Rhaya fühlte unter einem Regalboden eine kleine Vertiefung und drückte ihren Finger hinein. Das Regal schwang zur Seite und eine Art Tunnel aus Lehm und Stein kam zum Vorschein, der am Eingang von einer Fackel beleuchtet war. Rhaya hörte eilige Schritte hinter sich und nahm ohne zu zögern die Fackel aus der Halterung und das Regal ging hinter ihr zu. Sie hörte Zergen fluchen und rannte dann, so gut es mit der Fackel und dem Beutel ging, den Gang entlang.
Sie kam an eine Biegung und wählte den Weg nach links. Sie konnte Zergen weiter hinten Atmen hören. Hoffentlich nimmt er nicht den Weg nach links, dachte sie, aber er hatte die Fackel wahrscheinlich sowieso gesehen.Rhaya ging weiter und bald darauf endete der Gang und ein Türähnlicher durchgang machte ihm Platz. Rhaya drückte sich dagegen und stolperte in einen unbeleuchteten staubigen Raum. Sie drehte sich um und leuchtete in den Tunnel hinein, aus dem sie so eben gekommen war. Sie konnte Zergen weder hören noch sehen.
Rhaya beschloss sich ersteinmal in dem Raum umzusehen. Der Raum hatte keine Fenster. Nur durch einen kleinen Spalt unter der Tür, die an einer Treppe nach oben stand, drang Licht durch. Links und rechts von dem Durchgang zum Tunnel befanden sich Weinfesser und andere Vorräte. Kurz vor der Treppe, die zur Tür führte, standen Eimer und Wischmopp. Das schien hier Wein- und Abstellkammer gleichzeitig zu sein. Rhaya hörte vor der Tür ein Kichern und dann wurde sie geöffnet.
Eine leicht bekleidete Frau kam die Treppen runter. Rhaya versteckte sich so gut es ging hinter einem der Weinfässer und hielt den Atem an. Dann musste sie niesen. Es kam so plötzlich, dass sie es nicht mehr unterdrücken konnte. Die hübsche Frau nahm den Besen und ging auf sie zu. ,,Zergen, bist du das", fragte sie beängstigt. Rhaya antwortete nicht und drückte sich weiter in den Schatten. Die Frau kam immer näher und stieß plötzlich ohne Vorwarnung mit dem Besenstiel zu.
,,Seit Ihr verrückt?" Rhaya war wütend, weil die Frau ihr in den Magen gestochen hatte. ,,Wer seid Ihr", wollte sie von ihr Wissen. ,,Das hat Euch nicht zu interessieren", antwortete Rhaya. Die Frau hob drohend den Besenstiel. ,,Ich bin Terlya", sagte sie und Rhaya nannte der Frau ihren Namen. ,,Weisst du, wer deine Eltern sind?"
,,Nein. Ich kann mich nur noch schwach an sie erinnern. Ich glaube meine Mutter war eine Hure. Wieso fragt Ihr mich das?"
,,Willst du deine Mutter kennenlernen, Liebes. Ich weiss wer sie ist. Ich kenne sie. Du musst mit mir nur nach oben kommen."
,,Wieso sollte ich Ihnen glauben?"
,,Weil ich die Wahrheit sage, Schätzchen. Komm, dann kann ich es dir beweisen." Rhaya ging hinter Terlya die Treppe hoch.
Wenn die Frau ihre Mutter tatsächlich kannte, dann waren sie hier entweder in dem Haus ihrer Freundin, oder in einem Bordell.Terlya machte die Tür auf und sie betraten einen gemütlichen Raum, der mit Frauen und Männern gefüllt war. Einige der Männer tranken Bier und zogen die Bediensteten auf ihren Schoß, oder zerrten an ihrer Kleidung, die ohnehin schon viel zu knapp war. Wieder andere gingen und kamen eine Treppe hoch und runter. Als Terlya aus dem Keller trat und Rhaya eine Treppe hochführte, stellte niemand Fragen. Einige Männer wollten die beiden anfassen, aber Terlya zog Rhaya schnell von denen fern. Sie selbst ließ sich allerdings anfassen. Oben an der Treppe war ein Flur mit Türen, aus denen manches mal ein stöhnen zu hören war. Terlya klopfte an eines der Zimmer und wartete. Eine Frau rief laut: ,,Besetzt" und ein Mann grunste. Sie warteten ungefähr zehn Minuten vor dem Zimmer, aus dem lautes regelmäßiges stöhnen kam.
Als das Stöhnen zu ende war, hörte man noch kurz ein mädchenhaftes Kichern und die Tür ging auf. Ein Mann in mittlerem Alter und schwarzen Haaren stand vor ihnen und ging eilenden Schrittes den Flur zurück zur Treppe.
Hinter ihm kam eine Frau mit schönen dunklen Augen und dunkelbraunen Haaren zum vorschein. Sie sah Terlya kurz an und wollte gerade gehen, als sie Rhaya erblickte. Sie wandte sich ihr zu und starrte sie regelrecht an.
Rhaya wurde unbehaglich und Terlya führte sie und die Frau zurück ins Zimmer. ,,Shyra, ich muss dir jemanden vorstellen. Das ist deine Tochter." Rhaya erstarrte und Shyra sah sie nur weiterhin an. ,,Wie heißt du", wollte Shyra wissen. Rhaya konnte nichts sagen. Sie war sprachlos. Diese Frau, die gerade das Bett, neben dem sie stand mit einem fremden Mann geteilt hatte, sollte ihre Mutter sein? Nach einiger Zeit hatte sie ihre sprache wiedergefunden und antwortete mit ihrem Namen.Shyra wollte sie in die Arme schließen, doch Rhaya wich zurück und fing an ihre Mutter anzuschreien. ,,Wieso hast du mich auf die Straße gesetzt. Weisst du eigentlich, was mir passiert ist? Ich wurde vergewaltigt und musste andauernd Essen klauen und war ständig vor dem Verhungern, während du dich hier mit fremden Männern vergnügst..." Shyra wollte sie unterbrechen, dch sie ließ das nicht zu und schrie ungehindert weiter auf sie ein. Sie hatte so einen Hass auf ihre Mutter.
Wie konnte sie nur hier sein, mit einem Dach über dem Kopf und mit Männern in einem Bett verbringen, die sie garnicht kannte? Das mit den Männern erinnerte sie an ihren Vater und sie fragte ihre Mutter, wer er war und warum er sie nicht aufgenommen hatte. Ihre Mutter meinte sie wollte nicht, dass Rhaya in einem Bordell auf wächst, aber über ihren Vater hatte sie noch kein Wort verloren.
,,Was ist mit meinem Vater? Warum hat er mich nicht mitgenommen? Wieso ist er einfach weggegangen? Wir hätten doch wenigstens in einer Hütte wohnen können. Wenn Ihr meine Mutter seid, dann ist meine letzte frage an Euch: Wer ist mein Vater?" Rhaya war wütend und wollte nicht länger hier bleiben. Alles zog sie ihrer Mutter und dem Bordell vor, nur wollte sie noch diese eine Frage beantwortet haben. ,,Ach dein Vater war nur einer, wie jener, der gerade aus dem Zimmer gekommen ist. Weisst du was, du hast sogar zwei Schwestern. Die eine müsste drei Jahre..." Shyra hatte ihren Satz nicht beendet, denn Rhaya schnitt ihr das Wort ab: ,,Und was ist mit denen? Die sind doch sicher hier aufgewachsen. Wieso ich nicht? Warum hast du mich auf die Straße geschickt? Ich möchte, dass du mir die Wahrheit sagst." Shyra schien zu überlegen, was sie als nächstes sagen sollte, da schaltete sich Terlya ein: ,,Shyra, meinst du nicht auch sie hat die Wahrheit verdient? Immerhin ist sie deine Tochter."
,,Du hast Recht", sagte Shyra, ,,sie hat es verdient. Also auch wenn du es für eine Lüge halten wirst, dein Vater ist der Bluthund des Königs, Sandor Clegane. Du hast doch schon einmal von ihm gehört, oder?" Rhaya blieb die Luft weg. Der Bluthund des Königs. Von dem hatte sie schon einmal gehört, aber das er Sandor Clegane hieß, das wusste sie nicht. Erst kürzlich hatte sie diesen Namen schon irgendwo mal gehört, allerdings wusste sie nicht mehr in welchem Zusammenhang. Rhaya sah ihre Mutter ein letztes Mal an und ging dann ohne ein weiteres Wort zu sagen aus der Tür.
Sie war froh, als sie entlich wieder draußen aus dem Raum war. Der Flur kam ihr im Gegensatz zu dem Zimmer Frei vor, auch wenn aus den anderen Zimmern hin und wieder ein Stöhnen zu hören war. Als sie wieder draußen stand, wusste sie, wo sie hin ging. Sie musste ihren Vater finden. Er war bestimmt irgendwo im Roten Bergfried, wo die Königsfamilie wohnt.
Auf dem Weg dorthin hörte sie zufällig mit an, wie zwei Kaufleute sagten, dass bald Joffreys Namenstag wäre und ein Turnier veranstaltet wird. Dort können die Leute zum gucken kommen. Sie wusste, das war ihre Chance zu ihrem Vater zu gelangen und ihn zu töten. Wenn es ein Turnier gibt, dann könnte sie daran teilnehmen und gegen den Bluthund des Königs kämpfen. Rhaya hatte so eine Lust ihren Vater tot zu sehen, weil sie wegen ihm vergewaltigt wurde. Was sie bei ihrem Plan mit dem Kampf gegen Sandor Clegane nicht beachtet hatte, war, dass sie noch nie in ihrem Leben ein Schwert in der Hand hatte und der Bluthund sicher schon in einigen Schlachten dabei war. Wenn er nicht mit dem Schwert umgehen könnte, dann wäre er wohl nicht der Beschützer des Kindkönigs.
Sie brauchte ein Schwert oder irgendeine andere Waffe. So viel wusste sie. Irgendetwas, wo mit sie üben konnte, eine Waffe zu führen.