mann gerade lautstark etwas, während meine Schwester ab und zu vorbeihuschte und ihnen Tee oder Kekse brachte. Sie so glücklich zu sehen, ließ meine Mundwinkel nach oben zucken. Wenigstens hatte einer keine Sorgen...
Ich ging ein paar Schritte weiter zu Maggys Waffenladen. Vielleicht war Liam ja dort... Doch drinnen war es leer, abgesehen von der alten Verkäuferin natürlich. Maggys Gesicht erstrahlte, als sie mich erblickte. "Meine Prinzessin.", sagte sie freudig und kam hinter der Theke auf mich zu. "Meine tapfere, mutige Prinzessin." Sie strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und musterte mich lange. Dann zogen sich ihre Augenbrauen ein wenig hoch und Sorgenfalten bildeten sich auf ihrer Stirn. "Sag... Geht's dir nicht gut, meine Liebe?" Ich schaute hastig zu Boden, ohne auf Ihre Frage einzugehen. "Maggy, hast du Liam gesehen?" Die alte Frau nickte. "Hab ich. Komischerweise war er heute schon ganz früh bei mir. Er sah sehr müde aus. Hat nicht gut geschlafen, mein armer Junge..." Ich schluckte. Irgenwie kam mir das ganze merkwürdig vor.
In der Waffenschmiede war es heiß und stickig wie immer. Es roch nach Schweiß, Feuer und Metall. Ich ging zu meinem Gewöhnlichen Platz und machte mich daran, meinen üblichen Plan an Waffen, vom König vorgegeben, abzuarbeiten. Darauf standen zum Beispiel viele Schwerter und Messer, und auch einige Bögen. Außerdem musste ich, mit viel überwindung, drei Peitschen anfertigen. Am Ende des Tages, als Brooke, die Leiterin der Waffenschmiede, herum ging und unsere Arbeit kontrollierte, hatte ich ein Viertel der Liste abarbeitet.
Und die Liste war lang.
Sehr lang.
"Respekt!", rief Brooke so fröhlich wie noch nie und klopfte mir auf die Schulter. Ich musterte sie grinsend. "Hey, ist da jemand ausnahmsweise mal gut gelaunt?" Sie lachte noch mehr und ließ ihre strahlenden Zähne aufblitzen. "Darf ich nicht gut gelaunt sein?", antwortete Brooke. Mit diesem Lachen sah sie noch zehn mal hübscher aus als sie sowieso schon war. "Nicht, wenn du nicht sagst was der Auslöser deiner guten Laune ist!", entgegnete ich ein wenig angesteckt von ihrer Heiterkeit.
"Ach, gar nichts."
"Verdammt Brooke! Sag schon!"
Sie lachte auf. "Na gut. Ich muss hier noch schnell die anderen kontrollieren und du darfst schonmal gehen. Wir treffen uns in einer halben Stunde bei den Hängematten." Damit ließ sie ein kleines Säckchen mit meinem Tageslohn in meine Arme plumpsen und ging mit wehenden Haaren davon.Viele der Hängematten waren besetzt durch Verletzte, aber auch durch neue Mavericks, die sich langsam von ihrer Bewusstlosigkeit erholten und bald mit ihrem bösen Schicksal vertraut gemacht werden würden. Ich ging zu einer noch freien Hängematte und ließ mich darauf fallen. Schlapp biss ich in einen Apfel, den ich auf dem Weg bei Sam's Stand gekauft hatte und beobachtete eine junge Dame, die schreiend und schluchzend ihr Gesicht in den Saum der Hängematte drückte. Ihr Gesicht hatte rote Farbe angenommen und die Tränen flossen unaufhaltsam aus ihren Augen heraus. Mit beiden Händen umklammerte sie einen Gegenstand so fest, dass ihre Finger weiß anliefen. Bei genauerem Hingucken erkannte ich einen kleinen Ball. Wahrscheinlich hatte sie Familie zu Hause zurück gelassen.
Jemand tippte mich an und ich zuckte so sehr zusammen, dass mir mein Apfel aus der Hand kullerte.
Brooke lachte laut auf und ließ sich dann neben mir auf einer der Hängematten nieder."Mein Gott, Brooke. Was ist denn nur los mit dir?", kicherte ich. Meine Freundin schaute mich mit strahlenden Augen an. Sie holte tief Luft und begann dann zu erzählen.
"Also. Ich bin jetzt schon in diesem Dorf, seit ich zehn bin. Sam und ich wurden gleichzeitig hierher gebracht. Dadurch standen wir uns von Anfang an so nah, wie mit noch niemandem anderen. Wir kannten uns eigentlich noch gar nicht. Er war aus Betha, ich aus Delta. Aber da wir im gleichen Alter waren, haben wir uns gegenseitig unterstützt, sozusagen wieder aus dem dunklen Loch gezogen, in das uns das Königreich hineingeschubst hatte. Wir waren für einander da, immer. Und so wurde Sam schon gleich nachdem wir uns kennengelernt hatten zu meinem besten Freund. Die nächsten Jahre gingen wir eher getrennte Wege. Er bekam ein super Angebot auf dem Markt und ich bin jetzt Chefin in der Waffenschmiede." Stolz stemmte sie ihre Hände auf die Hüften. "Aber trotzdem hielten wir zusammen... Er war immer für mich da, wenn es mir schlecht ging, verstehst du Allie? Er war ein großer Bruder und Freund gleichzeitig für mich... Ich habe ihn immer geliebt, wie man seinen Bruder halt lieben müsste. Freundschaftliche, dankbare Liebe. Doch die letzten Monate... Hat sich das geändert. Irgendwie wollte ich mehr als nur befreundet sein, verstehst du? Ich konnte nur noch an Sam denken. Daran, wie er immer über alles lachte. Den ganzen Tag freute ich mich darauf ihn endlich nach der Arbeit zu treffen. Plötzlich war das alles dann auch nicht mehr so locker wie früher. Ich wurde rot und fing an zu stammeln, wenn wir redeten. Alles war irgendwie durchinander, zerstört. Ich wollte wieder nur Freundschaft für ihn empfinden, aber das ging nicht..." Ihre Stimme wurde immer schneller. "Allie, ich war so verzweifelt! Nichts war mehr so wie früher. Ich glaube, Sam hat das auch gemerkt. Aber dann..." Sie seufzte glücklich. "Vor ein paar Tagen, als ich abends noch wach in meinem Bett lag, klopfte es plötzlich an der Tür. Es war Sam. Bevor ich irgendetwas sagen konnte, hat er meine Hand genommen und mich nach draußen gezogen. Wir haben uns auf eine Wiese gesetzt, direkt hinter den Hängematten hier. Dann hat er erzählt, dass es etwas gäbe, was ihn belasten würde. Sam meinte, dass er glaube, mehr als nur Freundschaft für mich zu empfinden. Ich sagte, dass ich das selbe für ihn empfinden würde." Glücklich lächelte Brooke mich an. "Das war so eine Erleichterung! Wir haben uns darauf geeinigt, vielleicht noch einmal darüber nachzudenken. Heute Abend treffen wir uns dann wieder auf der Wiese und klären das ein für alle Male."Strahlend ergriff ich Brookes Hand. "Du musst mir alles erzählen, okay?" Sie nickte aufgeregt. "Ja, klar. Aber... Allie? Ich glaube ich brauche deine Hilfe."
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The Mavericks - Zone 5
Romance"Am Ende wird alles gut. Doch es ist nicht gut, also ist es verdammt nochmal nicht das Ende!"