Danke für 100 reads ✨🫶🏼 Auch wenn es nicht gerade viel ist, bedeutet es mir ziemlich viel - ich glaube, man merkt, dass diese Geschichte eine echte Herzensgeschichte von mir ist...
Ausgerechnet in diesem Augenblick meint die große schwarzhaarige Frau neben mir: "Aimee, schauen Sie mich mal an, bitte". Und ich tue mich schwer damit, meinen Kopf wieder zu ihr zu drehen. Trotzdem sehe ich ihr wenige Sekunden später in ihre tiefbraunen Augen.
-"Sie sind es wert, dass man sich um Sie kümmert, okay?", sagt sie nun mit etwas mehr Druck in ihrer Stimme. Trotzdem redet sie ruhig und scheint kein bisschen mehr so streng, wie in den Vorlesungen. Eigentlich kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ein Mensch zwei so unterschiedliche Persönlichkeiten haben kann - aber Prof. Dr. Taghavi scheint irgendwie, mich überraschen zu können.-"Und ich möchte mich jetzt um Sie kümmern, wenn das in Ordnung ist...", fügt sie noch hinzu. Ich nicke, obwohl ich wirklich etwas überfordert bin - jemand kümmert sich um mich, freiwillig. Ich muss nicht einmal etwas dafür tun, außer nur existieren. In der elendigen, vom Regen klitschnassen Form, in welcher ich nun da bin.
Schon im nächsten Moment spüre ich die weichen, warmen Finger meiner Professorin auf der kühlen Haut meiner Handflächen. Sie sind mit Kratzern überseht, an einigen kleineren Stellen sogar aufgeplatzt. Aber die schwarzhaarige Frau rechts neben mir hält meine Hände einfach in ihren und streicht mit ihren Fingern behutsam über die Stellen.-"Ich habe bestimmt noch Taschentücher oder vielleicht sogar Pflaster in meiner Tasche... Ich bin mir da aber nicht so sicher...", sagt sie mit sanfter, beruhigender Stimme. Ich nicke einfach nur stumpf. Eigentlich will ich die ganze Zeit über schon etwas sagen und vor allem meine Dankbarkeit dafür ausdrücken, dass sie sich um mich kümmert, auch wenn ich dessen eigentlich nicht würdig bin. Aber aus meinem Mund wollen keine Worte kommen. Ich bin eigentlich nur überwältigt davon, dass sich das erste Mal in meinem jemand wirklich jemand für mich interessiert. Und dann auch noch eine strenge Physikprofessorin.
Ein paar Sekunden später, in denen sie ihre schwarze Umhängetasche durchsucht hat, wendet sie sich wieder mir und meinen Verletzungen zu. Mit einem weichen Taschentuch berührt sie die Kratzer auf meinen Händen und tupft ganz vorsichtig das Blut weg. Und während sich die große schwarzhaarige Frau vollständig auf das Versorgen meiner Verletzungen konzentriert, schweift mein Blick weg in die Ferne. Der Himmel ist tiefgrau, es müsste ungefähr mittags sein. Schon knapp eine halbe Stunde ist es her, dass Prof. Dr. Taghavi mich gefunden hat, nachdem ich aufgrund meiner eigenen Dummheit die Treppen hinuntergefallen bin. Und wieder frage ich mich, warum sie mich nicht einfach dort liegen gelassen hat.
"Sie hätten mich auch liegen lassen können...", flüstere ich monoton und starre weiterhin in den gräulichen Himmel. Das sanfte Tupfen auf meinen Handflächen hört sofort auf. Ich nehme wahr, wie die Frau rechts neben mir einmal tief seufzt, bevor sie mit dem Versorgen meiner Kratzer und Wunden weitermacht. Sofort spanne ich mich an - dabei hörte sich ihr Seufzen nicht einmal genervt an, sondern eher besorgt, fast schon ein wenig verzweifelt. Um Gottes Willen, ich will ihr nicht zur Last fallen! Auf gar keinen Fall! Ich darf die Zeit einer intelligenten, hochangesehen, viel beschäftigten Frau nicht so sehr verschwenden.
Sofort stehe ich auf und drücke ihre Hände unsanft von meinen weg. Mir ist ein wenig schwindelig, als ich stehe, aber nach einigen Sekunden bessert es sich schon wieder.
"Sorry, dass ich Ihre Zeit so verschwende... I-Ich sollte lieber gehen", meine ich fast lautlos und greife nach meiner Tasche, welche bei meinem Sturz auch einiges abbekommen hat, generell aber noch ein ganzes Stück ist. Durch meine eigene Dummheit gehen die Dinge immer kaputt - immer.
Ich sehe der schwarzhaarigen Frau kein einziges Mal mehr ins Gesicht, sondern gehe ganz langsam unter dem Vordach hervor, hinein in den kalten Regen. Es ist mir egal. Ich bin egal.Als hätte sie meinen Gedanken darüber, dass ich egal bin gelesen, höre ich plötzlich eine sanfte, aber dennoch laute und bestimmte Stimme hinter mir.
-"Aimée... Wenn Sie meinen, dass es Zeitverschwendung ist... Dann kann ich das auch lassen... Aber ich möchte Sie wenigstens noch sicher zu Ihrer Wohnung bringen... In dem Zustand kann ich sie nicht alleine irgendwo hingehen lassen, vorausgesetzt, Sie schaffen überhaupt mehr als hundert Meter", sagt sie. Ich bleibe stehen und spüre, wie ich zu zittern beginne. Vielleicht durch die Kälte, welche ich normalerweise nie spüre. Vielleicht aber auch durch die Angst, die in mir zurückgekehrt ist, seitdem die Stimme der Professorin erneut diesen ernsten Unterton angenommen hat.Schon im nächsten Augenblick höre ich Schritte hinter mir. Es ist nicht zu überhören, dass Prof. Dr. Taghavi Stiefel mit Absätzen trägt, denn deren Geräusche hallen sogar auf dem steinernen Boden unter dem Vordach nach. Ganz langsam drehe ich mich um, traue mich aber nicht, meinen Blick zu heben.
-"Aimée, ich weiß, dass Sie schon erwachsen sind und selbst entscheiden können, aber ich würde Sie echt ungern alleine lassen, wissen Sie?", sagt sie. Ich atme tief und ein aus. Ich bin es nicht wert. Nicht, dass sich jemand um mich kümmert und erst recht nicht, dass eine Professorin mich nach Hause fahren darf. Sie hat so viele bessere Dinge zu tun. Und ich zerstöre ihre wichtigen Aufgaben und Pläne, ihre wichtige Arbeit, an der sie wahrscheinlich sitzen würde, würde sie nicht mit mir ihre Zeit verschwenden.Ich werde schon fast ein wenig sauer auf Prof. Dr. Taghavi. Wie kann sie es sich nur freiwillig antun, sich um mich zu kümmern? Es hätte sowieso besser gepasst, wäre sie einfach weitergegangen. Und das hätte nicht nur zu ihr und ihrem kaltherzigen Auftreten zuvor gepasst, sondern auch zu jeder anderen Person. Ich bin ein Mensch, der es verdient, aus eigener Dummheit zu fallen, am Boden zu liegen und keine Hilfe zu erlangen. Ohnehin mache ich in den letzten Wochen alles falsch und eigentlich habe ich auch in den zwanzig Jahren zuvor alles falsch gemacht.
-"Kommen Sie, Aimée...", flüstert sie und ich spüre plötzlich, wie nahe sie hinter mir steht. So nahe, dass ich ihre Körperwärme spüren kann, obwohl wir uns nicht einmal berühren. Ich starre weiterhin auf den Boden, aber nicke.
Ich habe das nicht verdient, sage ich mir immer wieder, während wir den Weg entlang zum Auto der Professorin gehen. Auf dem Weg hält sie mich wieder sanft an meinen Oberarmen fest und legt ihren linken Arm um meine Schultern, um mich zu stützen. Eigentlich brauche ich diese Hilfe nicht und ich verdiene sie auch nicht. Aber diese Frau zieht es wirklich durch - warum tut sie sich das nur an?

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Andromeda
عاطفية-PAUSIERT- Aimée ist schon immer eher introvertiert und sensibel, konnte sich nur schwer an neue Lebensumstände anpassen und ist von vielen Dingen überfordert. Trotzdem beginnt sie nun, mit 20 Jahren, ein Physikstudium an einer Universität in Berlin...