34 - Annabell

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Wie? Wie konnte ein Mensch mit so vielen Lügen leben? Natürlich hatte ich gewusst, dass mein Vater mir viel verheimlichte. Aber das hatte ich auf seinen Beruf geschoben... Doch nicht auf meine Mutter! Anscheinend waren wir ein Einzelfall. In den Büchern meines Vaters stand nichts, das dem auch nur annäherungsweise entsprach.

Eine Zielperson hatte ein Kind bekommen. Nichts Ungewöhnliches. Doch die Zielperson wurde nicht umgebracht. Ihr Mann hatte ihr nämlich geholfen zu flüchten. Als die Zielperson eines natürlichen Todes starb, nicht aber das Schlechte der Welt zugefügt hatte, wurde ihre Tochter zur Nachfolgerin, um das Schlechte zu vollbringen.

Meine Mutter hätte meinen Vater umbringen müssen.

Nun hätte ich meinen Vater umbringen müssen. Und ich habe es getan. Indirekt.

Jetzt verstand ich, warum er mich nur mit Abscheu betrachten konnte.

Der Töter war gegangen, nachdem ich den Brief zerrissen hatte. Wortlos. Emotionslos. Wahrscheinlich würde mein Tod jetzt umso qualvoller und schmerzhafter werden, da er noch einen anderen misslungenen Tod zu begleichen hatte. Mir wurde schlecht bei der Vorstellung, was er mir antun könnte. In diesem Moment hasste ich meine Mutter. Sie war selbstsüchtig gewesen. Einfach abzuhauen und Leon seinem Schicksal zu überlassen. Doch dann gingen meine Gedanken ein paar Schritte weiter. Was hatte ich denn anderes gemacht? Ich war auch geflohen, ohne an die Konsequenzen für mein Umfeld zu denken. Nur mein Leben war mir wichtig gewesen. Doch für das Einsehen von Fehlern war es jetzt zu spät. Ich konnte nur noch still danken und mich innerlich auf den Tod vorbereiten, der in jedem Fall kommen würde.

Was mich wunderte war, dass Gian noch nicht aufgetaucht war. Natürlich fand ich es gut, doch irgendwie nagte das Gefühl an mir, der Töter hätte ihn schon früher erwischen können.

Der Bildschirm flackerte. Es wurde kein Ton übertragen, aber durch die Tür konnte ich Menschen hören. Viele Menschen. Als ich sie auf dem Bildschirm sah, bekam ich Angst. Es waren Reporter. Sehr viele Reporter. Dann blieben sie ratlos vor der Tür stehen und schauten sich um. Sie machten jemandem Platz und dieser Jemand öffnete die Tür mit dem Code. Ich wandte den Kopf zu der Tür, die sich im selben Augenblick öffnete.

GefangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt