Die Schlinge zieht sich zu

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Schweigend saßen Kiyan und Kalana nebeneinander. Der Schwarzhaarige hatte inzwischen seinen Teller leer gegessen und die junge Frau bestellte bereits ihren dritten alkoholfreien Cocktail. Die Schlägerei in ihrem Rücken hatte sich mittlerweile aufgelöst und es wurde wieder ordentlich gefeiert und lautes Lachen hallte durch den Raum. Die Blauhaarige hing ihren Gedanken nach und warf ab und zu einen Blick auf den jungen Mann neben sich. Sie hatte bereits alles Mögliche versucht, um ihn dazu zu überreden, dass er sie doch mitnimmt. Leider ignorierte er sie nunmehr und was sie auch tat, sie erhielt keine Reaktion seinerseits. Es blieb ihr nur noch eine Möglichkeit. Sie hob ihre Hand und sah ihn an, ehe sie den Kopf schüttelte, sie wieder sinken ließ und wieder ihr Glas anstarrte.
„Ich sollte ihn damit nicht beeinflussen", schoss es ihr nachdenklich durch den Kopf, „Wenn der Effekt nachlässt, wird es nur komisch. Es muss doch noch einen Weg geben!"
Kiyan blätterte derweil in seinem neu erworbenen Buch und beobachtete die junge Frau aus den Augenwinkeln. Ihre ungewöhnlich helle Haut und ihre Tattoos weckten durchaus seine Neugierde. Allerdings schrillten bei ihr sämtliche seiner Alarmglocken. Jede Faser seines Körpers schrie ihn förmlich an, dass sie nichts als Chaos bringen würde. Er schüttelte seinen Kopf und wandte sich dann wieder vollends seiner Lektüre zu.
„Was liest du da eigentlich?", fragte die junge Frau plötzlich und lehnte sich etwas weiter zu ihm.
Sie stützte sich auf seinem Hocker ab und schielte neugierig in das Buch. Kiyan spannte sich bei ihrer Nähe unbewusst etwas an, was ihr nicht entging. Mit einer entschuldigenden Geste richtete sie sich wieder auf. Dennoch sah die Blauhaarige ihn mit einem auffordernden Blick an, was ihm einen tiefen Seufzer, gefolgt von einem genervten Knurren, entlockte. Er schlug das Buch zu und schob er es ihr über den Tresen zu. Interessiert nahm die junge Frau das in blaues Leder eingebundene Buch in die Hand und sah es sich an, während er sich auf dem Hocker zum Geschehen hinter ihnen drehte. Sein Blick schweifte über den vertrauten Anblick von feiernden Menschen und etwas wehmütig lauschte er der Musik. Der vertraute Geruch nach Holz und Alkohol, gepaart mit dem Duft aus der Küche, stieg ihm in die Nase und ließ sein Herz schwer werden. Seine Gedanken wanderten zurück zu Piva und er fragte sich, ob John den allabendlichen Andrang wohl auch ohne ihn gut überstand.
„Ein Interessantes Buch ist das", meinte Kalana, während sie durch das Buch blätterte und riss ihn somit wieder in das Hier und Jetzt, „Wenn du dich für Minks interessierst, dann könnte Drops Island für dich interessant sein."
Der junge Mann spitze die Ohren und sah sie fragend an. Als die Blauhaarige bemerkte, dass sie seine Aufmerksamkeit gewonnen hatte, schlich sich ein erfreutes Lächeln auf ihre Züge. Sie schlug das Buch zu und griff nach ihrem Drink. Nachdem sie einen Schluck genommen hatte, fuhr sie fort.
„Ich habe gehört, dass das eine Insel hier im South Blue ist, auf der Mensch-Tier-Hybride leben. Minks, wie ich jetzt dank deinem Buch, weiß. Die scheinen allerdings nicht so gerne Fremde auf ihrer Insel zu haben. Dabei soll es dort einen Ort geben, an dem man erstklassiges Essen bekommt."
Verträumt starrte Kalana Löcher in die Luft und seufzte dann schwer. Sie versuchte schon eine Weile, einen Händler ausfindig zu machen, der sie auf diese Insel mitnahm. Aber zu ihrem Bedauern gab es nur eine Handvoll, die eine Handelserlaubnis mit Drops Island hatten und bisher war sie keinem von ihnen begegnet.
„Klingt, als wolltest du da unbedingt hin", grinste der Schwarzhaarige und sie hörte deutlich einen frechen Unterton aus seiner Stimme heraus, was ihrem Lächeln einen leichten Dämpfer verpasste.
Empört sah sie ihn an. Kiyan hatte mittlerweile die Arme auf der Theke abgestützt und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. Seine strahlend blauen Augen, die sie an funkelnde Saphire erinnerten, richtete er direkt auf sie. Einen Augenblick zogen sie sie in ihren Bann, doch dann stutze sie. Seine Augen waren blau.
„Hatte er im Hafen nicht violette Augen?", dachte sie irritiert und versuchte sich, den Moment im Hafen wieder in Gedächtnis zu rufen.

Mit einem Mal flog die Eingangstür auf und krachte lautstark gegen die Wand. Die Blicke aller Anwesenden richteten sich neugierig auf den Neuankömmling. Auch Kiyan und Kalana unterbrachen ihre Unterhaltung und sahen zur Tür. Der alte Mann, der dort schweißgebadet stand, rang nach Atem und brauchte ein paar Minuten, bis er mit einem breiten Grinsen seinen Blick über die Gäste schweifen ließ.
„Ihr glaubt nicht, was ich gerade gehört habe!", fing er begeistert an und seine Stimme überschlug sich dabei, „Es gibt tatsächlich einen Idioten, der sich mit Don Salvidesis Männern angelegt hat!"
Ungläubiges Gemurmel erfüllte die Taverne und der ein oder andere besorgte Kommentar war herauszuhören. Was das wohl für sie bedeutete? Verschlimmerte sich die Situation jetzt etwa? Kalana überlegte kurz, ob ihr der Name etwas sagte, zuckte dann aber gleichgültig mit ihren Schultern. Sie verlor bereits ihr Interesse an dem alten Mann und wollte sich wieder ihrem Gespräch zuwenden. Erstaunt zog sie eine Braue hoch, als sie die Anspannung im Körper ihres Sitznachbarn bemerkte und sie sah von ihm zu dem alten Mann und wieder zurück.
„Nicht sein Ernst?", dachte sie amüsiert und schmunzelte.
„Jetzt hört mir doch mal zu, das beste kommt doch erst noch!", gewann der Grauhaarige die Aufmerksamkeit zurück und es kehrte wieder Stille ein, „Dieser Dummkopf soll ein schwarz- oder weißhaariger Kerl sein. Keine Ahnung, warum beides möglich ist, aber egal. Der Typ hat jedenfalls einen Schwanz und spitze Ohren. Und jetzt passt auf..."
Vor Begeisterung verschluckte sich der Mann und wurde durch heftiges Husten unterbrochen, das ein genervtes Raunen nach sich zog. Eine Frau, die in der Nähe des Alten saß, stand auf und klopfte ihm hilfsbereit auf den Rücken. Der Wirt reichte einem seiner Kellner in der Zwischenzeit ein Glas Wasser, was ihm sofort gebracht wurde. Dankbar lächelte der Grauhaarige die Frau und den Kellner an und nahm einen kräftigen Schluck. Dann fuhr er mit krächzender Stimme fort: „Don Salvidesi hat eine hohe Belohnung ausgesetzt! Wer auch immer ihm diesen Burschen bringt, erhält eine Belohnung, mit der er für den Rest seines Lebens ausgesorgt hat!"
Einen Augenblick herrschte ungläubiges Schweigen, doch dann brachen alle Anwesenden in Begeisterungsrufe aus. Alle, bis auf Kiyan und Kalana.
Die Blauhaarige murmelte lediglich: „Ekelhaft, diese ganze Gier!"
Der Schwarzhaarige zog sich seine Kapuze etwas tiefer ins Gesicht und schluckte schwer. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Sache so schnell aus dem Ruder laufen würde. Rasch wurden die Getränke ausgetrunken und bezahlt, ehe einer nach dem anderen aus der Bar stürmte. Manche waren so begeistert von der Neuigkeit, dass sie vor lauter Enthusiasmus die Zeche prellten. Selbst der Wirt und seine Kellner wirkten so, als wollten sie lieber das Lokal für heute schließen und sich an dem Unterfangen beteiligen, als ihre vereinzelt zurückgebliebenen Gäste zu bewirten. Das Ziel der Jagd drehte sich zum Wirt um und orderte ein Glas Whisky. Sobald er den Drink hatte, leerte er das Glas in einem Zug und forderte mit einer stummen Geste nachschlag.
„Alles in Ordnung?", hakte Kalana vorsichtig nach.
„Bestens", knurrte der junge Mann und stieß einen tiefen Seufzer aus. Mit einem schnellen Griff in seine Jacke zog er seinen Geldbeutel hervor. Er kippte den Inhalt des aufgefüllten Glases herunter, bezahlte und ging einfach, ohne sich von der Blauhaarigen zu verabschieden.

Als Kiyan aus der Tür trat, stand er blankem Chaos gegenüber, das er mit einem erneuten Seufzen zur Kenntnis nahm. Solange niemand seine Ohren und seinen Schwanz zu Gesicht bekam, sollte alles in Ordnung sein. Er versuchte, entspannt zu sein, aber die ganze Situation ließ ihn sich, wie ein in die Ecke gedrängtes Tier vorkommen. Ein Gefühl, das in ihm tiefes Unbehagen auslöste und obendrein sehr ungewohnt war. Normalerweise kam er sich mehr wie der Jäger als der Gejagte vor, was vermutlich mit dem zusammenhing, was er war. Was auch immer das sein mochte. Der Schwarzhaarige lenkte sich, mit weniger Erfolg als gehofft, etwas von dem Ganzen ab, indem er die vielen kleinen Fachwerkhäuschen betrachtete. Vorsichtig schlängelte er sich durch das Gedränge und steuerte dabei eine der vielen, kleinen Seitengassen an. Die Rufe und lauten Gespräche um ihn herum erreichten einen Lärmpegel, der ihm in den Ohren schmerzte und die Erinnerung an seinen Alptraum wieder hochkommen ließ. Er schüttelte energisch den Kopf, um diesen Gedanken wieder zu vertreiben, und hielt sich die Ohren zu. Kurz nachdem er in der kleinen Gasse verschwand, hörte er jemanden seinen Namen rufen. Ein kurzer Blick über die Schulter genügte, um den verräterischen, blauen Haarschopf zu erkennen.
„Hey, warte auf mich", rief Kalana ihm zu und folgte ihm mit eiligen Schritten.
„Was willst du denn noch?", brummte der Schwarzhaarige abweisend, ließ sie jedoch trotzdem zu sich aufholen.
Die Blauhaarige sah ihn einen Moment an, ehe sie ihn schief angrinste.
„Ich will immer noch, dass du mich mitnimmst", meinte sie mit einem frechen Tonfall, „Außerdem bist du ein interessanter Kerl."
Verwundert sah sie der Angesprochene an, worauf die Blauhaarige anfing zu lachen. Jetzt erst recht verwirrt blieb Kiyan stehen, sah sie an und zog fragend eine Braue hoch.
„Naja, du bist ja offensichtlich derjenige, der sich mit diesem Don Irgendwas angelegt hat. Jedenfalls hab ich das aus deiner Reaktion vorhin geschlussfolgert. Außerdem bist du der erste andere Halbling, dem ich bisher begegnet bin", erklärte sie sich ihm und schlenderte gut gelaunt durch die enge Gasse.
„Nur um eins mal klarzustellen. Ich hab mich mit niemandem angelegt!", protestierte der junge Mann, „Und was soll das überhaupt sein, ein Halbling?"
Kalana entging nicht, dass die Stimme des Schwarzhaarigen zuerst einen genervten Unterton hatte, der, während er sprach, in Verwirrung umschlug. Langsam setzte auch er sich wieder in Bewegung und starrte sie nachdenklich an. Die Stimmen von der Hauptstraße wurden mit jedem Schritt der beiden leiser, bis sie nur noch ein entferntes Murmeln waren und sich sein Körper etwas entspannte.
Plötzlich weiteten sich Kiyans Augen, als er realisierte, was seine Begleitung gerade geäußert hatte.
Neugierig fügte er hinzu: „Wieso anderer Halbling?"
Kalanas helles Lachen hallte durch die Luft und sie drehte sich grinsend zu ihm um. Er hatte es also gehört.
„Weil ich auch ein Halbling bin, Dummerchen. Ich bin eine Halbelfe. Also halb Elfe und halb Mensch. Was bist du eigentlich? Der alte Sack meinte ja, dass du spitze Ohren und einen Schwanz hast. Darf ich es sehen?"
Der Schwarzhaarige haderte mit sich. Sollte er einer Fremden das zeigen, was ihn auf dieser Insel in die größten Schwierigkeiten bringen konnte? Andererseits konnte sie ihm vielleicht auch das sagen, was er so dringend wissen wollte. Schließlich gab er der Bitte nach und ein leises Seufzen kam über seine Lippen. Zögerlich griff er nach seiner Kapuze und verharrte noch einen Moment mit der Hand an ihr. Dann zog er sie sich schließlich vom Kopf und gab der Blauhaarigen somit freie Sicht auf seine Ohren.
„Hätte nicht gedacht, dass er so attraktiv ist", schoss es Kalana überrascht durch den Kopf, als sie sein Gesicht zum ersten Mal deutlich und nicht in den Schatten seiner Kapuze versteckt, vor sich sah.
Zu ihrem Erstaunen erwachte nun auch sein Gürtel zum Leben und wurde zu einem langen, dünnen, schwarzen Schwanz, dessen Ende sie an eine Pfeilspitze erinnerte. Fasziniert und mit einem undefinierbaren Funkeln in den Augen trat sie näher an ihn heran und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Gebannt streckte sie ihre Hand nach seinem Schweif aus. Doch, bevor sie ihn berührte, packte Kiyan sie grob am Handgelenk. Ein bedrohliches, animalisches Knurren drang aus seiner Kehle und jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Sie sah ihn mit großen Augen an und in seinen violetten Seelenspiegeln lag etwas Wildes, etwas, das ihr das Gefühl vermittelte, einem angriffslustigen Raubtier gegenüberzustehen. Sie schluckte schwer und konnte nur mit Mühe verhindern, dass sie unter seinem intensiven Blick zu zittern begann.
„Okay. Schwanz anfassen ist verboten", kam es nach ein paar Minuten, in denen sie nur so dastanden, eingeschüchtert von ihr und langsam zog sie ihre Hand zurück, „Ist notiert!"
Der junge Mann schloss die Augen, atmete mehrmals tief durch und ließ sie schließlich wieder los. Dann drehte er ihr den Rücken zu und sah zum Ende der kleinen Gasse, während er sich seinen Schwanz wieder um die Hüfte schlang. Auch die Kapuze setzte er erneut auf, bevor er aus dem Schatten der kleinen Straße trat und sich das große Tor zur unteren Ebene vor ihnen aufbaute.
„Schade", murmelte Kalana etwas enttäuscht, während sie beobachtete, wie er seinen nichtmenschlichen Teil versteckte. Aber sie verstand, weshalb er diesen Bestandteil von sich verbarg. Insbesondere auf dieser Insel.


Returning MemoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt