Einen wunderschönen guten Abend meine Lieben!
...und erst mal vielen lieben Dank für eure wundervollen Reviews, die kontinuierlich steigenden, fantastischen Zugriffszahlen und die neuen Sternchen... ihr glaubt ja gar nicht, wie sehr mich das freut, ihr seid wirklich die Besten!!!! <3
Diesmal halte ich mich kurz, im Augenblick ist so viel los, dass ich wirklich heilfroh bin, dass die Kapitel bis Dezember fertiggeschrieben sind und ich nur noch formatieren und Korrekturlesen muss... sonst wüsste ich grade nicht, wo ich das Schreiben noch unterbringen sollte. Oder ich könnte in meinen freien Minuten keine koreanischen BL-Soaps suchten. xD Hach ja, jeder braucht doch ein bisschen Fluff im Leben, oder?
Also dann wünsche ich euch ganz viel Spaß beim Lesen (diesmal auch ohne fiesen Cliffhanger – hehehe)... und erst recht viel Spaß beim ersten Treffen mit unseren Lieblingschaoten!! Habt ein schönes Wochenende und bleibt gesund! :-*
GlG
Ancarda
° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ °
Das erste, das Charlie wahrnahm, als er erwachte, war das Schwanken.
Seine Umgebung schwankte!
Ha...?
Als er sich verwirrt aufrichten wollte, wurde er von einem scharfen Schmerz daran gehindert, der von seinem Kopf aus bis in den Nacken strahlte und ihm ein gepeinigtes Wimmern entlockte. Verdammt, das tat weh! Was war denn passiert?! Noch dazu wirbelten seine Erinnerungen zusammenhanglos und unkontrolliert in ihm herum, was den Schmerz kein bisschen besser machte und ihn am Nachdenken hinderte. Das Letzte, an das er sich erinnern konnte, war, dass er mit Marco in den Bergen unterwegs gewesen war... hatten sie nicht am Gipfel picknicken wollen? Wieso waren sie nicht dort? Fieberhaft versuchte er, sich zu erinnern, doch vergeblich.
Nichts... da war nichts.
Als er sich trotz Schmerzen langsam aufrappelte, spürte er eine Decke, die von seiner Brust rutschte. Sie fühlte sich viel schwerer und... weicher an, als er es gewohnt war, als er instinktiv danach tastete. Genau wie der Untergrund, auf dem er da gelegen hatte.
Und... genau wie der Stoff, der um seine Augen gebunden war und das ausgefranste Leinentuch ersetzte, das zuvor dort gewesen war. Wie...?! Völlig desorientiert und verwirrt glitten seine Finger darüber. Es fühlte sich wirklich unheimlich weich und angenehm an, aber trotzdem bekam er zunehmend Angst. Wer hatte das gemacht? Warum? Noch dazu roch es hier so völlig fremd... irgendwie... nach Holz und Meerwasser, aber auch andere Gerüche, die er beim besten Willen nicht zuordnen konnte.
Wo um alles in der Welt war er hier bloß?
Wie war er hierhergekommen?
Fahrig und verängstigt tasteten seine Hände umher, bis er auf seiner anderen Seite gegen etwas Warmes stieß. Ein Arm? Vorsichtig glitten seine zitternden Finger daran hinauf, bis ruhige Atemzüge über seine Haut strichen – und er ein vertrautes Gesicht fühlte.
Marco. Neben ihm lag Marco und schien zu schlafen.
Grenzenlos erleichtert atmete er aus; seine Anwesenheit gab ihm ein sichereres Gefühl, weshalb er sofort schutzsuchend seinen Arm umklammerte.
„Lass ihn schlafen..."
Vor Schreck zuckte Charlie heftig zusammen, als rechts von ihm plötzlich eine fremde Stimme erklang. Oh verdammt, er hatte gar nicht gemerkt, dass da noch jemand war!!
„Wer... ist da?", stieß er panisch hervor und konzentrierte sich viel zu spät auf seine Umgebung, wo er den Fremden ein kleines Stück entfernt sofort spürte. Immerhin war außer diesem Mann und Marco niemand hier, doch etwas weiter weg spürte er auch noch die vage Anwesenheit einiger anderer Menschen.
Er hörte, wie sich der Unbekannte offenbar von einem Stuhl erhob, der mit einem leisen Schaben ein kleines Stück über Holzboden geschoben wurde, und langsam nähertrat.
„He, ganz ruhig, Kleiner! Ich tu dir nichts, ich bin Arzt und mein Name ist Paolo. Wie heißt du?", stellte der Fremde sich leise vor. Er besaß eine leicht rauchige, aber angenehm ruhige, fast schon melodische Stimme. Aber viel wichtiger war, dass er keinerlei böswillige Absichten fühlen konnte, sodass Charlie sich an seine guten Manieren erinnerte und ihm immerhin etwas angespannt seine Hand entgegenstreckte... auch wenn er keine Ahnung hatte, ob dieser Fremde ihn überhaupt berühren wollen würde.
„Ich bin Charlie...", erwiderte er furchtsam flüsternd, doch schon schloss sich ohne Zögern eine größere, warme Hand um seine und schüttelte sie zu seiner Überraschung sogar leicht.
„Freut mich sehr, Charlie! Wie fühlst du dich? Tut dir was weh?"
Auch wenn dieser Paolo wirklich freundlich klang und ihm gegenüber tatsächlich keinerlei offensichtliche Abneigung zu hegen schien, zögerte Charlie. Die Situation verunsicherte ihn immer noch stark, vor allem, weil er sich einfach nicht erinnern konnte, was passiert war. Und weil Marco, obwohl er doch sonst so einen leichten Schlaf hatte, weder durch seine Berührungen noch durch das leise Gespräch aufgewacht war.
„Es... geht schon... nur mein Kopf tut weh", antwortete er unsicher, woraufhin der Mann neben ihm wieder aufstand und ein paar Schritte von ihm weg trat. Er hörte, wie sich ein Schrank öffnete, ein leises Rascheln und dann das Klirren von Glas, das plätschernd mit Wasser befüllt wurde, ehe Paolo wieder zurückkam.
„Streck deine Hände aus", bat er freundlich, und schon allein wegen seines plötzlich aufkommenden Durstes kam Charlie dem sofort nach. Und tatsächlich bekam er ein gefülltes Glas in die Hand, doch auch etwas Kleines, Hartes. „Eine starke Schmerztablette. Spül sie mit dem Wasser runter, dann wird der Schmerz bald besser!"
Verwirrt befühlte er das kleine Ding.
„Tablette? Ist das sowas wie... Medizin?", hakte er unsicher nach, was den Mann erst mal überrascht schweigen ließ.
„Ja... Medizin. Hast du noch nie eine Tablette bekommen?"
Charlie schüttelte den Kopf, hielt aber augenblicklich wieder inne, als ein eindrucksvoller Schmerz ihn daran erinnerte, wofür er grade Medizin bekommen hatte.
„Nein. Ich kenne Pulver und Säfte... aber das ist neu", gab er leise zu, ehe er die Tablette in den Mund steckte und anschließend durstig das Glas leerte. Sie hinterließ einen leicht bitteren Nachgeschmack, aber weitaus erträglicher als manch anderes, was ihm in seinem Leben schon verabreicht worden war. Dankend reichte er ihm das leere Glas zurück, als er sich traute, die für ihn wichtigste Frage zu stellen. „Ist mit Marco alles in Ordnung? Geht's ihm gut?"
Er hörte seinen Gegenüber leise ausatmen. Es klang nachsichtig, aber auch ein wenig besorgt.
„Ja, dem geht's soweit gut. Ich hab ihm nur Seestein anlegen und ein Beruhigungsmittel geben müssen, weil er unter Schock stand. Er hat dich nach eurer Bruchlandung auf dem Schiff fest umklammert gehalten und sich ununterbrochen bei dir entschuldigt, obwohl du bewusstlos warst. Er hat uns nicht an dich rangelassen und wir haben auch kein vernünftiges Wort aus ihm herausgebracht, also haben wir es für das Beste gehalten, ihn erst mal ruhigzustellen damit er sich erholen kann. Danach haben wir euch beide auf die Krankenstation gebracht, wo ich deine Platzwunde am Kopf versorgt hab. Das war vor fast dreißig Stunden, du hast also mehr als einen ganzen Tag lang geschlafen", erklärte Paolo ausführlich und jagte Charlie damit einen Heiden Schrecken ein.
Hastig griff er sich an den Kopf und fühlte dort tatsächlich einen Verband, und auch seine ganze linke Gesichtshälfte fühlte sich leicht geschwollen und empfindlich an.
WIESO?!
Was für ein Schiff??
Welche Bruchlandung? Warum hatte Marco sich bei ihm entschuldigt? Und... warum bei allen Göttern hatte er unter Schock gestanden??
„Ich... ich erinnere mich nicht! Was ist denn passiert?! Wo bin ich? Und wie bin ich hierhergekommen? Ich... es tut mir alles so leid, wirklich...", stammelte Charlie überfordert, doch eine kräftige Hand legte sich beruhigend auf seine Schulter.
„Ganz ruhig, Kleiner. Das kann bei einer Kopfverletzung durchaus passieren, aber meistens kommt die Erinnerung nach einer Weile zurück. Du bist hier auf der Moby Dick, unserem Schiff... und Marcos zuhause. Davon hat er dir doch bestimmt erzählt, oder? Ihr seid also beide in Sicherheit; Vater ist auch verdammt froh, dass unser kleiner Bruder wieder hier ist, wir haben uns schon riesige Sorgen um ihn gemacht. Zu Recht, wenn man sich anschaut, wie dünn er geworden ist..."
„Marcos Vater? Sein... Zuhause?", wiederholte Charlie fassungslos. Er konnte die Worte kaum glauben, die er da sagte, doch er konnte keine Lüge hören und das leichte Schwanken des Bodens war Beweis genug.
Es war wirklich wahr... sie waren runter von der Insel!
Auf Marcos Schiff!
„Wir... habens geschafft?? Wir habens wirklich geschafft... wir sind geflohen... wie er's mir versprochen hat. Und er hat es gehalten..." Heiße Tränen stiegen in ihm hoch, durchnässten den Stoff und ließen ihn leise Schluchzen. Er war weg von der Mineninsel... wirklich und wahrhaftig fort!! Er biss sich hart auf die Lippen, um nicht lauthals loszuweinen, so sehr überwältigte ihn dieser Gedanke.
Die Hand, die noch immer auf seiner Schulter lag, drückte ihn tröstend.
„Ja, ihr habt es geschafft, auch wenn ich nicht weiß, wovor ihr geflohen seid. Aber das ist im Augenblick auch noch nicht wichtig. Pass auf, Charlie: am besten legst du dich nochmal schlafen. Es ist zwei Uhr nachts und dein Körper kann noch ein bisschen Erholung gebrauchen. Schlaf dich aus, und wenn Marco morgen dann auch wach ist, erzählt ihr uns alles, einverstanden?", schlug Paolo mitfühlend vor und legte ihn mit sanftem Druck zurück in die Laken.
Charlie nickte schniefend; er war tatsächlich noch immer müde, obwohl er offenbar schon so lang geschlafen hatte. Unwillkürlich rutschte er näher an Marcos vertrauten Körper und lehnte seine Stirn an dessen Schulter. Es gab keine Worte, die auch nur annähernd beschreiben konnten, wie unfassbar dankbar er dem jungen Piraten war – nie, nie, NIE würde er all das vergessen, was er für ihn getan hatte. Er würde der beste, treueste Freund sein, den Marco je gehabt hatte, das schwor er sich in diesem Moment.
„Du hast ihn ziemlich gern, nicht wahr?", erklang erneut Paolos Stimme. Es schwang sehr viel Zuneigung und Wärme darin mit... und ein Lächeln. Charlie nickte.
„Ja. Marco ist... so ein unglaublich toller Mensch... und ein unglaublich toller Freund", antwortete er leise, aber aus tiefstem Herzen – und spürte plötzlich, wie ihm eine sanfte Hand durch die Haare strich.
„Bist 'n guter Junge, Charlie. Schlaf jetzt...", flüsterte Paolo und entfernte sich dann langsam wieder zurück zu dem Platz, wo er vorhin schon gesessen hatte. Überrumpelt unterdrückte der Junge ein erneutes Schluchzen. Schon wieder hatte jemand keinerlei Berührungsängste ihm gegenüber... also hatte Marco auch hier nicht gelogen: Seine Blindheit stieß außerhalb von Khadir offenbar wirklich niemanden ab. Paolo störte sich zumindest kein bisschen daran und er hatte ihn durchgehend freundlich behandelt.
Es war... fast zu schön, um wahr zu sein.
Bevor er endgültig zurück in den Schlaf driftete, breiteten sich gleich zwei unbekannte, aber wunderschöne, kribbelige Gefühle in seiner Brust aus:
Vorfreude... und Neugierde.
Er freute sich auf die Zukunft und war neugierig darauf, was noch kommen würde. Etwas, das er noch nie empfunden hatte...
„Danke, Marco..."
° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ ° ~ °
„CHARLIE!!!"
Jäh wurde der Junge aus dem Schlaf gerissen, als sich zwei Arme um ihn schlangen und ihn so fest umklammerten, dass ihm fast die Luft wegblieb, während sein Kopf schmerzhaft gegen die Misshandlung protestierte. Ächzend und orientierungslos versuchte er, gänzlich zu sich zu kommen und tastete fahrig nach dem Übeltäter.
„Was...? Aua...", stöhnte er – und wurde erschrocken fallengelassen, was seinem Kopf eindeutig noch viel weniger gefiel, obwohl er auf einen weichen Untergrund fiel. „AUAAAA! Oh man... was hab ich denn verbrochen?" Jammernd hielt er sich den Kopf und betete, dass die Welt aufhörte, sich zu drehen. Immerhin erkannte er, dass es hell war um ihn herum – es musste also Tag sein.
„Oh nein, tut mir so leid, Charlie! Wirklich!!! Es tut mir ALLES so schrecklich leid...", erklang Marcos gepeinigte Stimme neben ihm, ehe sich vertraute Finger vorsichtig um seine legten. Langsam klärten sich Charlies Gedanken wieder, die Erinnerung an letzte Nacht und Paolo kam zurück. Und alles, was er erzählt hatte. Warum um alles in der Welt bat ihn Marco schon wieder um Verzeihung?! Höchst besorgt umfasste er die Hand seines Freundes und setzte sich vorsichtig auf.
„He, wofür entschuldigst du dich?!", wollte er wissen und drückte beruhigend seine Hand. „Alles ist doch gut, ich hab nur ein bisschen Kopfweh... aber du bist doch wieder Zuhause, oder? Wer sind geflohen... du hast dein Versprechen gehalten!" Doch auf seine freudigen Worte hin erntete er nur ein verbittertes Schnauben.
„Jaaa... super, wir sind erfolgreich geflohen – ich hab dich zwar beinahe umgebracht, aber sonst kann ich mir wirklich auf die Schulter klopfen!", stieß er spöttisch hervor und Charlie hörte in seiner Stimme so viel Wut auf sich selbst heraus, dass er betroffen zusammenzuckte.
„Was meinst du? Wann hast du mich fast umgebracht?!", hauchte er entsetzt und fühlte gleich darauf seinen ungläubigen Blick auf sich liegen.
„Willst - du - mich - verarschen?!", knurrte er so aufgebracht, dass der Jüngere vor Schreck zurückwich. Er hatte noch nie erlebt, dass Marco wütend auf ihn war, aber jetzt war er es ganz eindeutig – und er wusste nicht mal w...
OH! Natürlich!
„NEIN!! Nein, warte... ich will dich nicht verarschen, Marco! Ich... ich kann mich nicht erinnern, wie wir hierhergekommen sind, ehrlich! Ich weiß nur noch, dass wir in den Bergen unterwegs waren, und dann... nichts mehr, bis ich gestern Nacht aufgewacht bin. Und da war ein Mann, Paolo glaub ich, der hat gesagt, dass das bei einer Kopfverletzung passieren kann... obwohl ich keine Ahnung hab, wo die herkommt. Bitte, bitte sei nicht böse auf mich!!", sprudelte er panisch hervor und zog den Kopf ein, während er in einer fast schon flehenden Geste die Hände hob.
Völliges Schweigen antwortete ihm; und Himmelherrgott nochmal, er konnte schon wieder nicht deuten, was das für eine Art Schweigen war! Diese eine Sache machte ihn an seinem (hoffentlich immer noch) Freund wirklich verrückt. Er traute sich aber nicht, nachzufragen... nicht, dass ihn das noch wütender machte. Also biss er sich verzagt auf die Lippen und verharrte still in der Hoffnung auf eine deutbare Reaktion.
Es dauerte, mehrere Minuten lang, in denen er Marcos Blick auf sich liegen spürte. Und dann...
„Es tut mir leid... schon wieder...", flüsterte der Ältere brüchig – und ein ganz, ganz leises Geräusch ließ Charlies Gesichtszüge entgleisen. Es klang, als wäre Wasser auf Haut getropft. Wie ein Regentropfen...
„Marco... weinst du?!", hauchte er fassungslos. Ein stärkerer Windhauch verriet ihm, dass er offenbar heftig den Kopf schüttelte, was jedoch etwas Nasses auf Charlies Hand spritzen ließ.
Erschrocken tastete sich Charlie hastig wieder zu ihm und zog ihn augenblicklich in eine feste Umarmung. Sein Herz schien plötzlich Tonnen zu wiegen und schmerzte fürchterlich, als er fühlte, wie Marcos Schultern bebten und wie schnell der Stoff an seiner Schulter, wo sein Kopf lag, nass wurde.
Oh nein, und wie er weinte!!
Als Charlie ihn weiter schweigend einfach nur festhielt, drang ein erstes Schluchzen aus seiner Kehle und ebnete den Weg für weitere... bis es ihn regelrecht durchschüttelte und er erneut Charlies Brust umklammerte wie einen Rettungsring. Hilflos konnte der nichts weiter tun, als ihm beruhigend über seinen Haarschopf zu streicheln und einfach da zu sein, wie Marco es auch nach seinem Albtraum für ihn getan hatte. Was um alles in der Welt war denn nur passiert, dass es seinen Freund so heftig mitgenommen hatte?!
Noch während Marco weinte, hörte Charlie, wie sich jemand näherte, innehielt... und nahezu lautlos wieder ging. Paolo vielleicht? Aber er war ihm dankbar, dass er sich nicht bemerkbar machte; er kannte Marco noch nicht lang, aber er wusste bereits, dass er ungern Schwäche zeigte und sehr stolz war – wenn er wüsste, dass ihn jemand anderes so gesehen hätte, hätte ihm das überhaupt nicht gefallen. Aber umso bedeutungsvoller war es für Charlie, dass er es durfte.
Er hatte keine Ahnung wie lange sie beide so dasaßen. Der junge Pirat beruhigte sich nur sehr langsam; und selbst als sein Schluchzen verhallt war, schien er nicht in der Lage zu sein, Charlie loszulassen.
„Als wir in den Bergen waren... sind wir um eine Kurve gegangen und ich hatte freie Sicht nach Westen aufs Meer", begann er plötzlich mit heiserer Stimme zu erzählen. Besorgt lauschte er ihm und versuchte gleichzeitig, sich zu erinnern. „Und... da war unser Schiff. Es hat in einiger Entfernung geankert... Gott, war ich froh! So froh, dass ich nach vorn gesprungen bin und ganz vergessen hab, dass du dich ja an mir festhältst. Ich... ich... wegen mir bist du ins Stolpern gekommen, Charlie! Der Weg war sowieso so schmal, und dann... und dann hab ich dich plötzlich fallen gesehen. Ich hab nach dir gegriffen und du nach mir, aber... nicht schnell genug und... du bist abgestürzt!! Du hast geschrien... so furchtbar geschrien, das werd ich nie vergessen...", flüsterte er erstickt – und in Charlie krampfte sich alles zusammen.
Marcos Erzählung weckte etwas in ihm. Erst war es ein Gefühl, so grauenerregend, dass es ihm beinahe die Luft abschnürte. Es war...
Angst. Todesangst!
Charlies Kopf pochte, als nun er sich mit einem wimmernden Laut an seinen Freund krallte. Und plötzlich erinnerte er sich wieder daran, gefallen zu sein. Allein das genügte, um ihn am ganzen Leib zittern zu lassen, weshalb Marco mit einem reumütigen Stöhnen sein Gesicht an Charlies Schulter vergrub.
„Es tut mir so verdammt leid, ich... ich weiß gar nicht wie ich das je wieder gutmachen kann...", stieß er gequält hervor, doch Charlie schüttelte sofort vehement den Kopf – zumindest kurz, bis der Schmerz wieder einsetzte. Wiedergutmachen? Er? Nein, das war nicht richtig... auch wenn das ein furchtbarer Moment gewesen war, aber es war doch keine Absicht von Marco gewesen, ihm in irgendeiner Form Schaden zuzufügen! Deshalb brauchte sich sein Freund wirklich nicht zu geißeln... aber genau das tat er, das war in jeder Silbe zu hören. Zumal das doch vor allem auch noch nicht die ganze Geschichte gewesen sein konnte!
Rigoros packte er sein Gesicht und zog es von seiner Schulter weg.
„Warum bin ich dann noch hier, Marco?? Wenn ich wirklich diesen Berg runtergestürzt wäre, dann hätte ich jetzt nicht nur eine kleine Platzwunde an der Birne! Also was ist passiert und wie sind wir auf dieses Schiff gekommen? Deine Leute waren viel zu weit weg, als dass sie mir hätten helfen können... da muss einfach noch was gewesen sein. Also raus damit: was ist mit mir passiert? Wer hat mich gerettet?", wollte er streng wissen. Er würde nicht zulassen, dass sein Freund sich derart schlimme Vorwürfe machte! Erst recht nicht, wenn er noch nicht mal die ganze Geschichte kannte.
Er hörte ihn schwer ausatmen.
„Das... das war ich. Ich... weiß selbst nicht so genau was passiert ist, aber als du gefallen bist, ist wieder etwas in mir... erwacht. Diesmal sogar sehr viel stärker als je zuvor... es war... wirklich eine Art zweites Bewusstsein, so seltsam das auch klingt. Und plötzlich bin ich... dir nachgesprungen. Aus purem Instinkt...", antwortete er leise, was Charlies Mund aufklappen ließ.
Das war doch jetzt nicht sein Ernst, oder?!
„Du... BIST MIR NACHGESPRUNGEN?!", ächzte er völlig aufgelöst. „Bist du vollkommen... ja, aber... WIESO??"
Marco schnaufte, löste sich langsam von ihm und setzte sich aufrecht neben ihn, ehe er sich geräuschvoll durch das Gesicht fuhr.
„Weiß ich doch selber nicht! Ich... ich weiß nur, dass ich dich um jeden Preis retten wollte und ich hatte das Gefühl, als KÖNNTE ich das auch. Und es war richtig! Denn plötzlich sind diese blauen Flammen wieder an meinem Körper aufgetaucht und... meine Arme haben sich in Flügel verwandelt und meine Beine in Vogelklauen. Herrgott, ich war plötzlich halb Mensch, halb Vogel! Es war total verrückt, aber... so konnte ich dich im Fall greifen und wegtragen. Ich bin dann... irgendwie instinktiv mit dir zusammen aufs Meer geflogen und hab unser Schiff angesteuert, aber... oh man, fliegen ist echt verdammt schwer! Vor allem, weil ich mich gleichzeitig drauf konzentrieren musste, dich nicht fallen zu lassen und ich Panik hatte und weil du dich nicht gerührt hast UND ich Angst hatte, ins Wasser zu fallen und einfach samt dir unterzugehen...", berichtete er mindestens genauso überfordert, wie Charlie sich von all den unglaublichen Erzählungen fühlte.
„Du... warst zur Hälfte ein Vogel?! Wie kam das denn?? Gehört das... also auch zu deinen magischen Kräften? Ich fass es nicht..." Stöhnend und reichlich überfordert rieb sich Charlie über die Schläfe. Wahnsinn, was dieses kleine Stück Obst alles bewirkt hatte! Und da hatte Marco doch ernsthaft behauptet, das wären KEINE Zauberkräfte!! Pah! „Aber das ist doch... einfach großartig! Ich meine... ich kann mir vorstellen, dass das verdammt schwierig war zu fliegen... aber du hast es doch geschafft!"
Marco schwieg kurz, doch diesmal konnte er eindeutig fühlen, dass es ein verlegenes Schweigen war.
„Jaaa... schon irgendwie, aber... ich... hab das mit dem Abbremsen und der Landung so überhaupt nicht hinbekommen... ich wusste ja nicht, wie das geht! Und... naja... darum... du bist mit voller Wucht gegen die Bordwand geknallt, während es mich über die Reling katapultiert hat. Vater hat dich zum Glück rechtzeitig gepackt und hochgezogen, sonst wärst du auch noch im Meer gelandet. Daher also die Platzwunde... hey, ich kann gar nicht sagen, wie leid es mir tut – ich wollte das alles nicht! Ich wollte dir keine solche Angst machen und ich wollte dich auch nicht verletzen, bitte glaub mir!", flehte er ihn an und griff reumütig nach seiner Hand.
Diesmal war es Charlie, der schwieg.
Das war aber auch verdammt viel, worüber er nachdenken musste. Das... alles klang so unglaublich! Und zwar eigentlich nicht nur die letzten Tage. Wenn er all die Ereignisse revue-passieren ließ, seit die Wärter Marco neben ihn gesetzt hatten... Gott, sein Leben hatte sich total verändert, und zwar auf eine derart unglaubwürdige, verrückte Art und Weise, dass er jeden ausgelacht hätte, der ihm das vor ein paar Wochen prophezeit hätte. So richtig, richtig doll ausgelacht. Seine Mundwinkel zuckten.
„Soll heißen, du hast mich blinden Krüppel in die Berge geschleift, von ganz oben runtergeschubst, nur um dich in einen Halbvogel zu verwandeln, der mich zwar heldenhaft rettet, aber dann gegen eine Schiffswand krachen lässt?", fasste er bemüht ernsthaft zusammen. Er wusste selbst nicht, woher das kam, aber... verdammt, das alles kam ihm grade derart bescheuert vor; so urkomisch, dass er sich kräftig auf die Lippen beißen musste, um nicht auf der Stelle loszulachen.
Zu allem Unglück spürte er Marcos ungläubigen Blick auf sich liegen – und er hatte das leise, unwillkürliche Glucksen aus seinem Mund gehört.
„Hey, das ist nicht witzig!", empörte er sich, obwohl auch seine Stimme merklich schwankte. Charlies Lippen verzogen sich langsam zu einem Grinsen.
„Doch, ist es. Weil das die katastrophalste, haarsträubendste Flucht aller Zeiten war! UND ich hatte auch noch die ganze Zeit recht!"
„Recht mit was?", hakte Marco skeptisch nach und Charlie musste all seine verbliebene Willenskraft aufbringen, um den letzten Satz noch verständlich herauszubringen.
„Na, du bist eben WIRKLICH ein blöder Vogel!! Ahahahahaha...." Endlich brach das befreiende Lachen aus Charlie hervor. Nein, viel mehr war es ein wahrer Lachanfall, der ihn von Kopf bis Fuß durchschüttelte – und Marco einfach mitriss. Prustend stimmte er in das Gelächter mit ein und ließ sich mit einem dumpfen Plumps zurück ins Bett fallen.
Und Himmel, das tat so gut!!
Es war, als würde all die Anspannung, all die Sorgen und Ängste der letzten Wochen einfach von ihnen abfallen. Den beiden Jungen rannen die Tränen über die Augen und ihre Rippen schmerzten, doch keiner konnte aufhören zu lachen, bis sie völlig außer Puste waren und nach Luft ringend nebeneinander lagen. Charlies Kopf pochte schmerzhaft, aber das war es mehr als wert gewesen.
„Du... bist einfach nur... dämlich", keuchte Marco schließlich und knuffte ihm kräftig in die Schulter.
„Danke... gleichfalls!", schnaufte der Jüngere und rächte sich mit einem Tritt.
„Ich würde ja sagen, ihr seid beide nicht ganz knusper in der Birne!", erklang unerwartet eine höchst amüsierte dritte Stimme, die beide zusammenzucken ließ.
„PAOLO!", rief Marco freudig, sprang auf und überrannte den Neuankömmling regelrecht. Zumindest schloss Charlie das aus dem dumpfen Bums und Paolos halb gefluchter, halb lachender Begrüßung.
„Schön, dass du wieder da bist, kleiner Bruder! Wir haben uns verdammt viele Sorgen um dich gemacht... wie fühlst du dich?"
„Ganz gut eigentlich. Sag, habt ihr Rakuyou und André schon befreit?", wollte Marco sofort hoffnungsvoll wissen, doch Paolo seufzte schwer und zerschlug die Hoffnung sofort wieder.
„Nein. Wir haben keinen von euch finden können, obwohl wir schon vier dieser verdammten Inseln abgeklappert haben. Darum haben wir gehofft, du wüsstest was über sie...", antwortete er besorgt, was nun der junge Pirat mit leiser Stimme verneinen musste. Paolo seufzte erneut. „Shit... na schön, trotzdem solltest du Vater schnellstmöglich alles erzählen, was du weißt – und vor allem, was eigentlich mit euch passiert ist. Er ist an Deck mit den anderen, sollen wir zu ihm?"
„JAA!", rief Marco euphorisch und Charlie konnte fühlen, wie sehr er sich auf dieses Wiedersehen freute. Kein Wunder, so viel und so gern, wie er von seinem Vater bisher erzählt hatte...
„Ich warte einfach hier, oder?", fragte er zaghaft, doch Marco schnaubte ungläubig.
„Nein, du kommst natürlich mit. Du sollst ihn doch endlich kennenlernen, darauf freu ich mich schon ewig!", widersprach er sofort und jagte seinem Freund damit einen gehörigen Schrecken ein.
„Was?! Aber... aber... das können wir doch auch später machen, oder? Ich will wirklich nicht stören... die freuen sich sicher alle, dass du wieder da bist, da bin ich doch nur im Weg!"
Jetzt war es Paolo, der lachte.
„Ach was, mach dir nicht ins Hemd, Kleiner! Ich komm auch mit, du bleibst einfach bei mir solange unser lang vermisstes Brüderchen begrüßt wird", schlug er vor, was Charlies Nervosität aber kein bisschen linderte. Er wusste einfach nicht, was ihn da gleich erwarten würde! Er kannte die Reaktionen der Menschen in Khadir auf ihn und konnte damit umgehen, aber diese Menschen hier waren sicherlich anders. GANZ anders. Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten musste, worauf er zu achten hatte... gab es hier sowas wie Regeln? Oder... eine Art Etikette, auf die er achten musste? Er hatte Marco überhaupt nicht danach gefragt, fiel ihm nun siedend heiß ein.
„Eben. Na komm schon, Pops wird dir gefallen! Und die anderen erst recht, yoi? Auch wenns wohl ein ziemlicher Kulturschock für dich werden wird", gab er zu und legte aufmunternd einen Arm um ihn.
„Wieso Kulturschock? Geht's auf diesen Inseln so anders zu als hier?", fragte Paolo überrascht und Charlie konnte quasi fühlen wie Marco angefressen das Gesicht verzog.
„Jaaa... kann man so sagen. Es wird ziemlich ungewohnt für ihn sein, dass ihn niemand beleidigt, rumschubst oder anspuckt, nur weil er blind ist. Oder ihn deshalb ignoriert, verprügelt und verachtet", grollte er und ließ den Schiffsarzt damit scharf Luftholen.
„Oi, nettes Völkchen...", entgegnete er mit beißendem Sarkasmus in der Stimme. Charlie zog unbehaglich die noch immer von seinem Freund in Beschlag genommenen Schultern hoch und seufzte.
„Gibt Schlimmeres...", murmelte er und tastete automatisch nach seinem Stock, ehe ihm einfiel, dass er ihn wohl in den Bergen bei seinem Sturz verloren hatte. Unglücklich verzog er das Gesicht; ohne Stock fühlte er sich ein wenig hilflos, doch er würde sich nicht beklagen.
„He Paolo, haben wir sowas wie einen Stock für Charlie? Dann findet er sich besser zurecht", grätschte jedoch auf einmal Marco dazwischen und ließ ihn überrascht innehalten, ehe sich ein warmes Gefühl in seiner Brust ausbreitete. Er hatte auf Anhieb gewusst, nach was er suchte...
„Ein Stock? Hmmm... wie lang soll er denn sein?", fragte der Schiffsarzt grübelnd.
„Ähm... so groß wie ich oder ein bisschen größer, vielleicht? Aber ein kleinerer tuts auch", antwortete Charlie ein wenig zögerlich. Einen Moment lang herrschte nachdenkliche Stille, dann bewegten sich Schritte ein Stück weit weg und jemand kramte irgendwo herum. Schließlich hörte Charlie ein scharfes Knacken, ein Gegenstand wurde achtlos weggeworfen und die Schritte kehrten zurück.
„Hier, wie ist es damit?", fragte Paolo freundlich und drückte ihm einen glatten Holzstab in die Hand. Prüfend befühlte der Junge ihn und war sofort restlos begeistert; er war tatsächlich eine Handbreit größer als er, schnurgerade und fühlte sich sehr robust an. Er war sogar viel besser als der Treibholzstock, den er vorher gehabt hatte!
„Oh, der ist ja wunderbar! Vielen herzlichen Dank, er ist wirklich toll!", rief er so überschwänglich, dass der Arzt ein verlegenes Brummen ausstieß.
„Schon gut Kleiner, ist nur ein Besenstiel... ich hab nur die Bürste entfernt!"
Das war also das Knacken gewesen...
„Du hast deinen Besen für mich kaputt gemacht? Oh, das... das hättest du aber nicht tun müssen", murmelte er besorgt, was Paolo amüsiert schnauben ließ.
„Es war wirklich nur ein alter Besen... davon haben wir mehr als genug. Ich hab dir eins meiner Halstücher spendiert, da leg ich doch gern noch meinen Besen oben drauf!", scherzte er, was Charlies zunächst verwirrte – aber dann fassungslos den Mund aufklappen ließ, als er nach dem weichen Tuch um seine Augen griff. Das war SEIN Halstuch?! Und er hatte es ihm geschenkt??
„Das ist... meinst du das... ist das... wirklich...? Du hast... oh... das... ist wirklich unglaublich freundlich von dir! Ich... vielen, vielen Dank, ehrlich!", stammelte er geradezu ehrfürchtig und verneigte sich tief – und Marco explodierte förmlich vor Lachen.
„AHAHAHA! Paolo, du solltest dein Gesicht sehen... du bist ja richtig rot! AUA!" Das dumpfe 'Plonk' hatte sich verdächtig nach einem Zusammentreffen von Faust und Schädel angehört, doch viel geholfen hatte es dem Arzt nicht; der Lehrling lachte noch immer, auch wenn Charlie keine Ahnung hatte, was so lustig war.
„Hab ich was falsch gemacht?", murmelte er, bekam jedoch etwas ruppig von Paolo auf die Schulter geklopft.
„Nein, schon gut. Es ist schön, dass du dich freust, aber ich hab noch viele Halstücher und mehrere Besen... so viel Dank ist gar nicht nötig, ja?", erklärte er mit deutlicher Verlegenheit in der Stimme, ehe er schmunzelte. „Steht dir aber gut!"
Nun war es Charlie, der etwas errötete.
„Danke... welche Farbe hat es?", wollte er interessiert wissen.
„Blau", antwortete Marco und gluckste. „Jetzt siehst du aus wie... wie... oh nein..."
Nicht nur der junge Pirat stockte plötzlich, sondern auch Charlie schnappte nach Luft.
„ZIBA!", riefen sie gleichzeitig.
„Ist unser Gepäck noch da?!", rief Marco entsetzt, woraufhin der Arzt hörbar erstaunt über den jähen Stimmungsumschwung reagierte.
„Natürlich, da hinten stehts", erwiderte er – und schon sprintete sein kleiner Bruder los. Charlie folgte ihm mit Hilfe seines Stockes langsamer und hörte ihn schon hektisch wühlen.
„Ist sie okay? Geht's ihr gut?", fragte er besorgt. Zu seiner Beruhigung hörte er gleich darauf ein erleichtertes Aufatmen.
„Ja... ja, sie ist noch da und sieht okay aus!"
„Sie? Habt ihr ein Tier da drin?!", hakte Paolo ungläubig nach, während Charlie sich schon neben Marco niederließ und die Hand in das Tongefäß steckte. Schnell stieß er auf ihre haarigen Beinchen, die ihn prompt abtasteten und wohl nach Futter suchten.
„Ja, Charlies Hausspinne Ziba...", beantwortete Marco mit einem hörbaren Grinsen seine Frage und reichte Charlie eine ihrer letzten Datteln, der sie ihrem Schützling sofort weiterreichte. Ziba klackerte begeistert mit ihren Kieferzangen und schnappte ihm das Stück Obst weg.
„Spinne?!", stieß der Schiffsarzt hervor und trat hinter die beiden hockenden Jungen, um selbst einen Blick auf den unbemerkten Gast zu werfen. Er stieß einen Pfiff zwischen den Zähnen hervor. „Oi, die ist ja riesig! Aber... irgendwie sogar niedlich. Hätte nicht gedacht, dass ich das je zu einer Spinne sagen würde..."
„Hab ich auch gesagt! Aber Charlie sagt, dass sie noch ein Baby ist... die wird wohl mal so groß wie ein Huhn. Sie ist aber nicht giftig und frisst im Augenblick nur Obst; erst später jagt sie kleinere Beutetiere. Oh, und sie kann Musik machen!", erklärte Marco nicht ohne Stolz in der Stimme – und Charlie wurde es erneut warm ums Herz, weil sein Freund ihm so genau zugehört und sich auch noch alles gemerkt hatte!
„Faszinierend... wirklich. Kann ich sie nachher mal in die Hand nehmen?" Paolo klang wirklich ausgesprochen interessiert. Beide nickten.
„Klar doch! Wenn wir bei Pops gewesen sind... komm schon, Charlie! Ich muss unbedingt zu Vater!", drängelte Marco und erhob sich. Der Angesprochene lächelte schief und verschloss das Tongefäß wieder, um Ziba in Ruhe essen zu lassen. Wohl war ihm bei dem Gedanken noch immer nicht, aber er wollte seinen Freund auf keinen Fall aufhalten. Also erhob er sich brav und folgte seinen ungeduldigen Schritten, deren Klang auf dem Holzboden sich noch sehr fremd anhörte. Auch das Schwanken war irritierend, daran würde er sich erst noch gewöhnen müssen.
Zumindest... falls Marcos Vater zustimmen würde, dass er bis zu einer anderen Insel an Bord bleiben durfte. Wofür er wirklich betete!
Zu dritt durchschritten sie eine Tür und wandten sich nach links.
„Es ist ein gerader Gang ohne Hindernisse, am Ende ist noch eine Tür, die an Deck führt!", beschrieb Marco seine Umgebung kurz und prägnant, weshalb Charlie sich das Tasten mit dem Stock sparte und einfach ein Stück hinter ihm blieb, um auf seine Schritte zu achten. Im Kopf zählte er mit, um einigermaßen die Orientierung zu behalten. Je weiter sie gingen, desto deutlicher hörte man verschiedene Stimmen und das leise Rauschen des Meeres, durchbrochen vom Kreischen einiger Möwen. Nervös umfasste er seinen neuen Stock fester, als sie schließlich stehen blieben.
Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
„Ganz locker bleiben, keiner tut dir was. Bleib einfach bei mir!", beruhigte ihn Paolo und ließ seine Hand dort liegen, wofür Charlie wirklich dankbar war.
„Er hat recht. Keine Sorge!", stimmte auch Marco zu, in dessen Stimme nun pure Vorfreude mitschwang, ehe er geradezu übermütig die Türe aufriss.
„VATER!!", brüllte er ausgelassen und schoss davon. Sofort erhob sich ein lauter Chor an Begrüßungs- und Jubelrufen; eine Menge völlig unterschiedlicher Schritte polterten auf seinen Freund zu und begruben ihn förmlich unter sich. Vor allem eine Stimme tat sich eindrucksvoll hervor; ein lauter, rauer, tiefer Bariton, in dem jedoch so viel Wärme mitschwang, dass er eine Gänsehaut bekam.
Nein, Charlie konnte gar nicht anders als bei dieser Szene zu lächeln, selbst als Paolo ihn mit sanftem Nachdruck ebenfalls nach draußen beförderte und mit ihm am Rand des Getümmels stehen blieb. Er strengte seine Sinne an, um möglichst viel mitzubekommen, denn all das hier... berührte ihn tief. So viele Menschen freuten sich so herzlich über die Rückkehr seines Freundes und zeigten das auch vollkommen offen... er konnte hören, wie er umarmt wurde, wie man ihm auf Schultern und Rücken klopfte, sah mit seinem siebten Sinn, wie er hochgeworfen und wieder aufgefangen wurde, fühlte regelrecht die überschwängliche Erleichterung. Das kannte er alles nicht, aber...
„Das ist... unheimlich schön...", flüsterte Charlie ergriffen und hörte Paolo leise lachen.
„Marco ist sowas wie unser Nesthäkchen; er ist noch nicht so lange bei uns. Es war schlimm für uns, dass ausgerechnet er gefangen genommen wurde... vor allem bei seinem wankelmütigen Gesundheitszustand. Aber das scheint sich ja jetzt geändert zu haben, was? Ich bin wirklich schon gespannt auf eure Geschichte..."
Der Junge seufzte und beschränkte sich auf ein Nicken.
Es dauerte eine ganze Weile, ehe sich der Tumult langsam legte. Es war die eindrucksvolle Stimme, die den Rest schließlich zum Verstummen brachte.
„Beruhigt euch, Kinder! Es ist verdammt schön, dich wieder hier zu haben, mein Sohn!", brummte ein Mann – also stimmte seine Vermutung und es war tatsächlich Marcos Vater! Wie hieß er noch? Marco hatte es doch erwähnt... Edward... Edward Newgate? Genau, oder auch Whitebeard.
„Ich bin auch so froh...", seufzte Marco hörbar glücklich, woraufhin ihm eine schwere Hand auf den Rücken klopfte.
„Na dann erzähl uns mal, was passiert ist... und auch, wer dein Freund da hinten ist!"
Erschrocken zuckte Charlie zusammen und zog den Kopf ein, als er plötzlich viele Blicke auf sich gerichtet fühlte, doch Paolo drückte beruhigend seine Schulter. Im nächsten Moment sprang auch schon Marco an seine Seite, fasste seine Hand und zog ihn einfach schnurstracks mit sich – mitten in die vielen Leute hinein, die eine Art unregelmäßigen Kreis um ihr Oberhaupt gebildet hatten. Oh, Himmel...
„Vater, das ist Charlie! Er hat mir geholfen... und mir das Leben gerettet!", stellte der junge Pirat ihn ohne Umschweife vor.
Nervös – oder vielmehr beinahe schlotternd vor Aufregung – umklammerte Charlie seinen Stab und hielt sich eng an Marco gedrückt.
„So, Charlie also. Du hast meinem Sohn das Leben gerettet? Dann schulde ich dir meinen Dank, Junge", sprach ihn Edward Newgate jedoch so überraschend freundlich an, dass seine Angst unwillkürlich ein wenig schwand.
„Ähm... das... ist wirklich nicht nötig, Ser. Ich... hab gar nicht so viel gemacht", antwortete er zaghaft, doch Marco schnaubte ungläubig.
„Hör auf, das runterzuspielen, yoi? Ohne dich stünde ich jetzt nicht hier... du hast mir sogar mehr als einmal das Leben gerettet!", widersprach er ihm prompt und stieß ihn mit dem Ellbogen an, was er reflexhaft mit einem empörten Gegenstoß quittierte, ehe ihm wieder bewusstwurde, wo er grade stand. Marcos Vater schnaufte amüsiert.
„Mein Sohn hat recht, Junge – gute Taten sollte man nicht kleinreden. Also nochmal: Danke, dass du meinen Sohn zu mir zurückgebracht hast!"
Charlie wurde rot, doch er gab sich geschlagen.
„Okay, dann... gern geschehen? Und es freut mich sehr, Sie kennenzulernen, Ser...", fügte er hinzu und streckte ihm etwas zaghaft seinen Arm entgegen.
„Lass die förmliche Anrede sein, so feine Leute sind wir nicht. Freut mich aber auch, Kleiner", antwortete Whitebeard zufrieden und... und... ETWAS schloss sich um seine Hand... fast samt komplettem Arm!! Charlies Gesicht entgleiste zu einem Ausdruck totaler Fassungslosigkeit als er fast schon reflexartig seinen Stock fallen ließ und auch mit seiner zweiten Hand nach diesem Etwas griff – und tatsächlich auf warme Haut stieß.
Das konnte doch... ja aber... war das etwas wirklich...?
„IST DAS... EINE HAND?!?!", rief er vollkommen überfordert – und die um ihn versammelte Mannschaft brach samt ihrem Kapitän in schallendes Gelächter aus. Doch Charlie war von der schieren Größe dieser Finger viel zu überwältigt, um besonders verlegen zu sein. Vorsichtig, aber überaus fasziniert tastete er über die Riesenhand, die ihn noch immer nicht losgelassen hatte. Dass es so etwas tatsächlich gab! Wie groß mochte dieser... dieser Mann sein? War das überhaupt ein Mann? Oder ein Riese?!
„Vater ist über sechs Meter groß!", klärte Marco ihn mit einem hörbaren Grinsen in der Stimme auf, was Charlies Vorstellungsvermögen allerdings schlichtweg sprengte. Ein sechs Meter großer Mensch?!
„Wow...", hauchte er völlig überwältigt – nur um dem Riesen im nächsten Moment beinahe vor Schreck in die Arme zu springen, als in seinem Rücken eine neue Stimme erklang.
„Aaaawww... der ist ja richtig süß!"
Charlie verrenkte sich beinahe den Hals, so schnell riss er den Kopf herum. Das war doch... das war doch eine Frau gewesen!! Es gab eine Frau an Bord?! Ihren Worten folgte auf jeden Fall ein eindeutig verblüfftes Schweigen – nicht nur von ihm.
„Warte, was?? Ich glaub, ich hab dich nicht richtig verstanden... was sagtest du grade?", hakte eine etwas schrillere, männliche Stimme ungläubig nach und die weibliche Stimme schnaubte.
„Dann sperr die Lauscher auf, Epoida! Ich sagte, er ist süß", wiederholte sie ungerührt.
„Süß?! Oh mein Gott, und was war das grade für ein Laut, den du da von dir gegeben hast??", bohrte eine andere, deutlich tiefere Stimme mit derselben Ungläubigkeit weiter und eine dritte, ebenfalls männliche und noch recht jung wirkende Stimme gluckste.
„Das klang ja echt fast schon so ähnlich, wie normale Frauen auf kleine Kätzchen und Babys reagieren..."
„AU BACKE! Wir haben doch nicht echt etwas gefunden, das unsere Eishexe zum Schmelzen bringt!", fiel die erste Stimme wieder ein und ließ die anderen damit spöttisch auflachen. Es lag jedoch keinerlei Böswilligkeit in diesem Spott, es klang viel mehr... nach derselben Art von Neckerei, mit der er und Marco sich gegenseitig aufzogen. Charlies Überlegungen wurden aber erneut jäh unterbrochen, als sich unvermittelt zwei schlanke Arme um ihn schlangen - und ihn an einen zierlichen, warmen und weichen Körper drückten. Lange Haare kitzelten ihn im Gesicht und ein fremder, blumiger und doch herber Geruch hüllte ihn ein.
Er erstarrte augenblicklich zur Salzsäule.
„Kleine Kätzchen sind nervige Allergieschleudern und Babys sabbern, schreien und stinken. Aber der hier ist niedlich... so unheimlich hübsch und schüchtern... und erst diese süßen, langen Löckchen!", schwärmte die Frau mit verborgenem Schalk in der Stimme, ehe zu allem Überfluss nun auch noch schlanke Finger durch seine Haare glitten.
Oh Götter... eine... eine FRAU hielt... ausgerechnet IHN da grade wirklich... eng umschlungen in den ARMEN!!
Charlie hatte keine Ahnung, warum, aber bei ihrerBerührung wurde er plötzlich von nackter Panik durchflutet und löschte jedesrationale Denken einfach aus. Das unerklärliche, aber schreckliche Gefühl, dassihr seinetwegen etwas Furchtbares passieren könnte, ließ seinen ganzen Körper instinktivverkrampfen. Er war von einer Sekunde auf die andere wie gelähmt – wortwörtlichund in jeder Hinsicht; er konnte nicht einmal mehr Luft holen.
Zu seinem Glück wurde er offenbar mit Argusaugen beobachtet, denn auf einmal packte jemand seinen Arm und zog ihn mit einem kräftigen Ruck von ihr weg.
DU LIEST GERADE
Aufstieg der Whitebeardpiraten - Himmel und Hölle
FanficIm Jahre 1494 lernt der vierzehnjährige Piratenlehrling Marco den dreizehnjährigen Charlie kennen. Zwischen den beiden Jungen entsteht schnell ein tiefes, schicksalhaftes Band, das sie nicht nur durch viele, turbulente Abenteuer hindurch begleitet...