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Als ein Bediensteter seinen Weg kreuzte, entnahm Lyanh dessen Silbertablett sogleich zwei Gläser mit der roten Flüssigkeit, die für ihn jetzt genau das Richtige darstellte, um den inneren Sturm in ihm irgendwie zu besänftigen. In einer flüssigen Bewegung wandte er sich um, um eines der Kristallgläser Zereon zu reichen, darauf bedacht, dass sich ihre Hände nicht berührten.

Durstig stürzte er den Inhalt in einem Zug hinunter, schloss genießerisch die Augen bei dem herben, brennenden Geschmack, der sich in seiner Mundhöhle und Kehle entfaltete.

»Ehrlich gesagt könnte ich etwas frische Luft vertragen.« Der trockene Wein hatte sich auf seine Geschmacksknospen gelegt, vermochte jedoch nicht gegen das Toben in seiner Brust anzukommen. Beim Lhievion, konnte Zereon es womöglich hören?

Ihm war mit einem Mal wieder unerträglich heiß, was natürlich nur Zereons Berührungen zu verdanken war, die ihn den ganzen Abend lang beinahe hätten durchdrehen lassen.

Indessen nippte der Blauäugige unbekümmert an seinem Glas, seine Gesichtszüge so weich und von einem goldenen Schimmer geziert. Zereon hatte ja keine Ahnung, was er in ihm aufwühlte!

Hätte Lyanh nicht bereits den Wein hinuntergestürzt, so hätte er sich jetzt, da Zereons Augen noch immer unverwandt auf seinem Gesicht ruhten, daran verschluckt.
Und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er, dass dessen Augenmerk tiefer glitt ...

Vielleicht fachte der Alkohol seine Fantasien nur noch weiter an, statt sie zu bezähmen. Eine Welle der Hitze schlug über ihm zusammen, hüllte seinen Verstand in einen Schleier, und ihm war, als würde er an Ort und Stelle versengt werden.

»Lass uns zu den Balkonen gehen.« Mit dem Kinn deutete er in besagte Richtung, räusperte sich, weil seine Stimme mit einem Mal ungewöhnlich rau erklang.

Mit schnellen Schritten steuerte Lyanh auf einen der vielen Balkons zu, die sich vor ihm eröffneten, nachdem er einige der etlichen Menschentrauben umrundet hatte. Wieso verhielt sich Zereon auf einmal so? Oder war nur er es, der sich wie von Sinnen gebarte?

Noch dazu während eines Banketts, bei dem die landesweite Noblesse zugegen war. Er sollte Zereon darauf ansprechen, ihn als sein Regent zurechtweisen, doch innerlich sehnte er sich nach so viel mehr als nur dessen Hände auf seinem bedeckten Körper zu spüren. Augenblicklich kochte ihm das Blut in den Adern.

Zittrig umfassten seine Finger das kühle Messing, als er schwungvoll die Balkontür aufstieß, und sich seine Lungen sogleich mit belebender Nachtluft füllten, die Hitze verdrängend.

Seine Stiefel knirschten unter der dünnen Schneedecke, die sich auf das Gestein gelegt hatte, und er schritt zu dem eisverkrusteten, steinernen Geländer, wo er gedankenverloren mit den Fingerkuppen über das kalte, erstarrte Nass fuhr, in seiner anderen Hand das leere Weinglas haltend, um dem Zitterns seiner Finger Herr zu werden.

Zereon gesellte sich zu ihm, doch nun, da sie abseits der Menschenmenge waren, kehrte die vertraute, knisternde Stille zurück. Die Luft um sie beide herum schien wie geladen; wie als zuckten unsichtbare Blitze über dem Boden, angereichert mit einer höheren Macht, die Lyanh die Beine erzittern ließ.

Er sollte den Blick gesenkt halten. Denn wenn er Gegenteiliges tat, würde es um seinen Verstand geschehen sein. War es dem Alkohol geschuldet, dass seine Zurückhaltung mit einem Mal zu zerreißen drohte?

Plötzlich sah er, dass Zereon auf ihn zutrat, eine halbe Armlänge trennte sie nur noch, und er wusste, dass er kurz davor war, seine Selbstbeherrschung über Bord zu werfen.
Es musste der Alkohol sein, zweifelsohne. Noch immer sah er nicht auf, auf diese Weise noch die Grenze wahrend.

Lyanh hätte beinahe schmerzerfüllt aufgeschrien, wären da nicht Zereons Fingerkuppen, die nun seine Wange streichelten, und seine andere Hand, die ihren Weg wieder zu seiner Hüfte fand, ihn daran näher zu sich zog sowie das eindringliche Blau seiner Iriden, in denen er sich nun selbst spiegelte. Seinem inneren Widerstand erlegen, spalteten sich seine Lippen, doch ihm versagte das Sprechen.

Wie von einer anderen Macht geleitet, streiften ihre Münder einander zaghaft, erzeugten ein Aufflammen wallenden Feuers.
»Sag mir, dass ich mir das alles nicht eingebildet habe ... Deine Blicke, dieser Funken, der aufglimmt, wann immer unsere Augen sich treffen«. Zereons Stimme war kaum mehr als ein zaghaftes Hauchen.

Wie von selbst fanden Lyanhs Hände ihren Weg zu Zereons Nacken, wo sie sich sehnsüchtig in dem von Rauch geküssten Haar vergruben.
Er wollte sich dieser Macht nur noch willig beugen, sich der alles entflammenden Hitze hingeben und mithilfe seines Leibwächters in Vergessenheit ertrinken.
Und so traf er seine Entscheidung.

Mit rohem Hunger verband Lyanh ihre Lippen, ein süßlicher Schmerz durchzuckte ihn, der ihm beinahe Tränen in die Augen trieb.

Bestimmt packte er Zereon am Kragen seiner Robe und zog ihn noch näher zu sich heran. All die Jahre, in denen seine Lippen nicht ein einziges Mal die des anderen gekostet hatten, veranlassten ihn dazu, wohlig - und doch gequält - aufzuseufzen.

Ein Meer an Empfindungen strömte auf ihn ein, von denen er wieder und wieder zu kosten verlangte; nach denen er mit ungestilltem Durst lechzte.
Welche Wirkung Zereon auf ihn ausübte, lag fernab seines Ermessens.

Sein Leibwächter neigte leicht das Haupt, ermöglichte es ihnen, den innigen Kuss zu intensivieren, und führte seine Hand zu Lyanhs Hinterkopf, um die Kontrolle über das hochschlagende Feuer zu gewinnen.
Doch kurz daraufhin mussten sie sich atemlos voneinander lösen, die Stirn gegen die des jeweils anderen lehnend, und stoßweise Luft holend.

Ihre Blicke verflochten sich ineinander, schürten erneut diese unsagbare Spannung zwischen ihnen, doch ein Blick genügte, und sie gaben sich ein stummes Versprechen.
»Ich will nie mehr ohne dich sein«, flüsterte ihm Zereon ins Ohr.
»Das warst du nie«, erwiderte Lyanh mit rauer Stimme, und diesmal war die Rauheit etwas anderem geschuldet.

»Ich meine, dass sich nie wieder etwas zwischen uns drängen soll. Nichts, das uns voneinander entfernt.« Lyanh entzog sich ihrer Nähe, um Zereons Blick aufzufangen.

»Egal, was unserer Liebe entgegensteht - ich werde nicht zulassen, dass wir unsere Gefühle weiter verleugnen müssen.« Zereons Lippen formten ein sanftes Lächeln, schmerzvolle Erleichterung glänzte in seinen Augen.

»Nein«, hauchte Lyanh ihm gegen die Lippen,»diese Zeit ist vorbei.« Ihre Gesichter näherten sich einander erneut, um ein zweites Versprechen mit einem Kuss zu besiegeln, doch da vernahm Lyanh Leeras durchdringende Stimme, die voll Ungeduld nach ihm verlangte, sodass sie beide verlegen innehielten.

So tauschten sie ein belustigtes Lächeln aus, legten die Stirnen erneut aneinander, ehe sie wieder ins Innere gingen, um Leera davon abzuhalten, den ganzen Bankettsaal zusammenzuschreien.

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ARZAS || short story Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt