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"Okay meine Lieben, hoch mit euren faulen Hintern. Jetzt wird getanzt." Die Mädchen unterbrachen mit genervtem Stöhnen ihre Gespräche und standen auf um weiter zu tanzen. Die Musik ging an, Colton, der amerikanische Tanzlehrer, schrie:"5,6,7,8!", und alle Mädchen tanzten seine dynamischen Bewegungen zum Klang der Musik nach.
Und ich? Die Mädchen tanzten in einem länglichen Raum, der an der linken Seite zwei Fenster hatte. Hinter dem Tanzgebäude erstreckte sich ein großes Waldgebiet. Da stand ich also, zwei Meter hinter dem hinteren Fenster des Raumes, versteckt hinter einem Busch und konnte alles sehen was in dem Raum gemacht wurde. Nur, dass man mich nicht sah. Also stand ich dort und tantzte wie Colton, ohne, dass ich dafür zahlte. Ziemlich clever, was? "So, das wars für heute Mädels. Übt die Schritte daheim und wir werden den Tanzwettbewerb haushoch gewinnen", verkündete Colton mit einem Zwinkern, nach ungefähr einer halben Stunde. "Bis dann.", riefen darauf die schnaufenden und nass geschwitzten Mädchen kichernd und gingen aus dem Raum. Ich selbst war auch ziemlich erschöpft. Dieses Mal hatten sie länger getanzt als sonst. Und ja, wie man sich bestimmt schon denkt, seit 2 Jahren tanze ich schon hier ohne, dass mich je jemand entdeckt hatte. Ich wartete bis alle nach hause gingen um Colton zu zu sehen wie er noch alleine tanzte. Ich sah ihm wie jedes mal gebannt zu wie er sich hin und her warf, auf die Hände ging und wieder auf die Füße sprang, wie er sich herum schleuderte und in die luft sprang. Wie er sich drehte, wie er seine Hände in die Luft warf. Er flog gerade zu und seine dunklen Locken machten all diese Bewegungen mit. Ich glaube, ich habe nie jemanden so tanzen sehen wie ihn. Nur schade, dass er es nie zu etwas gebracht hatte.
Langsam stand ich auf, warf dem unwissenden, unheimlich talentierten Colton eine Kusshand zu und ging Heim. "Denkst du denn gar nicht an deine Zukunft?", hatte Herr Spenner gefragt. Pfff, ich denke nicht an meine Zukunft, ich lebe meine Zukunft. Denn Tanzen ist mein Fluchtort, mein Zuhause, mein Herzschlag und meine Leidenschaft. Schon mit zwei Jahren war ich nur am Tanzen. Meine Mutter ließ die Musik laufen, klatschte lachend in die Hände und ließ mich fröhlich quietschend tanzen. Das war unsere Gemeinsamkeit. Meine Mutter war auch Tänzerin. Sie war eine professionelle Ballerina gewesen. Sie war anmutig wie ein Schwan und genauso schön. Ich wollte schon immer so sein wie sie, denn obwohl ich ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war, war meine Mutter etwas, was ich nie war: sie war ein Sonnenschein. Voller Elan, selbstbewusst und witzig, charmant und aufregend.
Sie hatte pulsiert vor Leben, doch das alles brach zusammen als mein Vater starb. Er hatte Depressionen und ähm, naja, sagen wir mal so: er konnte einfach nicht mehr. Ob ich sauer bin, dass er dies tat obwohl er eine Tochter hatte? Ob ich ihn egoistisch fand? Nein. Er war einfach kaputt gewesen. Wisst ihr, ein schlauer Psychologe sage mal zu seinem langjährigen Patienten, dass das Leben nunmal nicht für jeder Mann ist. So war das bei meinem Vater. Ihm wurde das größte Geschenk überhaupt gemacht: das Leben. Aber er konnte es nunmal nicht lieben und genießen. Das war unsere Gemeinsamkeit. Egal, wie gut er es hatte, er hasste sich. Und nein, ich hasse ihn nicht. Ich kenn ihn ja gar nicht richtig. Er tat es als ich sieben war. Und da zerbrach auch etwas in meiner Mutter. Sie wollte jetzt umso mehr leben und genießen, deswegen brachte sie mich zu meiner Tante, sagte sie würde mich gleich abholen, aber kam nie wieder. Und nein, auch sie hasse ich nicht. Selbst wenn ich wünschte ich könnte es.
"Hey, du!" Ich war so in meinen Gedanken gewesen, dass ich den Mann im Auto überhaupt nicht bemerkt hatte, der neben nir angehalten war. "Es ist schon spät. Was machst du hier noch alleine draußen? Komm ich fahr dich heim." Volkommen geschockt, wer da mit mir sprach, brachte ich kein einziges Wort heraus. Diese raue Stimme, die rabenschwarzen Augen und die wunderhübschen dunklen Locken hätte ich einfach überall wieder erkannt. Colton lächelte mich an. "Du kannst mir vertrauen. Ich bin keiner von der Sorte." Ich atmete hörbar ein und aus. "Ähm, okay, danke." Froh darüber meine Stimme wieder zu haben, stieg ich in den Wagen. Leise R&B Musik tönte aus dem Radio und es roch nach Minze. Hab ich schon erwähnt, dass Minze mein Lieblingsgeruch ist? " Ahorngasse, 27." Erstaunt riss er die Augen auf. "Jeezus. Das ist aber weit weg von hier. Was machst du denn so spät noch in dieser Gegend?", fragte er während er los fuhr. Shit. "Also, ich, ähm", stammelte ich, "ich war bei, ähm, meiner Freundin." "Mh-hm.", erwiderte er. Toll. Er glaubte mir nicht. "Ich kenn dich.", sagte er auf einmal. Ein Schaudern lief mir den Rücken herunter. Konnte er? Nein... das war nicht möglich. Ich war immer vorsichtig.
Ich versuchte das Zittern in meiner Stimme zu unterdrücken. "Ach ja?", fragte ich halbwegs monoton. Okay, fast halbwegs monoton. "Jep.", antwortete er. Gott er machte mich noch wahnsinnig mit diesem entzückenden Grinsen. "Und, äh, woher, wenn ich fragen darf?" Er lachte. Und zu allem Überfluss bemerkte ich auch noch, dass er Grübchen hatte. Wie alt war er eigentlich? Bestimmt nicht älter als zwanzig.
"Du bist zwar ziemlich schlau, aber mich verarschst du nicht.", sagte er lächelnd und zwinkerte. Mein Herz ließ einen Schlag aus und mein Mund blieb offen, ohne, dass ein Ton heraus kam. Das wars, Nadja. Jetzt steckst du tief in der Scheiße.
Amüsiert über den geschockten Ausdruck auf meinem Gesicht, lachte Colton und meinte: "Weißt du was, kleine Tänzerin? Du faszinierst mich. Dein Wille und dein Talent, das ich beobachtet habe, ist grenzenlos. Du tanzt besser und bist fokussierter als alle meine Mädchen zusammen." Ich war sprachlos. Er schien überhaupt nicht wütend zu sein. Ich habe ihm nie einen Cent gezahlt für die Stunden und er nahm das einfach mit Humor? Gott, der Kerl machte mich total fertig. "Wie...wie... lange weißt dus schon?", fragte ich mir zitternder stimme. "Ungefähr zwei Monate. " Nur zwei? Dass bedeutet dass er es seit acht Unterrichtsstunden weiß.
"Es tut mir so..." "Das muss dir nicht leid tun.", unterbrach er mich. "Aber ich habe eine Bitte an dich." Mein Magen zog sich zusammen. "Ich...ich hab kein Geld.", sagte ich verzweifelt. "Nein nein, das meinte ich nicht! Das hatte ich auch befürchtet. Nein, ich will dass du mit uns bei Wettbewerb mit antrittst. "

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