Genetik hin oder her...

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- Im Vorfeld-
TRIGGERWARNUNG:
Hallo zusammen, in diesem Kapitel geht es um den Tod eines Menschen. Wer damit Schwierigkeiten hat, möge es bitte nicht lesen!
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Ist man in der Medizin tätig, so wird man oftmals auch mit dem Tod konfrontiert.
Der Tod gehört zum Leben genauso dazu, wie das selbstständige Wachsen und Ausfallen der Haare.

In einer meiner Famulaturen wurde ich auch auf der Intensivstation tätig.
Die Arbeit war immer vielseitig, abwechslungsreich und spannend. Sie war jedoch auch das ein oder andere Mal sehr emotional.

Kurz vor Ende meines Praktikums kümmerte ich mich mit Oli zusammen um einen 80jährigen Herren. Er litt bereits einige Tage vor dem Arztbesuch unter starken Bauchschmerzen. Ganz nach meinem Lebensmotto ging auch er nicht rechtzeitig zum Mediziner.
Nur die Harten kommen in Garten ...
Nun war es jedoch so, dass Herr Müller seinen Gesundheitszustand komplett falsch einschätzte, wodurch er nun sediert und beatmet bei uns lag.
Leider befanden sich seine Angehörigen über 800km entfernt im Urlaub in Norwegen.
Wir hielten natürlich telefonische Rücksprache mit Sohn und Schwiegertochter, jedoch sagte mir mein Bauchgefühl, dass Herr Müller in seiner ausweglosen Situation Beistand brauchte.
Als nun das Unabwendbare kurz bevor stand, war seine Familie noch 300km entfernt.
„Oli, ich geh in Zimmer 5 und setz mich zu Herrn Müller, wenn was sein sollte, dann hol mich einfach raus.", meinte ich noch flott beim Betreten des Patientenzimmers zu meinem Mitbewohner.

Auch wenn keine lebensverlängernde Therapie mehr durchgeführt wurde, zeigte sich Herr Müller auf einem extrem schlechten Niveau stabil.
Irgendwann war jedoch zu spüren, dass sich Stress für den Patienten entwickelte.
Zunächst konnte ich es mir nicht wirklich erklären, jedoch brachte Oli schnell Licht ins Dunkle.
„Mara, rede einfach mal mit ihm. Er fühlt sich alleine. Sein Lebensende ist da und er hat aktuell keine vertraute Person um sich."
Ich tat wie mir geheißen.
Glaubt mir, Herr Müller erhielt gefühlt einen riesigen Vortrag meiner chaotischen Gedanken.

Plötzlich wurde es merkwürdig still. Mir gingen die Worte aus. Ich empfand es auf einmal als unpassend noch mehr zu sprechen.
Nur das regelmäßige Schnaufen des Beatmungsgerätes war zu hören - es war der Moment wo ich zur Begleitung, ja zur Vertretung und Vertrauten wurde.

„Herr Müller, in der letzten Stunde haben Sie mich vermutlich besser kennengelernt als so mancher Kommilitone.
Ich bin bei Ihnen. Sie sind nicht alleine. Ihre Familie weiß Bescheid. Sie wissen das Sie grade kämpfen.
Aber manchmal gibt es Kämpfe, die man nicht gewinnen kann. Es ist mir eine Ehre Ihnen auf diesem schwierigen Weg beistehen zu dürfen.
Sie sind nicht alleine.
Wenn Sie bereit sind, dann dürfen Sie loslassen.
Haben Sie keine Angst. Ich empfange nachher Ihre Familie und werde bei Fragen Rede und Antwort stehen. "

Die Gesichtszüge meines Patienten entspannen sich umgehend. Sein Herz schlug langsamer.... Und langsamer ... bis es endgültig stehen blieb.

Oli betrat wenige Minuten später den Raum.
Ich hatte das Fenster geöffnet- Herr Müllers Seele sollte frei sein.

"Mara, das war bemerkenswert. Du hast innerhalb kurzer Zeit Vertrauen zwischen Unbekannten geschaffen. Du warst für einen Unbekannten in einem der schwierigsten Momente da.
Geht es dir gut?"
"Ich bin irgendwie fertig Oli , ich fühl mich als wäre ich einen Marathon gelaufen..."
" Na komm, wir haben Feierabend. Wir holen uns auf dem Heimweg was zu essen und wenn du Lust hast reden wir, oder schauen einen Film."

Auf dem Weg von Umkleide zu Auto fühlte ich mich anders- irgendwie erwachsener.
Plötzlich bekam ich Angst. Auch im Auto konnte ich nicht Herr über meine Gedanken werden...
Was ist, wenn ich irgendwann alleine bin??Wer ist für mich da?? Wer hält meine Hand??
Ich merkte nicht, wie ich immer mehr hyperventilierte.
Es war mir egal, dass ich mich im Auto mit Oli befand. Ich hatte nichts geregelr, weder Patientenverfügng noch Vorsorgevollmacht.
Mir wurde schlecht, meine Hände waren schweißnass und der Schwindel raunte mir endgültig den Verstand.
Ich blendete meine Umgebung vollkommen aus.
Ich war gefangen in meinen chaotischen Gedanken.

„Jetzt schau mich endlich an! Atme regelmäßig, los Mädchen! Einatmen..... ausatmen.... Einatmen... ausatmen...", sprach Oli auf mich ein.
Kurz zusammengefasst, sein Zureden war mir irgendwie egal. Mein Kopf wollte grade im Chaos stecken bleiben.

Ich realisierte erst als Alex mich ansprach und mir einen dezenten Schmerzreiz setzte, dass wir bereits zuhause waren.
„So Mara, Feierabend! Ich gebe dir mit meiner Hand auf deiner Brust deinen Atemtakt vor!
Langsam atmen.... Du kannst das! Wenn du dich nicht langsam beruhigst, bekommst du ein Mittelchen dafür!"

Dank Alex schaffte ich tatsächlich meine Atmung ohne Medikamente zu normalisieren.
Meine Mitbewohner stützen mich nach wenigen Minuten und brachten mich umgehend aufs Sofa.
Nun war mein Körper endgültig geschafft.

Da ich natürlich nicht ohne einen kompletten Check der Herren davon kam, fiel auch sofort auf, dass ich heute noch nichts gegessen hatte.
Somit wurde flott eine Pizza bestellt, da Oli natürlich mit mir in dem Zustand nirgendwo anhalten wollte, und unter ärztlicher Aufsicht verspeist.

Insgesamt saßen wir noch 3 Stunden zusammen und besprachen was vorgefallen war.
Mir wurde klar, das ich nicht alleine bin - ich habe schließlich meine Freunde/ Arbeitskollegen/Mitbewohner, anders gesagt, meine nicht genetische Familie.

Diagnose Tollpatsch mit Symptom Dickkopf - ShortStoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt