06| Alles für die Story

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Tag X
Madrid
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    Du lügst doch schon wieder, Armando«, rief ich und schüttelte angesichts der Unglaubwürdigkeit seiner getätigten Aussage den Kopf. »Es mag sein, dass du deinen Lesern einen Bären aufbinden kannst, aber mir nicht!«

Mein Arbeitskollege zog verärgert die Brauen zusammen und erwiderte leicht eingeschnappt: »Es hat sich genauso zugetragen!«

»Und das, meine Damen und Herren, ist der Grund dafür, dass man nicht alles glauben sollte, was einem in den Medien erzählt wird«, neckte ich ihn weiter.

»Deine Berichte sind also immer hundertprozentig ehrlich, Valeria?«, schoss jener zurück und rückte sich das lächerliche Drahtgestell zurecht, welches eine Brille darstellen sollte. Wenn er nicht eine so große Nase gehabt hätte, hätte man ihn glatt für Harry Potter halten können.
Er war mir mit seiner leicht eingeschnappten Art direkt ans Herz gewachsen, als ich bei der El Mundo angefangen hatte und insgeheim konnte er mich auch ganz gut leiden. Er verbarg es nur hinter hartnäckiger Bitterkeit.

»Ich versuche mich so nah wie möglich an den Fakten zu orientieren«, gab ich frech grinsend zurück. Armando grummelte etwas Unverständliches.

Als plötzlich sämtliche Telefone im Raum klingelten, zuckten wir erschrocken zusammen. Der schrille Ton hörte sich in meinen Ohren wie ein Kreischen an, eines von der guten Sorte. Emilio, der Chefredakteur, nahm als Erster ab. Wir sprangen auf und sprinteten an die offene Tür seines Büros, um möglichst viele Informationen aus dem Gespräch zu ziehen, denn dass es sich um eine neue Schlagzeile handelte, war uns sternenklar!

Erstaunen.
Schreck.
Gewissheit.
Diese Emotionen wanderten nacheinander über sein Gesicht.

Emilio legte mit einem breiten Grinsen den Hörer auf, es war sein Wir-haben-einen-großen-Fisch-an-der-Angel-Grinsen. »Wir haben brisante Neuigkeiten. Es sind Schüsse vor der spanischen Banknotendruckerei gefallen«, klärte er uns sogleich auf.

Armando war derjenige, der ein erschrockenes »Wie bitte« hervorbrachte, während ich mich mit »Die Story übernehme ich« meldete.

»Wieso ausgerechnet du?« Wir Journalisten sind ein ausgesprochen ehrgeiziges Völkchen, wir gönnen selbst unseren besten Freunden nicht den Platz auf der Titelseite, wenn wir genau wissen, dass man ihn selbst haben kann. Deswegen konnte ich den Einwand meines Kollegen nicht als Beleidigung auffassen.

»Das fragst du noch? Ich bin klein und wendig. Ich kann mich ohne Probleme nach vorne durchkämpfen, vielleicht komm ich sogar bis an die Quelle«, erklärte ich flink.
Ich musste diesen Fall einfach bekommen. Leider war ich dazu gezwungen, unfaire Methoden anzuwenden, um meinen Willen durchzusetzen. »Erinnerst du dich noch an den letzten großen Überfall, Armando? Da sind dir wichtige Informationen durch die Lappen gegangen!«

Scham und Wut ließen sein Gesicht feuerrot werden. Er redete nicht gern über diesen Patzer, was auch verständlich war, aber er bereute es offensichtlich, mir davon erzählt zu haben. Mir wurde ganz elend zumute, allerdings durfte ich um des Mitleids Willen nicht nachgeben. Ich belog sie alle schon seitdem ich hiervor einem halben Jahr angefangen hatte. Die Zeit, um ein schlechtes Gewissen zu haben, war schon lange vorbei!

»Na schön, du kriegt den Fall, Valeria.«

Freudig strahlte ich meinen Vorgesetzten an, rief ein übereiltes »Gracias« und verschwand mit dem Autoschlüssel triumphierend in der Hand.

Eine Viertelstunde, drei knapp entgangenen Strafzetteln und einer rot-gelben Ampel später, stand ich vor der spanischen Banknotendruckerei. Unser ›Informant‹ hatte schnell agiert. Außer einem Haufen aufgescheuchter Polizisten befanden sich kaum neugierige Passaten oder nervige Journalisten vor Ort. Mir war klar, dass sich das bald ändern würde. Ich musste meine Chance also nutzen, um an Information ranzukommen, möglichst welche, die noch nicht an die Propaganda der Medien angepasst war.

El Corazón Del Ladrón | LCDPWo Geschichten leben. Entdecke jetzt