07| Der erste Sieg

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Tag X
Madrid
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Das wird verdammt knapp werden. Ich kann dir nicht versprechen, dass der Artikel auch so schnell angefertigt werden kann«, sagte ich in das Prepaidhandy hinein und überholte mit einem gewagten Manöver ein im Schneckentempo fahrendes Taxi.

»Ich weiß deine Mühe zu schätzen«, kam es vom anderen Ende knapp zurück.

»Du hörst dich müde an. Ruh' dich ein paar Stunden aus, wenn der Spuk vorbei ist«, entgegnete ich und legte auf.
Mein ganzer Körper tat weh, es war anstrengend gewesen, meine Position an vorderster Front von anderen vorwitzigen Journalisten zu verteidigen. Ständig war ein Ellenbogen in meiner Seite oder meinen Rücken gerammt worden. Ich war reif für die Insel und dabei hatte das Wochenende gerade erst angefangen. Zu meinem Leidwesen standen mir nun noch ein paar anstrengende Stunden bevor, ehe ich es mir in meinem Bett bequem machen konnte.

Meine Niederlage war ernüchternd gewesen. Ich hatte aber auch nicht damit gerechnet, dass mein Appell an den Befehlshaber der Polizei Wirkung zeigen würde. Das war nur ein weiterer Schachzug gewesen, eine weitere Intrige, die so perfekt inszeniert war, dass niemand auch nur mit dem nächsten Schritt rechnen würde. Der Vorhang würde vor einem völlig ahnungslosen Publikum aufgerissen werden. Das wird ihnen die Augen öffnen!

Die Reifen quietschten, als das Auto am Wegrand zum Stehen kam. Ich verschwendete keinen Gedanken daran, den Motor auszuschalten oder gar den Schlüssel mitzunehmen, sondern rannte einfach los. Wenn ich scheitern würde, wäre es ohnehin egal, ob der Wagen noch dastehen würde oder nicht.
Die Nacht flog an mir vorbei und der Wind peitschte mir bittere Kälte ins rotwangige Gesicht. Keuchend drängte ich mich an den Journalisten vorbei, die sich an der Absperrung die Beine in den Bauch standen und neugierig die Gefährte betrachteten, aus denen ohne Unterlass Polizisten herauskamen. Verflucht!

»Aus dem Weg!«, brüllte ich und stieß meine ehrenwerten Kollegen zur Seite, die meiner Anweisung nicht schnell genug nachkamen.

Als ich die Absperrung endlich erreichte, schwang ich die Beine darüber und sprintete auf das Zelt zu. Hinter mir protestierten die Beamten und das Getrampel verriet mir, dass sie mir folgten. Ich sparte mir meinen Atem, denn sie würden mir ohne nicht glauben, nicht ohne den Inhalt der Mappe gesehen zu haben, die ich unter meinen Arm geklemmt hatte.

Kiano, der Wachmann von vorhin, stellte sich mir in den Weg. Scheiße!
Ich konnte nicht rechtzeitig abbremsen und riss ihn mit mir zu Boden, sodass wir in das improvisierte Lager hereinfielen.

Irritierte Blicke schossen auf uns ein. Ein Paar dunkle Seelenfenster stachen aus der Menge hervor, aber ich hatte keine Zeit, um mich über deren zornigen Ausdruck aufzuregen.

Hektisch rappelte ich mich auf. »Nicht stürmen!«, japsend schnappte ich nach Luft, »Sie dürfen nicht stürmen! Die Geiselnehmer haben den Geiseln ebenfalls Dalí-Masken und rote Overalls gegeben. Sie werden nicht unterscheiden können, wer ein Geiselnehmer ist und wer nicht.«

»Wie bitte?«, brachte Ángel verdattert hervor. Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Seinen Kollegen ging es nicht anders.

»Woher wissen Sie das?« Coronel Prieto betrachtete mich skeptisch. Ich war ihm ein Dorn im Auge, natürlich. Er wollte diesen Banküberfall so schnell wie möglich beenden, denn es gab da noch etwas, eine winzige Kleinigkeit, die die Aufmerksamkeit des ganzen Landes auf diese Banknotendruckerei lenken könnte. Und das wollte er selbstverständlich um jeden Preis vermeiden.

»Ich habe auf Überwachungskameras unzählige Kisten damit entdeckt. Außerdem sind da auch Waffen zu sehen gewesen«, erklärte ich rasch und legte ihnen den Inhalt der Mappe offen. Die Druckertinte hatte die ohnehin schon schlechte Qualität der Aufnahmen erheblich herabgesetzt, allerdings reichten die Bilder aus, um meine Aussage zu bestätigen. Haufenweise Overalls, Masken und Gewehre waren zusehen.

»Das ist unmöglich«, stammelte Raquel.

»Das ist noch nicht alles.« Als ich erneut Luft holte, um mit der nächsten unerfreulichen Neuigkeit herauszurücken, richtete ich meinen Blick auf den Chef des Geheimdienstes. »Die Tochter des britischen Botschafters, Alison Parker, befindet sich unter den Geiseln. Sie hat mit ihrer Schulklasse die Banknotendruckerei besichtigen wollen.«
Zur Unterstreichung meiner Aussage hielt ich mein Handy hoch, auf dem ein Post von dem Mädchen zu sehen war. Sie gehörte zu den Geiseln. »Aber das wussten Sie doch schon, Coronel, oder?«

Ärgerlich verzog der Mann das Gesicht. Ich hatte ihm sämtliche Autorität geraubt, die er besaß. Für einen Moment war es mucksmäuschenstill. Die berühmte Stecknadel hätte sich in diesem Augenblick wie ein Donnerschlag angehört.

»Das ist doch lächerlich!«, brachte er schließlich hervor, aber jeder Versuch, seine Hände reinzuwaschen, war zum Scheitern verurteilt. »Wieso sollten wir solch einer verrückten Theorie Glauben schenken?«

Lächelnd wischte ich mir den Dreck von der Wange. Jetzt kommt der Höhepunkt des Aktes! »Wieso? Das kann ich Ihnen ganz leicht sagen. Bevor ich hier hergekommen bin, habe ich eine Kopie sämtlicher Bilder in einem zusammenhängenden Artikel online stellen lassen. Mittlerweile sollte ganz Spanien darüber im Bilde sein, was hier geschieht«, erwiderte ich ruhig.
Damit hatte ich ihn. Seine Kinnlade klappte herunter und seine Augen wurden so groß wie Teller, ehe er feuerrot wurde und herum schrie, dass dieser Artikel umgehend gelöscht werden sollte.

Dieses Arschloch will doch ernsthaft den Kopf aus der Schlinge ziehen! Wieso unternimmt denn niemand etwas?!

»Coronel, wir können hineinsehen«, meldete sich eine Stimme zu Wort, welche das aufgeregte Gekreische der Anderen übertönte.

In meinem Magen zog sich alles zusammen, als Raquel, Ángel und Prieto zu Suárez liefen und wie gebannt auf den Bildschirm starrten.

»Scheiße, was ist das denn?«, stieß die Inspectora hervor, ehe sie sich wieder fing und anwies, dass das Bild vergrößert werden sollte.

»Diese Mistkerle!«, fluchte der Chef der Geheimpolizei.

»Die Kerle haben sich mit den Geiseln verschanzt. Alle haben das Gleiche an. Sie können unmöglich wissen, auf wen sie schießen! Brechen Sie die Operation ab!«, rief Raquel verzweifelt aus.

»Abbrechen!«, forderte ich mit Nachdruck.

Die finsteren Seelenfenster des Befehlshabers der Polizei ruhten einen Moment sprudelnd vor Zorn auf mir, dann griff er nach seinem Funkgerät und ordnete den Rückzug seiner Truppen an.

Alle atmeten erleichtert auf.

༻♥༺

Kühle Nachtluft umspielte mein Gesicht, als ich mich von dem Zelt entfernte. Während sich sämtliche Reporter auf den Coronel gestürzt hatten, um eine Erklärung zu erhalten, hatte ich mich aus dem Staub gemacht. Der Groll des Mannes, den ich aufgrund seines Wutausbruches ›Rumpelstilzchen‹ getauft hatte, würde mich noch früh genug treffen, doch heute hatte ich keine Kraft mehr dafür. Ich schleppte mich zum Wagen, der, wie aus einem Wunder, immer noch an Ort und Stelle stand.

»Wahnsinn, ich habe schon gedacht, dass du mit einer hübschen Brünette durchgebrannt wärst. Aber anscheinend habe ich auch ab und an mal Glück«, begrüßte ich das Auto.

»Um einen Strafzettel führt Sie Ihre Glückssträhne aber trotzdem nicht herum.«

Verflucht, der Kerl kann sich anschleichen wie ein Ninja!

Mit einem spöttischen Lächeln drehte ich mich um. »Denken Sie nicht, dass Sie als Dankeschön über ihn hinwegsehen können? Immerhin habe ich das Leben von unschuldigen Zivilisten gerettet.«
Das Licht der Straßenlaternen warf einen Schatten auf Suárez' Gesicht, sodass ich seine Reaktion auf meinen gewagten Spruch nicht genau erkennen konnte – Freude sah allerdings anders aus.

»Wo wir gerade über Ihre... Heldentat sprechen-«

»Ach, ich bin doch keine Heldin«, mischte ich mich ein und machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Wie sind Sie an die Bilder der Überwachungskamera gelangt?«

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El Corazón Del Ladrón | LCDPWo Geschichten leben. Entdecke jetzt