Zwei Sachen sind in meiner Vorstellung vollkommen falsch gewesen. Die Erste erkenne ich schon sofort, als wir die Türschwelle zu Quentines Wohnung durchtreten. Ich hatte mir die Wohnung wie den Rest der Stadt vorgestellt. Eng, dunkel, hässlich.
Doch stattdessen ist die Wohnung hell. Bodentiefe Fenster geben einen Blick über die Stadt frei, bei dem ich schlucken muss. Der Boden ist aus Holz und total glatt! Vor einem sehr bequem aussehendem Sofa liegt ein flauschiger Teppich, in den ich mich am liebsten legen und an die weiße Decke mit der eleganten Lampe schauen würde.
An den Wänden hängen komische Bilder, die aber seltsam ästhetisch sind. Linien, verschlungene Formen und das alles in schwarz-weiß. Dabei denke ich daran, dass für mich nicht mehr alles schwarz-weiß wirkt. Für mich ist die Stadt immer das vollkommene Böse gewesen, aber Quentine ist sehr nett und diese Wohnung sieht wirklich nach einem Ort aus, an dem man leben kann. Sind alle Wohnungen hier so? Und alles, was man hierfür machen muss, ist, dem Regime treu zu bleiben? Oder zumindest die illegalen Aktivitäten unauffällig zu handhaben, so wie Quentine? Plötzlich scheint mir der Preis gar nicht mehr so hoch. Eine Arbeit, eine eigene schöne Wohnung, Möglichkeiten, das Leben anders zu gestalten, kein täglicher Kampf ums Überleben. Und Sicherheit, solange man unauffällig bleibt. All diese Gefühle und Gedanken überwältigen mich beim bloßen Anblick der Wohnung und der Sicht auf die Stadt.
Ich verstehe plötzlich, warum die Menschen all das für die Abgabe von Individualität haben wollen.
Doch dann denke ich wieder an Mia. An ihre Schwester, die verschwunden ist und an die grauen Kleider, die Farblosigkeit. An das geregelte Leben und an die Punkte. Daran, dass nicht jedem Freizeitaktivitäten gestattet sind und an den Verbote von fremder Musik und Kultur. Daran, dass die Filme, die Kerstin und ich beim alten Leo schauen können, hier lange nicht mehr erlaubt sind oder existieren.
Ich schlucke und wende meinen Blick weg von der Einrichtung. Quentine lächelt, als sie bemerkt, wie Kerstin und ich beeindruckt von ihrem Zuhause sind.
»Für diese Wohnung habe ich hart gearbeitet und auf zwei schickere Kleiderklassen verzichtet. Ich finde es wichtiger, ein schönes Zuhause zu haben, als in schicke Lokals gehen zu können«, berichtet sie uns. Papa nickt und fragt dann, ob er mit dem sicheren Telefon kurz eine Nachricht nach Zuhause schicken kann. Zur Sicherheit besprechen die beiden, dass Papa nicht konkret werden soll. Das Telefon könnte immer noch der Grund für die Polizei sein. Quentine führt ihn zu einer der weißen Türen in dem flurähnlichen Bereich. Die beiden gehen da rein und Quentine sagt irgendwas, aber ich bekomme es nicht mehr mit.
Denn aus einem angrenzendem Zimmer ist eine Person getreten. Blonde, kurze Locken, schwungvolle Augenbrauen, hohe Wangenknochen, die ich am liebsten berühren würde und um dann seine Sommersprossen nachzufahren. Dann wende ich meinen Blick ab, um mein rasant schneller schlagendes Herz wieder zu beruhigen. Hilfe, ich habe ihn angestarrt. Warum habe ich ihn angestarrt? Und warum denke ich darüber nach, wie weich seine Haare wohl sind?
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Ein Augenblick der Zeit
Science-Fictionpausiert | wird überarbeitet | demnächst Tanz, Musik, Leidenschaft, Einzigartigkeit. Für Lavita sind diese Worte aus ihrem Leben nicht wegzudenken. Doch der Preis dafür ist hoch. Das unabhängige, freie Leben ist nur deswegen möglich, weil sie zu ei...