Einen wunderschönen guten Morgen ihr Lieben!!
Ich begrüße alle neuen Gesichter und erst recht meine alten Hasen ganz, ganz herzlich hier bei meinem neuen „Baby"! Ich hoffe, ihr hattet eine schöne Woche und seid bereit für einen Neuanfang? :D
Dieses Mal geht es deutlich weiter zurück; nämlich direkt in die alte Ära... aber ich bleibe dem Stil von meinem ersten Monsterprojekt treu: auch diese Geschichte wird ein Zweiteiler, und wie zuvor wird es im ersten Teil kein Pairing geben, das heben wir uns für den zweiten Teil auf. ;) Wer mich kennt, weiß sowieso, dass mein Fokus vor allem auf dem Piratenleben selbst liegt; auf Abenteuer, Zusammenhalt, Freundschaft und vor allem Familie.
Der Whitebeard-Familie.
Auch was den Uploadzyklus angeht, werd ich weitermachen wie bei Junie: nämlich einmal im Monat. Das nimmt auch für mich den Druck etwas raus und gibt mir Zeit für Nachschub. Und falls mal etwas dazwischenkommen sollte, werde ich euch wie gewohnt auf meinem Profil darüber informieren – ich lasse euch also garantiert nicht unwissend im Regen stehen, keine Sorge. Aber so schnell passiert das sicher nicht, bis Ende des Jahres sind die Kapitel sowieso bereits vorrätig und ich bleibe garantiert nicht untätig... ich hab so wahnsinnig viel vor mit euch!!! Neue Inseln, neue Herausforderungen, sehr junge Whitebeardpiraten, viele jugendliche Dummheiten, damit einhergehend auch sehr überforderte Väter, heimtückische Eishexen, feuerspeiende Drachen, einen Haufen neuer OCs und dazwischen zwei beste Freunde, die im trubeligen Piratenalltag erwachsen werden... was kann da schon schief gehen? ;D
GAR NIX!
Denn ich hab ja wieder meine drei guten Beta-Feen am Start... tophee, Mimabi und Sherrylock haben wie immer ein wachsames Auge auf mein Geschreibsel und lassen ihren großartigen, unvergleichlichen, alles überstrahlenden Zauber walten. Aber halt... nein, diesmal ist da noch jemand, der mitmischt! Nämlich... *Trommelwirbel* Corviknight! Die geniale Künstlerin hinter den wunderschönen Fanarts hat nicht nur schon mehrere fantastische Kunstwerke von Charlie erschaffen (die ich euch nach und nach zeigen werde – guckt doch gleich jetzt mal auf mein Profilbild!), sondern auch aktiv an der Geschichte mitgewirkt hat. Willkommen an Bord, meine Liebe! :D
So, jetzt aber Schluss mit dem Gequatsche und let's get ready to Rumble!!
Diese Geschichte beginnt sehr viel düsterer als meine Vorherige... aber lasst euch nicht abschrecken, das wird keinesfalls so bleiben. Ihr kennt mich: die schönen Seiten des Lebens sind mir lieber. ;)
Also habt ganz viel Spaß beim Lesen – ich wünsche euch ein wunderschönes Wochenende und bis zum nächsten Mal in vier Wochen!! <3
GlG
Ancarda
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Ping. Ping. Ping.
Wieder und wieder sauste der schwere Hammer auf den Meißel nieder und erzeugte dieses furchtbar nervige Geräusch.
Ping. Ping. Ping.
Schlimm war ja, dass es nicht nur ein einziger Hammer war – es waren mehr als drei Dutzend, die mit nur wenigen Sekunden Unterbrechung auf die Meißelköpfe trafen.
Ping. Ping. Ping.
Doch das Allerschlimmste war, dass diese Geräusche auch noch an den nackten Felswänden dieser großen, unterirdischen Kammer widerhallten, bis man irgendwann das Gefühl hatte, nur noch ein unangenehmes Vibrieren im Trommelfell zu spüren.
Charlies Arme brannten vor Anstrengung, als er die zerteilten Erzstücke auf ein langsam neben ihm vorbeilaufendes Förderband legte und sich einen neuen, großen Brocken aus dem niemals kleiner werdenden Haufen neben ihm zwischen die Knie klemmte. Ein ganzes Stück hinter seinem Rücken wurden in regelmäßigen Abständen auf einer schmalen Schiene Loren herbeigeschoben, die neben den Jungen ausgekippt wurden und so stets für neue Arbeit sorgten. Zum zigtausendsten Mal setzte der Dreizehnjährige den Meißel an, holte ein wenig mit dem Hammer aus und trieb ihn damit in das Gestein, damit es klein genug für die Schmelzöfen wurde.
Ping. Ping. Ping.
Der Staub färbte seine eigentlich schokoladenbraunen, bis über die Schultern reichenden Locken grau, kitzelte unangenehm in der Nase und brannte in der Kehle, sobald man durch den Mund atmete. Charlies Hände waren schon ganz rau und rissig von den schweren, scharfkantigen Steinen, und die zerschlissenen Klamotten, die er an seinem mageren Leib trug, starrten vor Dreck. Den einzigen Vorteil, den er hatte, waren seine dauerhaft geschlossenen Augen mit dem ausgefransten Stück Leinstoff davor – so stach ihn der Dreck nicht auch noch an dieser Stelle, wie all den anderen. Wenigstens in dieser Situation schadete ihm seine Blindheit nicht.
Gott, und der Staub im Mund machte solchen Durst! Wann hatte er das letzte Mal etwas zu trinken bekommen? Normalerweise ging einer der Aufseher etwa stündlich mit einem Wassereimer und einer Kelle vorbei und ließ die Kinder der Reihe nach trinken. Allzu genau nahmen sie es mit der Zeit allerdings nicht... es hing auch immer stark davon ab, welcher Aufseher Dienst hatte und wie er gelaunt war. Es war auch schon öfter vorgekommen, dass sie gar nichts zu trinken bekommen hatten. Doch Charlie kam nicht mal der Gedanke, danach zu fragen – genauso wenig wie den anderen Jungen, die gemeinsam mit ihm hier in der Erzmine schufteten. Er hörte ihren schweren Atem, das leise Ächzen und Fluchen zwischen dem monotonen Hämmern deutlich heraus und roch auch ihren Schweiß in der stickigen Luft.
Die Zeit floss zäh an den Kindern vorbei, jedes arbeitete für sich allein monoton vor sich hin. Sprechen war nicht erlaubt. Lediglich der ein oder andere Nieser oder unterdrückte Schmerzlaut durchbrach die einseitige Geräuschkulisse, wenn ein Hammerschlag danebenging oder ein Splitter abplatzte. Aber niemand scherte sich darum. Die einzige, dankenswerte Unterbrechung war tatsächlich immerhin dreimal der Aufseher mit dem Wasser. Durstig hatte Charlie davon getrunken, auch wenn es warm war und leicht abgestanden schmeckte. Aber alles war besser als ein trockener Mund.
Erst als das misstönende Läuten einer blechernen Glocke erklang, erwachten sie aus ihrer Lethargie.
„Mittagspause! Los, Essen fassen!", rief der Oberaufseher barsch. Charlie wusste von früher, als er noch etwas gesehen hatte, dass er eine hochwertige Lederrüstung über den landesüblichen, leinenen Hemden und Hosen trug, außerdem Lederstiefel und eine scharfe, gebogene Klinge im Gürtel. Andere Aufseher schleppten jetzt geräuschvoll einen Kessel, Körbe und Schüsseln herbei. Zugleich erklangen die leisen Schritte einer jungen Frau, die wie jeden Tag in dieser Woche sicherlich mit demütig gesenktem Blick dem Oberaufseher einen Korb brachte, aus dem es verheißungsvoll duftete, wenn sie an den Kindern vorbeiging.
„Ahh... Hauptgang und Nachspeise!", dröhnte die schnarrende Stimme des Oberaufsehers gut gelaunt und schlug seiner (wie er aus diversen Kommentaren mitbekommen hatte) offenbar blutjungen Gattin mit einem klatschenden Geräusch auf den Hintern, woraufhin seine Kameraden dreckig lachten.
Das Mädchen blieb stumm.
Mit leisem Ächzen erhoben sich nun die Kinder und stellten sich in einer Reihe vor dem Kessel an. Charlie wurde von den anderen Jungen grob bis ganz nach hinten gedrängt, doch das war normal für ihn; er hatte längst aufgehört, sich davon verletzt zu fühlen. Seine offensichtliche Behinderung galt in den Augen der hiesigen Gesellschaft als Strafe der Götter, weshalb er bewusst gemieden und abfällig behandelt wurde. In den Augen seiner Mitmenschen hatte er sein Los verdient.
Davon abgesehen waren die meisten hier auch ein wenig älter, vierzehn, fünfzehn Jahre mindestens, nur eine Handvoll waren so alt wie er oder sogar jünger. Hier in diesem Bereich der Mine arbeiteten die Jungen bis etwa siebzehn, danach wechselten sie meist in die tiefer gelegenen Bereiche und schufteten für die Erschließung neuer Tunnel... und einen minimal höheren Stundenlohn als hier. Ein Lohn, der kaum ausreichte, um auch nur das nötigste an Lebensmitteln zu kaufen, geschweige denn eine richtige Behausung zu finanzieren. Ein armer Mann blieb ein armer Mann.
Aber Charlie würde sich garantiert nicht beschweren. Niemals! Er hatte es gut. Es war gut so. Wirklich.
Ein armer, gemiedener Junge zu sein und zu einem armen, gemiedenen Mann heranzuwachsen, war beileibe nicht das Schlimmste auf der Welt.
Endlich war er bei der Essensausgabe an der Reihe. Er bekam die übliche, kleine Schüssel Fischsuppe in die Hand gedrückt und wie immer ein Stück Fladenbrot dazu. Kaum hatte Charlie seine Suppe, schob er sich geschickt an der mittlerweile sehr vertrauten Wand entlang und schlang sein Essen hektisch hinunter. Seine Eile war allerdings nicht dem großen Hunger geschuldet... sondern dem, was gleich passieren würde. Er kannte den Ablauf leider viel zu gut und musste unbedingt vor dem Aufseher mit dem Essen fertig sein, wenigstens mit der Suppe!
Doch weil er der Letzte gewesen war, der sein Essen bekommen hatte, schaffte er es wieder einmal nicht.
Der Oberaufseher schob geräuschvoll seinen leeren Teller von sich und rief nach seiner jungen Frau. Charlie grauste es, doch er konnte deutlich hören, wie ihre leisen, zaudernden Schritte näherkamen, ehe sie mit einem erschrockenen Japsen gepackt und dem Scheppern nach auf den Tisch gedrückt wurde. Das ungeduldige Rascheln von Stoff erklang und – Charlie widerstand dem Drang, sich die Ohren zuzuhalten. Diesen verhassten Geräuschen konnte er nicht entkommen... schon mehr als einmal hatte er Prügel bezogen, weil er die Hände über die Ohren gepresst hatte. Also versuchte er das rhythmische Poltern und das lauter werdende Keuchen des Mannes auszublenden... doch ihm drehte sich trotzdem der Magen um, und der Rest seines Essens blieb ihm im Hals stecken.
Eine Frau zu sein war zum Beispiel in jeder Gesellschaftsschicht ein schlimmeres Schicksal als ein armer Mann zu sein.
Er hielt den Kopf gesenkt und steckte das Stück Brot in sein Leinenhemd; die letzten Löffel Fischsuppe ließ er schweren Herzens in der Schüssel zurück. Gern hätte er es wenigstens jemand anderem zugeschoben, doch von einem Krüppel nahm ja niemand etwas an. Seine Hilfe oder auch nur seine Nähe war gänzlich unerwünscht.
Das Brot konnte er sich zwar immerhin für später aufheben, aber leider würde er auch früher wieder hungrig sein, was das Arbeiten gegen Ende hin immer noch etwas schwerer machte. Vielleicht schaffte er es ja, sich zwischen dem Klopfen schnell etwas in den Mund zu stecken... bloß war das Schlucken von trockenem Brot ohne Wasser bei all dem Staub gar nicht so leicht. Wenn, dann müsste er es machen, kurz nachdem er Wasser bekommen hatte... dann konnte es klappen.
Krampfhaft setzte er sich in Gedanken mit diesem eigentlich unwichtigen Thema auseinander, bis die furchtbaren Geräusche mit einem langgezogenen, widerlich befriedigten Laut endlich ein Ende fanden.
Charlie atmete auf, als die dreißig Minuten Pause vorüber waren und alle Personen, die hier nichts zu tun hatten, wieder gingen. Er rührte sich nicht, bis sein feines Gehör die leisen Schritte der Frau nicht mehr wahrnehmen konnte. Zu seiner grenzenlosen Erleichterung wechselten die Schichten der Aufseher wöchentlich, sodass er mindestens die nächsten sieben Tage von diesem schrecklichen Szenario verschont bleiben würde. Die anderen Oberaufseher waren nämlich unverheiratet oder hatten Kinder in der Hauptstadt, um die die Frau sich zu kümmern hatte.
Antriebslos erhob er sich zusammen mit den anderen wieder und schlurfte an seinen Platz ganz hinten zurück. In dieser Kammer hier fand er sich problemlos zurecht, denn es veränderte sich ja auch nichts Wesentliches. Es war jeden Tag dasselbe... und jeden Tag wieder kam ihm all das fürchterlich falsch vor. Aber so war die Welt, damit musste er leben.
„So, weiter geht's! Los, los... nicht so langsam!", rief der Oberaufseher streng, aber deutlich besser gelaunt als vorher. Seine Frau hatte ihren Zweck erfüllt und ihn zufrieden gemacht. Dafür war sie da... dafür lebte sie.
Dafür war sie geboren worden.
Mit zugeschnürter Kehle wuchtete Charlie einen neuen Steinbrocken zwischen seine Beine, griff erneut nach seinem Werkzeug und fügte ihren Klang in die misstönende Symphonie der anderen mit ein.
Ping. Ping. Ping.
War es denn wirklich überall so wie hier? Die Aufseher und die Geistlichen sagten ja... sie sagten, dies hier wäre die göttliche Ordnung. So MÜSSE es sein, nur so konnte die Welt funktionieren. Und wer sich dem widersetzt, dem droht der Zorn der Götter. Ewige Verdammnis... Schmerz... und eine Wiedergeburt in ein noch elenderes Leben als das Jetzige, als Strafe für den Ungehorsam. Nur wenn man sich fügt und seinen Teil für diese Ordnung beiträgt, der hat im nächsten Leben die Chance auf ein besseres.
Aber... Charlie hatte auch schon anderes gehört. Gerüchte... heimliches Geflüster darüber, dass die Welt auch anders funktionieren konnte. Und einmal war er sogar schon Menschen begegnet, die keine Götter anerkannten und auf Schiffen über das Meer reisten.
Frei.
Frei wie Vögel. Noch heute hatte er den Anblick der fremden Männer vor seinen damals noch unbedeckten Augen... besonders von einem. Dieser Mann hatte ihn vor vielen Jahren mit einem Blick angesehen, der ihm heute noch eine Gänsehaut bereitete. So wild... so entschlossen... so unbeugsam! Nie würde er diesen Mann vergessen.
Und ein Junge, der in der Nähe des Hafens in der Hauptstadt gelebt hatte, hatte einmal den anderen Jungen erzählt, dass er unter den Vogelfreien sogar Frauen gesehen hatte. Frauen die lachten. Richtig lachten, nicht lächelten! Er hatte gesagt, es klänge wie Musik. Ob das wirklich die Wahrheit gewesen war? Gab es das wirklich? Ach, es gab so vieles, das Charlie nicht wusste... und auch niemals erfahren würde. Das hier war sein Leben... bis er irgendwann bei der Arbeit starb.
Lautlos seufzend warf er die zerkleinerten Steine auf das Fließband und griff nach dem Nächsten.
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„Schluss für heute! Holt euch euren Lohn und verschwindet!"
Mit einem befreiten Aufatmen erhoben sich die Kinder mehrere Stunden später. Charlie griff erleichtert nach seinem bereitliegenden, etwa anderthalb Meter langen Stock und machte sich, nachdem sie alle ein paar magere Münzen erhalten hatten, hastig mit den anderen auf den Weg zum Ausgang. Erschöpft, mit schmerzenden Gliedern und verdreckt von Kopf bis Fuß, erreichten sie nach zwanzig Minuten steinernem Tunnel endlich Tageslicht.
Charlie nahm die Helligkeit der untergehenden Sonne auf seinem Gesicht wahr, während ihn die Hitze hier draußen wie ein körperlicher Schlag traf. Das war immerhin ein Vorteil an den Minen: Sie waren der einzig kühle Ort im Wüstenstaat Kimalja, vor allem auf den neun kleineren Mineninseln, die sich im näheren Umkreis zur riesigen Hauptinsel befanden. Auf diesen Mineninseln, deren zerklüftete Fels- und Berglandschaften verschiedene reiche Erz- und Juwelenvorkommen bargen, gab es keine Städte; nur Lager für all die Menschen, die in den Minen arbeiteten.
Müde und zerschlagen folgte Charlie den anderen Jungen, die sich ebenfalls zum Lager begaben. Allerding in gebührendem Abstand; schloss er zu dicht zu ihnen auf, riskierte er wütende Bemerkungen oder auch Angriffe.
Sie redeten alle nicht, dazu waren sie viel zu erschöpft. Auch für diesen Weg brauchte er seinen Stock eigentlich nicht, den kannte er ebenfalls in- und auswendig: es war eine gewundene, ebene Straße, die den kleinen, steinernen Berghang hinabführte, an dem ihr Tunnelausgang mündete. Links erstreckte sich die schroffe, unübersichtliche Berglandschaft der kleinen Insel, während er rechts von sich das Meer rauschen hörte; er wusste aus Erzählungen, dass da etwa einen Meter neben der Straße eine ziemlich steile Klippe war, an der sich tief unten die Wellen brachen. Sowohl Arbeiter als auch durchgehende Maultiere hatten hier schon ihr Ende gefunden, aber immerhin verschaffte ihnen der frische, salzige Wind etwas Abkühlung.
Ein Stück entfernt hörte er die lauten, barschen Rufe der Fährmänner, die ihr breites, flaches Boot durch das Meer zogen. Der einzige Weg auf die Insel oder von der Insel herunter waren nämlich zwei flache Fähren, die mithilfe von zwei oberschenkeldicken Eisenketten und einer Menge Muskelkraft durch das erste, gefährlichste Drittel des Meeres gezogen wurden. Sie waren an einem der vielen aus dem Meer ragenden Felsen befestigten, die in Kombination mit dem relativ flachen Wasser starke, gefährliche Strömungen und tödliche Strudel erzeugten und ein Durchkommen mit normalen Booten oder gar schwimmend unmöglich machten. Hatte man diesen Teil überwunden, klinkten die Fährmänner ihr Gefährt aus und ruderten den Rest der etwa zweistündigen Strecke zur Hauptinsel. Diese Überfahrten kosteten allerdings auch etwas und wurden daher nur selten von den Arbeitern genutzt. Damit wurden eher Lebensmittel, Gefangene, Aufseher und Materialien gebracht oder abtransportiert.
Weitere Zwanzig Minuten später wurde der Boden dann zunehmend sandiger, bis die Jungen das Ende der Straße erreichten und sie nurmehr Wüstensand unter ihren abgetragenen Sandalen hatten. Hier befand sich das Arbeiterlager, eine Art Zeltstadt für die Ärmsten der Armen. Charlie hatte es schon mehrfach erkundet und aus purer Langeweile alle sechshundert identischen Zelte durchgezählt, die hier in ordentlichen Reihen standen. Abgesehen von den Zelten gab es hier nur noch eine Art Marktplatz mit Brunnen am anderen Ende, auf dem man sich Wasser und alles andere zum Leben Notwendige kaufen konnte. Da Betteln und Stehlen gleichermaßen unter Strafe verboten war, waren diese Lager auf den Inseln das Auffangbecken von allen, die sonst keine Option mehr hatten: Gegen schwere, schlecht bezahlte Arbeit in den Minen bekamen sie immerhin ein Zelt zur Verfügung gestellt, in dem sie wohnen durften, und außerdem zwei kostenlose, karge Mahlzeiten pro Tag. Eine am Nachmittag in den Minen und eine frühmorgens davor. Es war kein guter Deal, aber ein Platz zum Leben, etwas Geld und eine Grundversorgung an Nahrung war eindeutig besser als gar nichts. Eine großartige Wahl hatten sie ohnehin nicht; wer beim Betteln oder Stehlen erwischt wurde, kam (oft mit einer Hand weniger) ebenfalls hierher – nur mit Hand- und Fußfesseln, mit denen man sich zur Strafe dreißig Tage lang zusätzlich herumschlagen musste, ehe sie wieder abgenommen wurden und sie sich zumindest auf der jeweiligen Insel wieder frei bewegen konnten. Auch Lohn erhielten sie für die Dauer ihrer Bestrafung nicht.
Nach und nach bogen die Jungen nun zu ihren Zelten ab, bis auch Charlie den Weg in seines fand. Erleichtert und sehr erschöpft kroch er durch die Zeltplane nach drinnen und atmete erst einmal auf.
„Geschafft... ein weiterer Tag geschafft!", murmelte er zu sich selbst und ließ sich leise ächzend auf die dünne Strohmatte fallen, die den Boden des drei Quadratmeter großen Raumes bedeckte. Ausgestattet war sein Zelt genau wie alle anderen: an der rechten Seite waren mehrere, unterschiedlich große Tongefäße im Sand vergraben, sodass nur der Rand und die Deckel zu sehen waren. In ihnen konnte er Wasser und Nahrung vor der Hitze geschützt und kühl aufbewahren. Auf der anderen Seite befand sich sein Lager: eine etwas dickere Matte mit dünner, zerschlissener Decke und einem breiten Brett dahinter, auf dem er seine Wechselkleidung abgelegt hatte, sowie ein paar persönliche Gegenstände. Eine große, gedrehte Muschel zum Beispiel, sein kleines Schnitzmesser und mehrere Stücke Treibholz, die er zu Formen und Figuren geschnitzt hatte. Er mochte ihren Geruch nach Holz und Salzwasser, deshalb ging er gern an die steinige Küste und suchte danach.
Nach ein paar Minuten friedlicher Erholungszeit begab er sich aber erst einmal wie jeden Tag zu seiner großen Waschschüssel. Er musste unbedingt diesen blöden Staub loswerden! Doch zuvor zog er noch das kleine Stück Brot aus seinem Kittel und legte es in eins der kleinen, flacheren Tongefäße.
Hier drin bewegte sich Charlie so sicher wie jeder Sehende. Zielstrebig griff er nach der Schüssel, ging hinüber zu dem tiefsten Tongefäß, das er erst gestern wieder randvoll mit Wasser befüllt hatte, und schöpfte mit einer Kelle etwas davon ab. Dann holte er sich noch einen Lappen von seinem Wäscheregal und zog sich komplett aus, bevor er sich auf den Hocker setzte.
Es war jedes Mal wieder eine große Erleichterung, sich den Dreck des Tages vom Körper zu waschen. Der Steinstaub, der beim Zerkleinern der Felsen entstand, legte sich nach und nach wirklich über den ganzen Körper. Dazu der Schweiß vom Arbeiten... nein, Charlie liebte das Gefühl, sauber zu sein und ließ sich darum auch viel Zeit beim Waschen. Dabei war er sogar ein wenig stolz auf die Muskeln, die sich trotz seiner eher mageren Statur durch all die harte Arbeit gebildet hatten... und er war auch stolz auf die breite Brandnarbe, die sich von seiner linken Hüfte bis hoch zur rechten Brust erstreckte. Die Haut dort fühlte sich unebener an und war auch empfindlicher als an anderer Stelle. Rötlich müsste sie auch sein, aber genau wusste er das nicht. Gesehen hatte er sie nie. Für andere mochte sie vielleicht wie ein Makel aussehen, für ihn bedeutete sie eine Art Wiedergeburt.
Leise vor sich hin lächelnd nahm er seine Augenbinde ab und wusch sich auch das Gesicht. Die große Narbe war genauso wenig ein Grund, traurig zu sein wie der fehlende Sehsinn. Das war ein Preis, den er gern bezahlte... denn dafür hatte er sich selbst behalten können. Seine Persönlichkeit, sein Gewissen, seine Überzeugungen und sein Herz - das alles gehörte noch immer ihm. Die Schmerzen, den verlorene Sinn und sogar die daraus entstehende Verachtung... das war es ihm wert.
Und deshalb würde er sich auch niemals beklagen.
Das alles hier war seine Entscheidung gewesen. Mit all den Widrigkeiten hier kam er klar, und darauf war er stolz.
„Ein hartes Leben, aber immerhin mein eigenes!", flüsterte er zufrieden und trocknete sich mit einem Tuch ab, ehe er sich seine Wechselsachen anzog und die schmutzige Brühe draußen vor dem Zelt auskippte.
Anschließend genehmigte er sich noch einige große Schlucke Wasser zusammen mit dem aufgesparten Brot, legte ein neues, ausgefranstes Stück Stoff über seine Augen und streckte sich dann behaglich auf seinem Lager aus. Seine Klamotten würde er morgen früh noch waschen, dazu war er jetzt grade eindeutig zu faul.
Nur eine einzige, für ihn unheimlich wichtige Sache fehlte noch in seinem Tagesablauf. Gezielt glitten seine Finger unter die Matte in den Sand und entfernten eine dünne Schicht von einer bestimmten Stelle, bis er das vertraute Holz des kleinen Kästchens spürte. Er klappte den schlichten Deckel hoch und griff in seine kleine Schatzkiste, die das Wertvollste beinhaltete, das er besaß. Unter seinen Fingerspitzen fühlte er die vertraut ovale Form seines Schatzes und holte ihn hervor. Er brauchte seine Augen nicht um es vor sich zu sehen... seine Mutter hatte dieses uralte Ding früher immer bewundert, obwohl kein Mensch mehr wusste, was es eigentlich war. Es gab nur ein paar alte Legenden darüber... aber genau die hatten sie fasziniert. Es sah aus wie eine sehr eigenartige Frucht, eineinhalb handbreit groß, mit verschlungenen Mustern, kleinen Zacken und einem Büschel gezackter, etwas länglicher Blätter obendrauf.
Gedankenverloren fuhr er mit den Fingern über die in all den Jahren sehr vertraut gewordenen Linien nach. Der Legende nach waren solche Früchte an dem Urbaum gewachsen... und Surya, der Sonnengott, war jeden Tag in Gestalt eines brennenden Vogels vom Himmel herabgestiegen, um sie zu essen. Es hieß, dass sie dem Essenden ein Leben lang stets Kraft und vollkommene Gesundheit gewährten. Wahrscheinlich hatte seine Mutter dieses Ding deshalb als eine Art Glücksbringer betrachtet...
Geholfen hatte es ihr allerdings nichts.
Ein Seufzen entwich ihm. Jetzt war das hier alles, was ihm von ihr geblieben war. Wobei sie vielleicht gar nicht unrecht gehabt hatte mit ihrem Glauben an etwas Göttlichem in diesem seltsamen Obst; denn eigentlich war es immer aus Stein und nichts als ein staubiges Erbstück gewesen, aber dann... in der Nacht als seine Mutter in diesem Feuer gestorben war, hatte sie das Ding bei sich gehabt. Sie hatte es ihm zum Abschied gegeben, aber es war ihm aus den Händen geglitten und ins Feuer gerollt. Zu seiner Verblüffung hatte sich das Feuer um das Obst herum bläulich verfärbt, und dann... dann war eine kleine Gesteinsschicht davon abgeplatzt. Es war das Letzte gewesen, das er gesehen hatte... danach hatte ihn ein brennender Balken getroffen.
Aber seit dem fühlte sie sich an wie eine echte Frucht. Die Blätter waren hart und spitz, ähnlich wie Palmenblätter, und auch wenn die Schale hart war, gab sie doch ein winziges bisschen nach, wenn man draufdrückte. Charlie würde sie aber auf gar keinen Fall versuchen zu essen. Erstens war dies das letzte und einzige Andenken an seine Mutter, und zweitens... auch wenn seine Mutter die Legenden mit den Göttern gemocht hatte – Charlie hasste sie. Alles, was mit irgendwelchen Göttern zu tun hatte, machte ihm Angst und weckte tiefe Abscheu in ihm. Nein, nie und nimmer würde er davon kosten. Ihm genügte es vollkommen, diese Frucht in den Händen zu halten und sich daran zu erinnern, wie seine Mutter es früher getan hatte. Deshalb war sie ihm wichtig. Deshalb war sie sein einziger und größter Schatz.
„Gute Nacht, Mama...", murmelte Charlie für sich selbst, gähnte und verschloss das Kästchen wieder. Kaum war es wieder gut im Sand verborgen, war er auch schon eingeschlafen.
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Aufstieg der Whitebeardpiraten - Himmel und Hölle
FanfictionIm Jahre 1494 lernt der vierzehnjährige Piratenlehrling Marco den dreizehnjährigen Charlie kennen. Zwischen den beiden Jungen entsteht schnell ein tiefes, schicksalhaftes Band, das sie nicht nur durch viele, turbulente Abenteuer hindurch begleitet...