"Nadja, jetzt steh doch endlich auf. Bitte."
Seit ungefähr 10 Minuten versuchte Natha mich dazu zu bringen aufzustehen und zur Schule zu gehen. "Wie oft soll ich dir denn noch sagen, dass es mir nicht gut geht?", rief ich aufgebracht und verschlafen zurück. "Und fang jetzt bloß nicht an zu weinen."
Ich erhaschte einen kurzen Blick auf Nathalies Gesicht und bemerkte, dass die Dämme zum Glück noch nicht gebrochen waren. Sie sah einfach nur traurig aus. Traurig und kaputt und müde. Wie immer also.
"Kannst du dann wenigstens Jana zur Schule bringen?", fragte sie kapitulierend. Ich verstand die Logik zwar nicht warum ich fröhlich draußen spazieren gehen sollte, wenn ich doch "krank" war, aber, naja, scheiß drauf.
"Klar kann ich machen." Ich sprang aus dem Bett und fing an mich fertig zu machen. Natha murmelte noch etwas von "verpatzter Zukunft" und "sich vor Verantwortung drücken" und "auf den falschen Weg kommen"als sie aus dem Zimmer ging um Jana zu wecken.
Als wir beide fertig waren, machten wir uns auf den 20 minütigen Fußweg. Es war kalt deswegen schloss ich meine Jacke und zog mir meine Mütze tiefer ins Gesicht. Hoffentlich erkennt mich niemand und petzt.
"Nadi, ich hatte heute einen schlimmen Traum.", sagte Jana plötzlich. Ich sah sie an. Sie hatte einen todernsten Blick auf ihrem zarten Puppen-ähnlichen Gesicht, der sturr grade aus gerichtet war. Sie war viel zu ernst und reif für ein Kind.
"Was hast du denn geträumt süße?", fragte ich und drückte ihre kleine Hand.
Sie holte tief Luft und begann zu reden:"Ich und Papa waren angeln. Wir haben Fische gefangen und haben viel gelacht.", sie lächelte, "Aber dann kam ein Sturm und ich bin ins Wasser gefallen." Sie wurde ganz leise. "Ich hab keine Luft bekommen und meine Brust hat gebrannt wie Feuer. Dann hab ich geschrien. Ganz laut."
Erinnerungen von gestern Nacht drangen in mir hoch und ich duckte mich sodass ich mit Jana auf Augenhöhe war und sagte besorgt: "Das wird nie passieren, Häschen. Es war nur ein Traum, okay?" Sie nickte. Wir waren inzwischen an der Grundschule angelangt und ich verabschiedete mich von ihr.
Auf dem Rückweg machte ich noch einen Umweg um an meinen Lieblingsort zu gehen.
Ich lief durch den naheliegenden Wald, dessen Boden von Laub bedeckt war.
Nach ungefähr einer halben Stunde kam ich an. Ich kletterte die Leiter hoch und setzte mich auf das Dach meines alten Baumhauses. Mein Vater hatte es mit mir erbaut und ich hatte fast meine ganze Kindheit hier mit Andrej verbracht. Das besondere an diesem Ort war, dass das Baumhaus so hoch lag, dass man einen wunderschönen Blick auf die Felder, die an den Wald geenzten, hatte. Obstbäume, Lilien, Rosenbüsche und Lavendelsträuche zierten die Felder, was aus ihnen ein wunderhübsches Mandala machte. Ich liebte diesen Ort. Ich saß noch stundenlang dort oben sah die Vögel, die Richtung Süden flogen und betrachtete das Farbenspiel, das sich unter mir bot. Als ich vorhatte zu gehen, warf ich noch einen Blick in das Baumhaus. Ich hatte es lange nicht übers Herz gebracht reinzusehen. Nach unserem Streit hatte ich die bilder von mir und Andrej, als fröhliche Kinder, abgehängt. Doch jetzt hangen sie alle wieder, als hatte ich sie nie tränenüberströmt abgerissen und zertrampelt. Also musste Andrej oft hier her kommen. Ich seufzte. Als ich schließlich nach Hause ging, war Natha nicht da. Es war inzwischen schon mittags, also machte ich mir etwas zu essen. "Du musst mehr essen.", hatte meine Mutter mir immer gesagt. "Du siehst aus wie ein Stöckchen" Damit hatte sie auch heute noch Recht. Ich hatte kaum Kurven.
Nachdem ich ein paar Bisse herunter gewürgt hatte, bekam ich eine sms. Training in 30 Minuten. Freuen uns auf dich ;)
Auch das noch. Mit einem komischen Gefühl im Magen, das sich aus Nervosität, Aufregung, Angst und Vorfreude zusammwn mischte, machte ich mich wieder mal auf den Weg zum Wald und der angrenzenden Tanzschule.
Die meisten denken sich bestimmt, dass tanzen nur ein lächerlicher möchte-gern Sport und ein kleiner Zeitvertreib für Kinder wäre. Doch das stimmt nicht. Tanzen ist, was einen befreit und erlöst von allen Gedanken und Sorgen. Es ist mein Rettungsboot.
Ohne das Tanzen hätte ich, ohne scheiß, schon längst Selbstmord begangen.
An der Tanzschule angekommen, blieb ich erstmal stehen und holte ein paar mal tief Luft um meine Atmung und meinen Herzschlag wieder in Ordnung zu bringen.
Ich fühlte mich als würde meine Herzschlagader gleich platzen. Ich kaute ununterbrochen an meiner Unterlippe und knackte mir die Finger. Scheiße, ich hab so Schiss.
"Was stehst du da so blöd rum, Schätzchen? Geh rein oder geh Heim." Eine raue Mädchenstimme ließ mich zusammen zucken. Ich drehte mich langsam um.
Hinter mir stand ein grinsendes frech-aussehendes Mädchen mit verschrenkten armen und einer riesigen schwarzen Michael Kors Tasche, die an ihrem Arm baumelte. Sie hatte platinblondes schulterlanges wirres Haar. Und große schwarz-umrandete blaue Augen. Dazu trug sie eine schwarze Lederleggins und einen grauen viel zu großen Pullover über den sie geschätzt 20 verschiedene Ketten trug. Sie sah aus wie ein verdammtes Model.
"Was starrst du mich so an, Püppchen?"
Püppchen? Wenn hier jemand das Püppchen ist dann eindeutig sie.
Ich drehte mich ohne ein Wort zu sagen um und ging rein. Sie folgte mir und rief: "Hey, warte!" Allem Anschein nach hab ich ihr wohl zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Sie holte mich erst im Tanzraum ein, wo alle Mädchen schon auf dem Boden saßen und sich lachend unterhielten...bis sie mich sahen. Auf einen Schlag verstummten sie und schauten mich an als wäre ich, keine Ahnung, 'ne Art Einhorn oder so.
"Hey, meine Bitches." Das platinblonde Model brach die Stille. Zum Glück.
Sie setzte sich in die Mitte des Plauder-Kreises und wurde herzlich begrüßt. Ich muss zugeben, damals wollte ich ihr eigentlich aus dem Weg gehen. Sie war so eine aufbrausende pfiffige kleine Tusse, mit der ich keine Zeit verbringen wollte. Naja...damals eben.
Colton kam in den Raum. Makellos schön wie immer, voller Elan und mit einer extrem guten Stimmung.
"So meine Damen. Erhebt euch. Jetzt wird getanzt!" Alle Mädchen standen seufzend und nörgelnd auf außer mir und Blondie. Wozu waren die hier wenn sie bitte schön nicht tanzen wollten?! "Aber bevor wir anfangen, muss ich euch noch unseren Neuankömmling vorstellen: Nadja." Alle Blicke wieder auf mir. Ich versuchte mir ein Lächeln abzuringen. Colton machte sich nun daran die Musik auszuwählen, während ich seinen hübschen Lockenkopf betrachtete.
"Ich kenn dich.", sagte plötzlich Miss ich-kann-30-kilo-um-den-Hals-tragen-ohne-zu-ersticken.
"Ah, ja?"
"Jep. Aus der MusicHalle. Mein Ex hat dich vorgestern abgeschleppt, stimmt's?

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senseless
AcakIhr denkt bestimmt euer Leben ist scheiße. Jeden Tag den gleichen Ablauf, die Schule geht euch auf die Nerven, eure Eltern gehen euch auf die Nerven und eure Freunde haben nur selten Zeit für euch. Was für n' Horror. Wisst ihr, mein Leben lief ander...